Wie Kompromisse in der Politik gelingen können

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Stand: 04.03.2025 05:09 Uhr

Bei Sondierungs- und Koalitionsgesprächen sind Kompromisse gefragt. Aber wie gelingen die? Aus der Forschung zur Kultur von Kompromissen gehen ein paar grundlegende Regeln hervor.

Von Michael Lang, Leila Boucheligua und Ralf Kölbel, SWR

Die Regierungsbildung werde schwierig, aber “es gibt doch zu einer vernünftigen und zügigen Regierungsbildung in Deutschland gar keine vernünftige Alternative”, sagte CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nach Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse der Bundestagswahl.

Kompromisse sind, so Altkanzler Willy Brandt, “das Wesen der Demokratie”. Aber wie geht man Kompromisse ein? Gibt es dafür ein wissenschaftlich fundiertes Rezept?

Kompromiss als Weg zum politischen Dialog

Der Politikwissenschaftler Ulrich Willems ist zuversichtlich, dass wir bei den nun anstehenden Koalitionsverhandlungen schnell ein Ergebnis sehen werden und diese Koalition – anders als die Ampelregierung – das Ende der Legislatur erleben wird. In der 3sat-Magazinsendung nano betont er: “Wir brauchen eine Konfliktkultur, und wir brauchen eine Kultur des Kompromisse-Schließens. Das ist für die Demokratie essenziell.”

Konrad Adenauer sagte im Mai 1949 in seiner Ansprache nach der Schlussabstimmung über das Grundgesetz, dass jeder Kompromiss Fehler und Mängel habe. Aber ein Kompromiss habe eben, so Adenauer, auch einen großen Vorteil. Er zwinge miteinander zu arbeiten und so den politischen Gegner kennenzulernen.  

Kompromisse helfen bei der Lösung sozialer Konflikte

Ohne ein Miteinander sei kein Kompromiss möglich: “Gut funktionierende Kompromisse verlangen von allen, dass sie sich mit dem Anliegen der anderen Person auseinandersetzen, sie berücksichtigen und dass sie zuhören. Dass sie sich tatsächlich bemühen”, erklärt Véronique Zanetti, Professorin für politische Philosophie an der Universität Bielefeld, gegenüber dem SWR.

Definieren lässt sich der Kompromiss nach Zanetti, als “eine Technik der Regelung sozialer Konflikte”. Kompromisse seien ein “Verhandlungsinstrument” und die letzte Zuflucht, wenn Beteiligte sich trotz des Austauschs von Argumenten nicht einigen könnten.

Wahlkampf versus Regieren

Der Politikwissenschaftler Ulrich Willems erklärt, dass in der Politik die Logik des Wahlkampfes von der des Regierens abzugrenzen sei: “[Im Wahlkampf] geht es darum, sich zu unterscheiden, ein klares Profil zu haben, rote Linien zu ziehen. Beim Regieren geht es darum, Kompromisse zu machen, gemeinsam Ziele zu realisieren und ein Regierungsprogramm auszuformulieren”, erklärt Willems.

Damit ließe sich auch das Scheitern der Ampelregierung erklären. Da die FDP in mehreren Landtagswahlen am Einzug in den Landtag gescheitert war und unter Druck stand, habe sie nach Willems von der Logik des Regierens in die Logik des Wahlkampfs gewechselt – also innerhalb der Regierung Oppositionspolitik betrieben.

Kompromisse auch ohne die eigene Meinung aufzugeben

Kurz vor der Bundestagswahl rief auch Altkanzlerin Angela Merkel zur Mäßigung auf. Nach dem Streit um die Migrationspolitik von Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz mahnte sie, es müsse jetzt “wieder ein Zustand gefunden werden, in dem später auch wieder Kompromisse möglich sind”.

Miteinander reden, zuhören, nach Lösungen suchen und sich am Ende auf einen Kompromiss einigen – das bedeutet nicht, dass man seine politische Meinung aufgeben muss, sagt Véronique Zanetti: “Das Wichtige bei Kompromissen ist, dass alle Beteiligten bei ihrer Meinung bleiben. Sie bleiben weiterhin der Meinung, dass sie recht haben. Dass ihre Ansprüche, die berechtigten Ansprüche sind.”

