Was die fehlende Militärhilfe der USA für Kiew bedeutet

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Präsident Wolodymyr Selenskyj sei nicht bereit für den Frieden, so hatte es Donald Trump nach dem desas­trösen Treffen im Weißen Haus kundgetan, „weil er glaubt, dass unsere Beteiligung ihm einen großen Vorteil in Verhandlungen verschafft“. In dem Satz schlummerte schon, was der US-Präsident nach übereinstimmenden Medienberichten am Montag entschied.

Er setzte jegliche Militärhilfe für die Ukraine aus – bis der ukrainische Präsident bereit ist, sich auf Friedensverhandlungen mit Russland einzulassen, deren Bedingungen ihm diktiert werden. Trump will den ukrainischen Präsidenten in die Knie zwingen und lässt dafür nun die größten Muskeln spielen, die Amerika hat.

Wenige Stunden später schien dieses Muskelspiel bereits Wirkung zu zeigen. Kurz vor der ersten geplanten Rede des US-Präsidenten vor dem Kongress veröffentlichte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag eine Erklärung. Er schlug darin die Freilassung von Gefangenen und eine eingeschränkte Feuerpause als erste Schritte vor, um „unter der starken Führung von Präsident Trump einen dauerhaften Frieden zu erreichen“.

Selenskyj machte sich auch die Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des britischen Premierministers Keir Starmer zu eigen, eine „sofortige Feuerpause am Himmel . . . und zu Wasser“ zu erklären, sofern Russland dasselbe tue. Mit seinem Vorstoß wollte der ukrainische Präsident offenbar der Lesart entgegenwirken, er sei – anders als Trump – nicht an einem Frieden interessiert.

Der ukrainische Präsident bekundete „Bedauern“ über den Verlauf seines Treffens mit Trump am vorigen Freitag, bat aber nicht um Entschuldigung. Er zeigte „Dankbarkeit“ für Trumps Entscheidung in der ersten Amtszeit, Kiew mit Panzerabwehrwaffen auszustatten. Ferner bot er an, das Abkommen mit den USA „über Rohstoffe und Sicherheit“ jederzeit zu unterzeichnen. Er beharrte darauf, dass es ein „erster Schritt“ zu „soliden Sicherheitsgarantien“ sei.

Was ein Ende der Militärhilfe für die Ukraine bedeuten würde, hatte Selenskyj schon vor einem Monat dargelegt. Inzwischen stammten 40 Prozent der Waffen, die sein Land einsetze, aus heimischer Produktion, sagte er in einem Interview. „Der Beitrag der Vereinigten Staaten zu den Verteidigungsfähigkeiten und der Sicherheit der Ukraine liegt heute bei etwa 30 Prozent. Sie können sich vorstellen, was ohne diese entscheidenden 30 Prozent mit uns geschehen würde.“ Die verbleibenden 30 Prozent entfallen auf Hilfe aus Europa.

Lieferungen im Wert von einer Milliarde Dollar stehen aus

Nun musste Selenskyj ohnehin darauf gefasst sein, dass Trump die Waffenhilfe seines Vorgängers Joe Biden nicht fortsetzt. Für dieses Jahr hatte der neue Präsident kein Programm in Planung. Nach Angaben des Pentagons sind aus Bidens letztem großen Programm noch 3,85 Milliarden Dollar nicht abgeflossen. Für dieses Geld hätte die Ukraine Waffen aus den Beständen der US-Streitkräfte beziehen können. Außerdem durfte Kiew Waffen bei US-Unternehmen kaufen. Hier sollen noch Lieferungen im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar ausstehen, die im nächsten halben Jahr verschifft werden sollten. Auch das fällt nun unter Trumps Embargo.

Allerdings dürften die Waffen gar nicht der entscheidende Faktor sein. Kiew bekommt von den USA laufend Aufklärungsdaten geliefert, die dem ukrainischen Militär ein Bild vom Schlachtfeld in Echtzeit verschaffen – und damit einen wichtigen Vorteil gegenüber Russland. Außerdem kann es das Starlink-Netzwerk nutzen, das Elon Musks Konzern Space X aufgebaut und der Ukraine gleich nach Kriegsbeginn zur Verfügung gestellt hat.

Das ukrainische Militär betreibt mehr als 47.000 Terminals, von denen aus es auf das private Satellitennetz zugreifen und darüber kommunizieren kann. Die Kosten dafür werden seit Mitte 2023 vom Pentagon bestritten und gehören zur Militärhilfe. Wenn dieses Netz nun abgeschaltet wird, finden sich weite Teile der ukrainischen Streitkräfte plötzlich in einer Art Blindflug wieder.

