Fünf Jahre nach Pandemie-Start
Magersucht, soziale Angst: Spuren der Pandemie bei Jugend
Aktualisiert am 02.03.2025 – 06:30 UhrLesedauer: 4 Min.

Ängste, Depressionen, Essstörungen: Beschränkungen der Coronazeit zeigen weiter Folgen für viele Kinder und Jugendliche. Wie steht es fünf Jahre nach dem ersten Lockdown um ihre psychische Gesundheit?
Binnen Wochen verliert Anna gut zehn Kilo, sie friert ständig, hat Haarausfall, die Füße schlafen ein. “Sie war immer schon schlank, ist dann aber wirklich sehr dünn geworden, hat kaum noch gegessen”, erzählt die Mutter über ihre damals 17-jährige Tochter. “Es ging ihr schlecht. Sie wusste, es stimmt etwas nicht, sie brauchte Hilfe.”
Dann sei es glücklicherweise schnell gegangen: Eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Rheinland diagnostizierte Magersucht. Einige Wochen später wurde Anna stationär aufgenommen.
Kinder und Jugendliche leiden auch in Nach-Pandemiezeit
Fünf Jahre nach dem ersten Corona-Lockdown im März 2020 haben die Beschränkungen noch immer bei vielen Kindern und Jugendlichen tiefe Spuren hinterlassen. Die häufigsten psychischen Erkrankungen seien Essstörungen, Depressionen und Angststörungen, berichtet Christine Freitag vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP).
Auch Entwicklungsstörungen – etwa reduzierte Feinmotorik, geringere Sprach- und Konzentrationsfähigkeit vor allem bei den Jüngeren, die nicht in Kita oder Schule gehen konnten, seien einschneidend. “Das kann man nicht einfach so aufholen. Das ist ein gewaltiges Zukunftsproblem für die gesamte Gesellschaft”, mahnt die Medizinerin der Uniklinik Frankfurt.

Unter den Essstörungen kann Magersucht – in der Fachsprache Anorexia nervosa – gefährlich werden und bei extremem Gewichtsverlust tödlich ausgehen. Aktuelle Zahlen zu Neuerkrankungen gebe es nicht, sagt Beate Herpertz-Dahlmann, die seit Jahrzehnten zu dem Thema forscht. “Wir wissen aber, dass die stationären Aufnahmen erheblich zugenommen haben.” Bei Klinikeinweisungen von jungen Magersüchtigen zwischen 9 und 19 Jahren haben Forschende um die Aachener Medizinerin sehr beunruhigende Erkenntnisse gewonnen – besonders mit Blick auf Kinder.
In der Gruppe von 9 bis 14 Jahre – vor allem bei Mädchen – seien die Einweisungen 2023 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 immens gestiegen, nämlich um 42 Prozent. Bei Jugendlichen – 15 bis 19 Jahre – lag die Klinikaufnahme Magersüchtiger 2023 um 25 Prozent höher als 2019, schildert Herpertz-Dahlmann. Basis ihrer Studie waren rund 2,5 Millionen Krankenversicherten-Daten des Verbands der Ersatzkassen (VdEK).
Eine Hochrechnung der VdEK für ganz Deutschland zeigt: Aufgrund von Essstörungen, aber auch von Depressionen und Angststörungen, wurden 2023 erheblich mehr junge psychiatrische und psychosomatische Patienten unter 18 Jahren stationär in Kliniken behandelt als 2019.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Anorexia nervosa als eine der gefährlichsten psychischen Erkrankungen für Kinder und Jugendliche ein. Symptome können sein: niedriger Blutdruck, Bauchbeschwerden, bei Unterernährung dann Mangelerscheinungen, hormonelle Veränderungen, Osteoporose, Haarausfall, mitunter sind weitere Organe einschließlich des Gehirns betroffen. Oft lässt sich ambulant mit Arzt und Psychotherapie gegensteuern, in schweren Fällen ist eine Klinikbehandlung ein Muss.
Warum ist der Anstieg vor allem bei Kindern so stark? “Es scheint so zu sein, dass Kinder unter den Einschränkungen besonders gelitten haben. Sie waren in der Pandemie noch stärker vereinsamt als die Jugendlichen”, sagt Herpertz-Dahlmann. Der Verzicht auf Verein, sportliche Aktivitäten, Lebensort Schule und Miteinander sei für sie vergleichsweise schlimmer gewesen.
Auch die Belastung und Probleme der Eltern daheim hätten Jüngere stärker gespürt als die unabhängigeren Teenager oder jungen Erwachsenen, was Essstörungen wohl ebenfalls begünstigt habe, sagt die frühere Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Aachen. Und: Der Social-Media-Konsum habe gerade bei Kindern zugenommen – und damit die Begegnung mit bedenklichen Schlankheits- oder Körperform-Idealen und Apps etwa zu Gewichtsabnahme oder exzessivem Bodybuilding.