Die Kunst des gegenseitigen Zugeständnisses

Beim Kompromiss geht es also um Zugeständnisse. Dafür gibt es jedoch keine Zauberformel, sagt die Philosophieprofessorin: “Diese Zugeständnisse müssen aber von allen Parteien gemacht werden. Nicht unbedingt gleichmäßig. Man sagt oft ‘Man trifft sich in der Mitte.’ Das, meine ich, ist nicht erforderlich”, sagt sie. “Manchmal ist es sogar gut, dass man mehr Zugeständnisse macht als andere. Aber mindestens eine Forderung ist, dass alle ein Zugeständnis machen.”

Altkanzler Ludwig Erhard sagte einmal: “Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, er habe das größte Stück bekommen.” Diese Fähigkeit zur Kompromissfindung wird auch heute in der deutschen Parteienlandschaft immer wichtiger, wo Koalitionsbildungen durch das Erstarken der politisch Rechten zunehmend komplexer werden.

Auf jeden Fall würden sich Kompromisse meistens für die Beteiligten lohnen, sagt Zanetti: “Der Gewinn bei Kompromissen ist, dass jede Partei mitgenommen wird. Jede Partei wird ernst genommen. Die Anliegen werden gehört”, so die Professorin. “Natürlich bedeuten Kompromisse auch einen Verlust. Man bekommt nicht das, was man für richtig hält oder sich wünscht. Aber mindestens wird man nicht ignoriert.”

Auch den Wählerinnen und Wählern müsse man womöglich bewusst machen, dass Politik kein Wunscherfüllungskonzert ist, sagt Ulrich Willem. Doch die Gefahr, dass Kompromisse zwischen den Parteien mit einer Enttäuschung bei den Wählenden und damit zukünftigem Stimmverlust einhergehen, hält Willems nicht für dramatisch. Jeder und jede von uns kenne aus dem Alltag die Erfahrung des Kompromissschließens.

Wo Kompromisse ihre Grenzen erreichen

Es gibt aber auch Bereiche, da machen Kompromisse keinen Sinn, sagt Véronique Zanetti: “Zwischen Wissenschaftlern gibt es keinen Sinn, Kompromisse zu schließen. Wenn eine belegte Meinung wissenschaftlich ist, dann wird man nicht sagen, ‘Ok, ich bin anderer Meinung, dann treffen wir uns in der Mitte.’ Die Politik muss das aber tun. Sie hat keine andere Wahl und sie muss verschiedene Anliegen berücksichtigen.”

In der aktuellen Debattenkultur zeigt sich allerdings immer häufiger, dass faktenbasierte Argumentation in den Hintergrund rückt. Stattdessen werden in politisierten Diskussionen zunehmend auch Kompromisse geschlossen, die zwar politische Mehrheiten sichern, aber teilweise auf Kosten von betroffenen Gruppen gehen.  

Dazu stellt Zanetti fest: “Als Ergebnis würde ich sagen, ein Kompromiss ist dann faul, wenn er auf dem Rücken von Dritten getragen wird – wohlwissend, dass diese Dritten schwer benachteiligt sind.”

Nach der Wahl: Kompromisse als demokratische Grundpflicht

Die Wahl ist vorbei. Jetzt beginnt die Arbeit im Parlament. Vielleicht denken einige Politikerinnen und Politiker in den kommenden Tagen an die Worte von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der einmal sagte: Wer keine Kompromisse machen kann, ist für die Demokratie nicht zu gebrauchen.

Für die Zukunft hat die Professorin für politische Philosophie einen Wunsch: “Ich wünsche mir, dass man wieder lernt, zueinander zu gehen. Miteinander zu reden und den unterschiedlichen Meinungen von den Personen auch zuzuhören. Und ohne dass man meint, wir wären die einzigen im Raum, die die richtige Meinung vertreten.”