„Niemand sollte sich über die Ukraine erheben“

3

„Niemand will den Krieg mehr beenden als wir in der Ukraine, denn es geht um unser Leben“, sagte Wolodymyr Selenskyj nach dem Eklat im Weißen Haus im Interview mit Fox News. „Ich glaube, dass wir (die Ukraine und die Vereinigten Staaten) auf der gleichen Seite stehen sollten.“ Diese Annahme jedoch ist seit Freitag Makulatur. US-Präsident Donald Trump warf Selenskyj aus dem Weißen Haus und verabschiedete sich dann ins Wochenende nach Mar-a-Lago.

„Lassen Sie das auf sich wirken“, kommentierte das ukrainische Portal „Kyiv Independent“: „Der Präsident der angeschlagenen Ukraine, ein Verbündeter der USA, ist der erste Staatschef in der Geschichte, der aus dem Weißen Haus geworfen wurde. Kein Diktator, kein in Ungnade gefallener Politiker, sondern der Präsident der Ukraine, eines Landes, das unter der schlimmsten Invasion des 21. Jahrhunderts leidet.“

DSGVO Platzhalter

Für die Ukraine sind die Ereignisse vom Freitagabend eine Zäsur. Im Land herrscht das Gefühl, dass die Vereinigten Staaten, lange Zeit der wichtigste Verbündete im Verteidigungskampf gegen den russischen Überfall, endgültig die Seiten gewechselt haben. Beinahe ungläubig wurden in Kiew zudem weitere Meldungen aufgenommen. Demnach könnte Trump neben der angedrohten Kürzung der direkten militärischen Unterstützung auch noch indirekte Hilfen wie den Austausch von Geheimdienstinformationen zur Abwehr ballistischer Bedrohungen, die militärische Ausbildung oder die für die ukrainischen Streitkräfte enorm wichtige Kommunikation über das Starlink-Satellitensystem von Elon Musk einstellen. Letztere erhält die Ukraine ohnehin nicht geschenkt, für die Kosten kommt seit Beginn des Krieges Polen auf. Doch was, wenn Musk die Verbindung kappt?

„Sie (Trump und Vance) haben Selenskyj provoziert, um die Militärhilfe stoppen zu können“, schrieb Maksym Borodin auf der Plattform X. Er war vor der russischen Besatzung stellvertretender Vorsitzender des Stadtrats von Mariupol. Die Ukraine dafür zu beschuldigen, keinen Frieden zu wollen, sei eine Schande. Wer sich frage, warum Selenskyj jedes Mal verärgert reagiere, wenn ihm jemand etwas über mögliche Friedensabkommen mit Putin erklärt, da sei die Antwort einfach: „Er ist derjenige, der früher an Friedensabkommen mit Putin geglaubt hat.“ Aber die Wirklichkeit sei eben eine ganz andere. Die Ukrainer wissen das, nicht erst seit dem Überfall 2022, sondern seit der Annexion der Krim und Teilen der Ostukraine 2014. Schon an die sogenannten Minsker Friedensabkommen hat sich Putin nie gehalten.

„Schwäche wird nicht respektiert“

Und so ist in ersten Reaktionen die Unterstützung für Selenskyj in der Ukraine groß. „Schwäche wird nicht respektiert“, so Bohdan Krotevych, Kommandeur der ukrainischen Nationalgarde auf X. Selenskyj sei dafür zu danken, dass er es nicht zugelassen habe, dass in so rüden Worten über die Ukraine gesprochen wurde. „Niemand sollte sich über die Ukraine erheben oder so respektlos sprechen.“ Wenn man verhöhnt werde, können man nicht einfach schweigen, sondern müsse reagieren.

Schon nach den Beleidigungen in der vergangenen Woche, als Trump Selenskyj einen „mäßigen Schauspieler“ nannte, der kaum Zustimmung habe, unrechtmäßig im Amt und im Grunde ein „Diktator“ sei, hatte sich das Land vereint hinter seinen Präsidenten gestellt. Selbst die Opposition, die Selenskyj oft und heftig kritisiert, wies Trumps Aussagen zurück. Jüngste Umfragen zeigen zudem, dass nahezu zwei Drittel der Ukrainer hinter ihrem Präsidenten und seiner Amtsführung stehen.

