Seit Tagen machen Vorschläge für zwei neue Sondervermögen Schlagzeilen, die von Union, SPD und Grünen kurzfristig beschlossen werden könnten. Es geht in erster Linie um einen 400 Milliarden Euro großen Schuldentopf für Verteidigungsausgaben. Daneben ist ein schuldenfinanziertes Budget für Infrastruktur von 400 bis 500 Milliarden Euro im Gespräch. Vorgeschlagen hat dies eine Ökonomen-Gruppe um Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW).
In einem Hintergrundpapier, das der F.A.Z. vorliegt, konkretisiert Schularick nun die Vorschläge für den Verteidigungsfonds gemeinsam mit bekannten Fachleuten aus der Wirtschaft. Unterzeichner sind neben Schularick der frühere Airbus-Vorstandsvorsitzende Tom Enders, der frühere Telekom-Chef und heutige Airbus-Aufsichtsratschef René Obermann und die Risikokapitalunternehmerin Jeannette zu Fürstenberg. Kern des Papiers ist ein Appell, die Verteidigungsmilliarden gezielt darauf zu richten, im Kriegsfall eine „asymmetrische Überlegenheit“ zu schaffen. Die Autoren schreiben: „In Summe zielen die Vorschläge auf ,das scharfe Ende’ der Verteidigung, also die Überlegenheit auf dem modernen Gefechtsfeld, und weniger auf Unterstützungs- oder Logistikaspekte der Verteidigung.“
Einleitend rufen der Wissenschaftler und die Manager angesichts des russischen Angriffskriegs und der schwindenden Unterstützung Amerikas dazu auf, dass Deutschland jetzt Initiator eines „SPARTA“-Projektes (Strategic Protection and Advanced Resilience Technology Alliance) für die europäische Verteidigung werden müsse. Dies bedeute „das unverzügliche Aufsetzen großer Rüstungsprogramme mit Fokus auf neue Technologien und souveräner innereuropäischer Beschaffung“. Der Krieg in der Ukraine zeige, dass Überlegenheit auf dem Schlachtfeld heute durch Masse in Verbindung mit technologischer Exzellenz erzielt werde. In der Folge zählen die Autoren viele konkrete Maßnahmen auf, die alle innerhalb von sechs Monaten bis höchstens fünf Jahre umsetzbar sein sollen.
„Weiträumiger Drohnenwall über der NATO-Ostflanke“
Kurzfristig fordern sie unter anderem einen „weiträumigen Drohnenwall über der NATO-Ostflanke“. Ein solcher könne, wenn es sich um mehrere zehntausend Kampfdrohnen handele, einen Angreifer wirksam abschrecken. Auch die Unterwasserüberwachung im Baltikum müsse zusammen mit Ostseeanrainerstaaten schnell ausgebaut werden, „um die hybride Kriegsführung Russlands im Bereich kritischer Infrastruktur zu unterbinden“.
Eher mittelfristig halten die Autoren technische Verbesserungen, beispielsweise eine „Europäischen Multi-Domain-Combat-Cloud für die dezentrale, vernetzte Nutzung von Daten auf dem Gefechtsfeld“ für nötig. Zum Thema nukleare Abschreckung empfiehlt das Papier eine Kooperation Deutschlands mit Frankreich und Großbritannien.
Für nicht zielführend halten der Wissenschaftler und die Manager eine Debatte über reine Stückzahlen von Panzern und Flugzeugen. Auch von der Anschaffung weiterer Kampfjets aus Amerika raten sie implizit ab: „Deutschland hat bereits erhebliche Summen für F-35-Kampfjets ausgegeben.“ Für ihren Betrieb seien regelmäßige Software-Updates und Wartungen erforderlich, die US-seitig kontrolliert würden, „was zu einer fortdauernden Abhängigkeit führt“, warnen die Autoren. CDU-Chef Friedrich Merz hatte die F-35 als Gegenstand möglicher Deals mit dem amerikanischen Präsidenten genannt. Das war allerdings vor der Verschlechterung des transatlantischen Verhältnisses.
In der Anlage des Papiers wird außerdem deutlich, wie sich die zur Rede stehenden 400 Milliarden Euro zusammensetzen – und dass aus Sicht der Autoren sogar mehr als 500 Milliarden Euro nötig sein könnten. Die erste Annahme der Autoren ist, dass Deutschland künftig drei bis 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung investieren muss, was 130 bis 150 Milliarden Euro im Jahr entspräche. Die zweite Annahme ist, dass es einer künftigen Bundesregierung gelingen könnte, zehn Milliarden Euro im Jahr aus dem regulären Haushalt für Verteidigung umzuwidmen. „Unter diesen Annahmen müsste das zweite Sondervermögen bis 2035 eine Finanzierungslücke von rund 9,5 Prozent des BIP oder 429 Milliarden Euro (in laufenden Preisen) decken“, heißt es. Da die Autoren nicht an entsprechende Sparanstrengungen der Politik glauben, bezeichnen sie die errechneten Bedarfe als Untergrenze. Ansonsten würde die Finanzierungslücke „noch einmal deutlich steigen und über 500 Milliarden Euro liegen“.