Die EU-Kommission sah sich deshalb am Dienstag sogleich Fragen danach ausgesetzt, ob sie für Kiew einspringen könne. Ein Sprecher verwies darauf, dass das geplante europäische Netz IRIS2 erst von 2030 an voll einsatzfähig sein werde. In der Zwischenzeit arbeite man an einer Übergangslösung, bei der die bestehenden Fähigkeiten der Mitgliedstaaten verknüpft werden sollen; dieses Programm heißt GOVSATCOM.

Die Ukraine habe ihr Interesse an dem Dienst schon signalisiert, fügte er hinzu, „und wir sehen uns das jetzt an“. Für Aufklärungsdaten könnte sich das Land, wie in der Kommission zu hören ist, auch an kommerzielle Anbieter wenden, die Aufnahmen in hoher Auflösung liefern, wenn auch nicht in der extrem hohen militärischen Qualität. Klar ist: Das kostet viel Geld, und Kiew würde Aufnahmen immer nur mit zeitlicher Verzögerung bekommen.

Auch die Europäer liefern amerikanische Waffen

Was Waffenlieferungen angeht, so haben die Europäer nach Angaben der NATO im Vorjahr erstmals Amerika überholt. Zusammen lieferten beide Seiten Hilfe von 51 Milliarden Euro, davon entfielen 60 Prozent auf ganz Europa, das Vereinigte Königreich und Norwegen eingeschlossen. Die EU-Hilfe betrug etwa 18 Milliarden Euro. Wie weit die Mitgliedstaaten über dieses Niveau im laufenden Jahr hinausgehen können, lässt sich schwer absehen. Zum einen haben sie der Ukraine neben nationalen Hilfen einen Kredit über 18 Milliarden Euro im G-7-Rahmen gewährt, aus dem Kiew auch Waffen beschaffen kann.

Zum anderen versucht die Außenbeauftragte Kaja Kallas, zusätzliche Hilfe im Umfang von sechs bis zehn Milliarden Euro für Artilleriegranaten, Luftverteidigung und die Ausstattung von zwei Brigaden zu mobilisieren. Allerdings muss sie gerade wieder einen Rückschlag verkraften: Auf ungarischen und slowakischen Druck hin hat Ratspräsident António Costa eine direkte Referenz auf diese Bemühungen aus den Schlussfolgerungen für den EU-Sondergipfel am Donnerstag gestrichen.

Ein beträchtlicher Teil der Waffen, die Europa der Ukraine geliefert hat, ist zudem amerikanischer Herkunft: vom Raketenwerfer MARS über das Abwehrsystem Patriot bis hin zu den F-16-Kampfflugzeugen. Diese Systeme und Munition dafür dürfen überhaupt nur mit amerikanischer Zustimmung an Dritte weitergegeben werden. Mitte Februar hatte Trump noch angeboten, dass die Europäer in den USA Waffen kaufen und an Kiew weitergeben könnten. Ob das noch gilt und ob Washington die Weitergabe von eigenem Gerät weiterhin genehmigt, ist offen.

Aus eigenen Beständen haben die USA der Ukraine seit dem russischen Überfall Waffen im Wert von 32 Milliarden Euro geliefert. Darunter waren drei Millionen schwere Artilleriegranaten, die Luftabwehrsysteme Patriot und NASAMS, die Kurzstreckenrakete ATACMS, Panzerabwehrwaffen des Typs Javelin, Stinger-Flugabwehrraketen, Abrams-Panzer und Tausende gepanzerte Fahrzeuge.

Für weitere fast 32 Milliarden Euro durfte Kiew bei US-Rüstungsherstellern einkaufen. Die Ukraine bekam ein-, zweimal pro Woche Lieferungen, die über ein Drehkreuz in Polen abgewickelt werden. Sie erfuhr aber auch, was es heißt, wenn dieser Nachschub ausbleibt.

Zwischen Oktober 2023 und April 2024 war Bidens letztes großes Hilfspaket im US-Kongress blockiert. Zunächst bekam Kiew noch Waffen aus dem vorherigen Paket, doch danach versiegte die Unterstützung aus Amerika weitgehend – nicht allerdings die Aufklärung. Obwohl einige Staaten, vor allem Deutschland und Dänemark, ihre Unterstützung ausbauten, öffneten sich Lücken. Die ukrainische Luftabwehr musste mit Abwehrraketen sparsam umgehen. So gelangen den Russen empfindliche Treffer gegen die Energieinfrastruktur.