Verärgert reagierten Vertreter in Kiew auch auf den „spontanen“ Seitenwechsel des US-Senators Lindsey Graham. Der Republikaner gehörte bisher zu den entschiedeneren Unterstützern der Ukraine und ließ sich auch am Freitag zu Beginn des Besuchs von Selenskyj noch mit diesem auf einem Foto ablichten. Nach dem Eklat pries er dann Trump. Graham bezichtigte Selenskyj, sich schlecht benommen zu haben und forderte den ukrainischen Präsidenten gar zum Rücktritt auf, weil man mit ihm „keine Deals“ machen könne. Krieg und Frieden als Frage eines Geschäfts.

„Bei allem Respekt für Lindsey, nur die Ukrainer wählen ihren Präsidenten“, sagte Selenskyj bei Fox News. Wolodymyr Dubowik, Direktor des Zentrums für Internationale Studien an der Universität Odessa, sagte, dass Graham kein Recht habe, den Ukrainern zu sagen, was sie als nächstes tun sollten oder wer Verantwortung übernehmen sollte. Grahams „Haltung gegenüber der Ukraine ist davon bestimmt, Trump bei Laune zu halten, das war für ihn schon immer eine Priorität“, sagte Dubowik. „Er sollte aufhören, so zu tun, als ob ihm die Ukraine am Herzen läge.“

„Dieser Zusammenprall kann sehr ernste Folgen für uns alle haben“

Neben der Unterstützung für Selenskyj stellte mancher jedoch auch die Frage, wie es nun praktisch weitergehen soll. „Wir sahen gerade eben das Ende unserer Beziehungen mit Trump“, schrieb der Palamentsabgeordnete und Vorsitzende des Flüchtlingsausschusses, Oleksij Hontscharenko, auf X. Warum habe man vor Kameras einen Skandal arrangiert, warum habe das nicht hinter den Kulissen geschehen können? „Dieser Zusammenprall kann sehr ernste Folgen für uns alle haben“, so Hontscharenko, der Selenskyj kritisierte, dass man so nicht mit seinem Hauptverbündeten reden könne. „Das ist kein Spiel, wir haben Millionen Menschen, die sterben und kämpfen.“ Woraufhin Hontscharenko jedoch selbst heftig kritisiert und daran erinnert wurde, wer den Eklat ausgelöst und befördert habe, nämlich Vizepräsident JD Vance und Trump selbst.

„Sicherlich hätte Selenskyj sich besser fassen und seine Reaktionen zurückhalten können“, kommentierte auch der „Kyiv Independent“. Doch man könne mit Fug und Recht sagen, dass er in eine Situation gebracht wurde, die er nicht gewinnen konnte. „Wenn er Trump und Vance – anscheinend braucht es zwei von ihnen, um eine verbale Auseinandersetzung mit einem Nichtmuttersprachler zu gewinnen – ihren Angriff auf die Ukraine hätte ungehindert fortsetzen lassen, wäre er im In- und Ausland als schwach angesehen worden.“ Doch kein Land im Krieg könne sich Schwäche leisten. Dass Selenskyj keinen Frieden wolle, sei „eine gefährliche Lüge“. Es gebe nur eine Kraft auf der Welt, die jederzeit einseitig Frieden bringen könne, und das sei Russland. „Putin kann seinen Truppen befehlen, die Ukraine zu verlassen und den Krieg zu beenden, jederzeit. Aber Putin will keinen Frieden, er will die Ukraine.“

Einen weiteren Beweis dafür erbrachte die russische Armee in der Nacht zum Samstag, als sie ihre Angriffe auf die Ukraine mit unverminderter Härte fortsetzte. Bei einem Drohnenangriff auf eine Wohnsiedlung und ein Krankenhaus in Charkiw wurden zwölf Menschen verletzt, darunter zwei Kinder. Mehrere Wohnhäuser und ein Geschäftsgebäude mit Läden, einem Café und einer Apotheke wurden zum Teil schwer beschädigt.