In Hamburg dürfte allen klar sein, dass dieser Wahlsieg, mit dem die Sozialdemokraten auf bemerkenswerte Weise dem Bundestrend trotzen, vor allem ein Sieg Peter Tschentschers ist. Mit deutlichem Abstand zu CDU und Grünen hat die SPD die Bürgerschaftswahl in Hamburg gewonnen. Hätten die Bürger Peter Tschentscher direkt wählen können, hätten Umfragen vor der Wahl zufolge rund die Hälfte von ihnen für den Ersten Bürgermeister gestimmt. Seine Konkurrenten von CDU und Grünen blieben weit abgeschlagen. Auf der Wahlparty unterbrachen die jubelnden Genossen den Ersten Bürgermeister immer wieder mit Sprechgesang: „Pe-ter Tschentscher! Pe-ter Tschentscher!“
Es ist eine bemerkenswerte Karriere für jemanden, der zunächst nur dritte Wahl war. Als Olaf Scholz 2018 seinen Abschied aus Hamburg verkündete, um Finanzminister und Vizekanzler in Berlin zu werden, winkten der SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und die damalige Sozialsenatorin Melanie Leonhard ab. Tschentscher aber, zu dem Zeitpunkt als Finanzsenator in der Stadt kaum bekannt, sagte zur Überraschung vieler zu. Ausgerechnet er ist Hoffnungsträger seiner Partei.
Tschentscher erbte damals von Scholz eine rot-grüne Koalition, die er auch nach seinem Wahlsieg 2020 fortsetzte. Die stritt, anders als die Ampelkoalition in Berlin, nicht öffentlich. Immerhin die Hälfte der Befragten war mit ihrer Arbeit zuletzt zufrieden. An die Zustimmungswerte Tschentschers aber kam das Bündnis nie heran.
Seine Stadt steht gut da
Unter seiner Führung hat sich Hamburg gut entwickelt: Die Wirtschaft boomte lange Zeit, der Zuzug ist enorm, die Stadt ist wettbewerbsstark und schneidet bei Bildungsvergleichen gut ab. Negative Punkte wie die stark gestiegenen Mietpreise; die zunehmende Kriminalität rings um den Hauptbahnhof oder die vielen Staus wurden der SPD nun offenbar nicht angehaftet.
Der Neunundvierzigjährige, der mit seiner Frau einen erwachsenen Sohn hat, arbeitete einst als Oberarzt am Universitätsklinikum Eppendorf. Schon im Studium engagierte er sich in der SPD, mit 45 Jahren wechselte er dann hauptberuflich in die Politik. Die Medizin habe ihn interessiert, weil sie naturwissenschaftliche, psychologische, handwerkliche und soziale Anteile habe, sagte Tschentscher kürzlich. Politik sei Medizin im Großen.
Tschentscher betreibt Politik wie eine Wissenschaft, regiert detailversessen, will die Probleme durchdringen und alles selbst machen. Delegieren ist nicht seine Stärke. Dafür kennt er sich in vielen Themen bis in die kleinsten Verästelungen aus. Zuweilen wirkt seine Art besserwisserisch. Manchmal ist sie auch hinderlich, etwa wenn Beschlussvorlagen im „Nadelöhr“ Senatskanzlei stecken bleiben, weil der Chef sich wieder persönlich über alles beugen muss. Seine Senatskollegen nervt das dem Vernehmen nach teils ordentlich. Bei den Bürgern aber kam Tschentscher damit offenkundig gut an.
Maximaler Abstand zu Berlin
Zum Berliner Politikbetrieb hält er viel Abstand. Das galt zuletzt noch einmal mehr als sonst ohnehin, wohl auch, um nicht in den Abwärtssog der Ampel gezogen zu werden. Die scheiterte aus Tschentschers Sicht weniger an Inhalten, als an den permanenten öffentlichen Auseinandersetzungen und Profilierungsversuchen. So etwas verabscheut Tschentscher. Ein Wechsel von ihm nach Berlin ist schwer vorstellbar. Seinen Angaben nach reizt ihn das nicht. Dort gehe es weniger um die Sache, als um die Konkurrenz zwischen Personen und Parteien, sagte er kürzlich. Sollte er mal aus der Politik ausscheiden, sei die Rückkehr in die Medizin seine erste Wahl.
Wahrscheinlich ist ein solcher Schritt aber nicht. Tschentscher steht im Gegenteil nun davor – wenn er die anstehende Legislaturperiode im Amt bleibt – der am längsten regierende Erste Bürgermeister Hamburgs zu werden.
Im Wahlkampf hat Tschentscher wiederholt deutlich gemacht, dass er gerne mit den Grünen weiterregieren würde, idealerweise mit einer gestärkten SPD. So sehr konnte sich seine Partei dann doch nicht vom Bundestrend entkoppeln; ein paar Prozentpunkte büßten die Sozialdemokraten auch in Hamburg ein. Auch die Grünen mussten Federn lassen. Doch die Mehrheit für eine Fortsetzung des rot-grünen Bündnisses wirkt nach den Prognosen ungefährdet. Die CDU wirbt nun zwar darum, anstelle der Grünen in die Regierung zu gelangen. Doch der Erste Bürgermeister hatte für Rot-Schwarz im Wahlkampf wenig Sympathie erkennen lassen. Er beschrieb die CDU wiederholt als wechselhaft und unseriös.
Allerdings muss er auch bangen, ob die geschwächten Grünen in Zukunft als Koalitionspartner ähnlich kompromissbereit und anpassungswillig sein werden wie zuletzt. Sie dürften versuchen, sich im Bündnis stärker zu profilieren. Auch deswegen, weil die Führung der Grünen in Hamburg klar zum Realo-Lager der Partei gehört, das durch die Niederlage im Bund unter Druck geraten ist. Leichter dürfte das Regieren also auch für Tschentscher nicht werden.