Colonia Dignidad wird zur Gedenkstätte umgewandelt

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Einen Tag vor dem Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier hat die chilenische Regierung am Montag einen Plan zur teilweisen Enteignung der einstigen deutsch-chilenischen Sektensiedlung Colonia Dignidad vorgestellt. Der Plan betrifft mehrere Bereiche und Verbindungswege innerhalb des mehrere tausend Hektar großen Landgutes in Zentralchile. Nach den Plänen soll der Ort in ein nationales Zentrum zur Erinnerung umgewandelt werden.

Die Colonia Dignidad („Siedlung der Würde“) wurde 1961 vom in Deutschland wegen Kindesmissbrauchs gesuchten Sektengründer Paul Schäfer gegründet und aufgebaut. In der befestigten und streng bewachten Anlage, die sich als Erziehungsheim ausgab, wurden Kinder und Jugendliche der Zwangsarbeit unterworfen, körperlich gezüchtigt und sexuell missbraucht. Während der chilenischen Militärdiktatur von 1973 bis 1990 wurde die Kolonie vom chilenischen Geheimdienst als Folterzentrum genutzt. Etwa 100 Menschen wurden in der Colonia Dignidad ermordet, wie Nachforschungen später ergaben. Auch beteiligte sich die Colonia Dignidad am Waffenhandel und an der Waffenproduktion.

Den deutschen Behörden waren die Vorgänge in der Kolonie früh bekannt, wie später aus den Archiven des Auswärtigen Amtes hervorging. So war die deutsche Botschaft in Santiago schon 1967 darüber informiert worden, „dass sich der gesuchte Schäfer mit etwa 60 minderjährigen Kindern in der Colonia Dignidad aufhält“ und Bewohner an einer Flucht gehindert würden. Die Colonia Dignidad zählte jedoch lange auf ein weites Netz von einflussreichen Unterstützern in Chile und auch in der Bundesrepublik Deutschland, das sie gegen Eingriffe und Ermittlungen abschirmte.

Erst lange nach dem Ende der Diktatur in Chile begann die zähe Aufarbeitung der Geschehnisse. Paul Schäfer und zahlreiche andere deutschen Mitgliedern der Kolonie wurden während eines Prozesses im Jahr 2004 verurteilt. In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Prozessen.

Steinmeier trifft Betroffene

Die Colonia Dignidad wurde kurz vor dem Ende der Diktatur über eine Holding in mehrere geschlossene Aktiengesellschaften übergeführt, die bis heute bestehen, und erhielt den Namen „Villa Baviera“ („Dorf Bayern“). Die beteiligten Firmen gehören einem kleinen Kreis von Personen, darunter sind etliche Nachfahren der früheren Sektenmitglieder.

Während Steinmeiers Besuch in Chile stand am Dienstag auch ein Treffen mit Betroffenen und Fachleuten zum Thema Colonia Dignidad auf dem Programm. Der Bundespräsident hatte 2016 als damaliger Außenminister erstmals eine historische Schuld des Auswärtigen Amtes im langen Bestehen der Siedlung eingestanden. Gleichzeitig gab das Auswärtige Amt bekannt, bisher unter Verschluss gehaltene Akten freizugeben. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck drückte im selben Jahr sein Bedauern über den Umgang Deutschlands mit der Colonia Dignidad aus. Die deutsche Diplomatie habe jahrelang weggeschaut und die Unterdrücker gewähren lassen.

2017 wurde eine deutsch-chilenische Expertenkommission ins Leben gerufen, die sich der Aufarbeitung widmet und unter anderem die Umwandlung der zentralen Gebäude in eine Gedenkstätte vorgeschlagen hat. Von den Plänen betroffen sind das Zentrum der Siedlung mit dem Wohnhaus des Sektenführers Paul Schäfer, der als Folterzentrum genutzte Kartoffelkeller und das siedlungseigene Krankenhaus, in dem Siedlungsbewohner unter Zwangsmedikation gestellt wurden.