Papiere liegen auf dem Boden verstreut, Kinder rennen durch dunkle Räume, Männer tragen Ledersessel und mit goldenen Bezügen bespannte Stühle: Es dauerte nicht lange nach der Flucht von Baschar al-Assad, da plünderten Einwohner der syrischen Hauptstadt Damaskus schon den Präsidentenpalast und die Privatresidenz des früheren Herrschers. Zuvor waren schon Rebellen in die Anwesen eingedrungen, feuerten Freudenschüsse in die Luft und filmten sich beim Rundgang durch den Palast. Zu sehen sind schwere Möbel, goldfarbene Vorhänge, Kronleuchter. Immer wieder rufen die Männer „Gott ist groß“. Besonders lang halten sie sich im Schlafzimmer des Diktators auf, bewundern die Eckwanne im anliegenden Bad und stöbern in den Sachen des Herrscherpaars.
Die Bilder sollen zeigen, in welchem Luxus der Diktator gelebt hat, während die syrische Bevölkerung unter seinem Terror litt. Nicht nur die Anwesen von Assad und seiner Familie wurden gestürmt. Im ganzen Land brachen die Islamisten unter Führung der Miliz Hay’at Tahrir al-Scham (HTS) Gefängnisse auf und befreiten die Insassen – eines der Hauptziele der Rebellen. Jahrelang dokumentierten Menschenrechtsorganisationen Folter, sexuelle Übergriffe und Massenhinrichtungen in den Gefängnisses des Regimes. Oft wussten die Angehörigen nicht, wie es den Inhaftierten geht, ob sie noch leben. Am schlimmsten soll das Sednaja-Gefängnis im Norden von Damaskus gewesen sein, das eines der ersten Ziele der Kämpfer beim Einmarsch in die Hauptstadt war.
Regierungschef kündigt freie Wahlen an
Abgesehen von einzelnen Plünderern wirkte der Einmarsch der Islamisten in die Hauptstadt geordnet. So berichten es Beobachter, denen zufolge dies auf eine im Voraus verhandelte Übergabe hindeutet. HTS-Führer Golani hatte schon am Sonntag angekündigt, dass Assads Ministerpräsident Muhammad Ghazi al-Dschalali im Amt bleiben und die staatlichen Institutionen beaufsichtigen solle, während der Präsident bereits das Land verlassen hatte. Der frühere Universitätspräsident Dschalali gilt als vergleichsweise unbelasteter Technokrat, Assad hatte ihn erst im September zum Regierungschef ernannt. In einem Interview mit dem Fernsehsender Al Arabiya sagte Dschalali, er sei in Kontakt mit dem Rebellenführer, um die Übergangsphase zu gestalten, und kündigte freie Wahlen an. Das Schicksal der Armee werde „den Brüdern überlassen, die die Verwaltung des Landes übernehmen“, sagte Dschalali. „Was uns heute beschäftigt, ist die Fortsetzung der Staatsleistungen für die Syrer.“
In der Nacht auf Montag kam Golani Berichten zufolge mit Dschalali und Assads Vizepräsidenten Faisal Mekdad zusammen, um die Abläufe für eine Übergangsregierung zu besprechen. Der Sender Al Jazeera berichtete, dass eine Übergangsbehörde geschaffen werden solle, deren Leitung ein Verwaltungsmann aus den Reihen der Rebellen übernehmen werde. Von Dienstag an sollen dann erste Schritte zurück zur Normalität erfolgen. So kündigte die syrische Zentralbank an, die Finanzinstitutionen würden wieder öffnen. Auch die syrische Währung solle beibehalten werden.

In Damaskus herrschte am Montag indes angespannte Ruhe. Einwohner glauben, dass sie trügt. Sie fürchten, dass es zu bewaffneten Machtkämpfen unter den Aufständischen kommen könnte. Die Stimmung unter den Bewaffneten an den Kontrollpunkten wirkte hingegen gelöst. Immer wieder gab es Freudenschüsse. Auch auf dem zentralen Umayyadenplatz spielten sich Jubelszenen ab. Einwohner tanzten auf einem zurückgelassenen Panzer des Regimes.
Israel will sich nicht einmischen
Unterbrochen wurden die Freudenfeiern in Damaskus durch israelische Bombardements. Das Militär werde „schwere strategische Waffen in ganz Syrien zerstören“, teilte der israelische Verteidigungsminister Israel Katz am Montag mit. Dazu zählten Flugabwehrraketen, Flugabwehrsysteme, Boden-Boden-Raketen, Marschflugkörper, Langstreckenraketen und Küstenraketen. Die Luftangriffe würden in den kommenden Tagen fortgesetzt, hieß es in Regierungskreisen. Außenminister Gideon Saar erklärte, Israel habe kein Interesse, sich in innere syrische Angelegenheiten einzumischen, und sei nur darauf bedacht, seine Bürger zu verteidigen. „Deswegen greifen wir strategische Waffensysteme an, wie zum Beispiel verbliebene Chemiewaffen oder Langstreckenraketen und -geschosse, damit diese nicht in die Hände von Extremisten fallen.“
Zudem, so der israelische Außenminister, solle eine begrenzte Truppenpräsenz am Boden aufrechterhalten werden, um möglichen Bedrohungen, die im Zuge des Sturzes von Assad entstehen könnten, entgegenzuwirken. Das israelische Militär hatte am Sonntag mitgeteilt, Bodentruppen in eine entmilitarisierte Pufferzone zwischen den besetzten Golanhöhen und dem übrigen syrischen Staatsgebiet entsandt zu haben. Saar sagte, die Truppenpräsenz sei räumlich und zeitlich streng begrenzt.