Union und SPD in den Verhandlungen: Wo bleibt die Wirtschaft?

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In den vergangenen Tagen drehte sich in den Gesprächen zwischen CDU/CSU und SPD alles um die Frage, in welcher Form und in welcher Höhe Deutschland neue Schulden für die Verteidigung und auch für die Infrastruktur aufnehmen soll. Das Ergebnis ist vor allem ein Erfolg für die Sozialdemokraten: Die Ausgaben für Verteidigung sollen künftig zu einem großen Teil mit Schulden finanziert werden. Und für die Infrastruktur soll es einen speziellen Schuldentopf im Volumen von 500 Milliarden Euro geben – weit mehr, als in früheren Krisen in solchen „Sondervermögen“ bereitgestellt wurde.

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Mittel: CDU-Chef Friedrich Merz will die Einigung nicht als Niederlage für die Union verstanden wissen, auch wenn er im Wahlkampf höhere Schulden noch ausgeschlossen hatte. Doch in seiner Partei grummelt es angesichts dieser Kehrtwende. Nun müsse die CDU aber wenigstens beim Thema Wirtschaft und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ihre Positionen durchsetzen, mahnen die Kritiker.

Wirtschaft? Wettbewerbsfähigkeit? Da war noch was. Das Thema, das die CDU im Wahlkampf immer wieder zu setzen versuchte, spielte in den Sondierungsgesprächen bislang kaum eine Rolle. Wie kann die deutsche Wirtschaft nach zwei Jahren Rezession zurück auf den Wachstumspfad finden? Wie soll es mit dem hohen Anteil der Sozialausgaben im Haushalt weitergehen? Es könnte gut sein, dass die Union auch diesbezüglich Probleme bekommen wird, ihre Positionen durchzusetzen. Die SPD hat mehr Verhandler mit wirtschaftspolitischem Hintergrund nominiert als die Union. Das Team Marktwirtschaft könnte es schwer haben gegen das Team Industriepolitik.

Die CDU berief sich im Wahlkampf gerne darauf, dass die Wähler ihr unter allen Parteien die höchste Wirtschaftskompetenz zusprechen. Friedrich Merz präsentierte sich im Wahlkampf als Macher, der zwar keine Erfahrung im Regieren, aber aus der Privatwirtschaft mitbringt. Allein schon durch seinen Einzug ins Kanzleramt, so die Hoffnung der Union, soll sich in der Wirtschaft ein Gefühl der Zuversicht verbreiten.

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Neben Merz steht im Sondierungsteam der Union vor allem einer für das Thema Wirtschaft: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Von 2013 bis 2021 führte er die einflussreiche Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Partei (MIT) und kritisierte in dieser Funktion auch öfter den früheren CDU-Wirtschaftsminister und Merkel-Vertrauten Peter Altmaier, der Linnemann zu dirigistisch war. Niedrigere Steuern, Arbeitsanreize für Rentner, weniger staatliche Vorgaben und eine Grundsicherung statt des Bürgergelds: All diese Punkte im Wahlprogramm der Union gehen maßgeblich auf Linnemann zurück. Eine „Agenda 2030“, also Reformen in einem Ausmaß wie einst die Agenda 2010 des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder, soll es geben. Linnemanns Ziel ist es, dass die Union in den Koalitionsverhandlungen möglichst viele der Ministerien bekommt, die dafür entscheidend sind. Allerdings könnte, wenn Verteidigung und Infrastruktur künftig vor allem mit Schulden und nicht mehr aus dem Haushalt finanziert werden, der Spareifer etwa beim Bürgergeld auch nicht mehr so groß sein.

Dobrindts Zeit als Verkehrsminister war weniger ruhmreich

Wirtschaftspolitisch erfahren ist auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Seine Zeit als Bundesverkehrsminister von 2013 bis 2017 war allerdings wenig ruhmreich. Der Europäische Gerichtshof durchkreuzte den maßgeblich von der CSU vorangetriebenen Plan, eine Pkw-Maut einzuführen, die faktisch nur Ausländer zahlen müssen. Rund 240 Millionen Euro Schadenersatz musste der Bund aus dem Geld der Steuerzahler den schon beauftragten Unternehmen zahlen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat für seinen Berliner Statthalter nichtsdestotrotz ein „großes und schweres Ministerium“ reklamiert. Dorothee Bär wiederum, die nach der Kritik über die anfangs rein männliche Unionsrunde nun auch mitsondiert, war in der letzten großen Koalition von Angela Merkel Digitalstaatsministerin im Kanzleramt. Sie blieb in dem Amt jedoch blass, auch mangels eines eigenen Budgets und Durchgriffsrechten gegenüber den Ländern.

Dem auf mehr marktwirtschaftliche Elemente zielenden Ansatz der Union stellt die SPD dem von mehr staatlicher Industriepolitik entgegen – inhaltlich wie personell. Parteichef Lars Klingbeil tritt schon lange als Kämpfer für Industriearbeitsplätze auf. Im Wahlkampf tauschte er sich unter anderem mit den Betriebsräten von Bosch und Thyssenkrupp aus. Als CDU-Chef Merz öffentlich anzweifelte, dass es in absehbarer Zukunft genug bezahlbaren Wasserstoff für die Industrie geben wird, nannte Klingbeil das „Gift für Deutschlands Zukunft als Industrieland“. Die SPD will Unternehmen unter anderem mit subventionierten Strompreisen und einem „Made in Germany“-Bonus im Land halten.

Eine Verbündete hat Klingbeil in Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger. Sie hat in ihrem Bundesland einen drei Milliarden Euro schweren „Transformationsfonds“ eingerichtet, der zusätzlich zum Klima- und Transformationsfonds des Bundes weitere Fördermittel unter anderem an Unternehmen vergibt. Zusagen bekamen etwa Saarstahl und der amerikanische Chiphersteller Wolfspeed, wobei der seine Pläne für eine Fabrik im Saarland inzwischen aufgeschoben hat. Der Fonds finanziert sich großteils über Schulden. Das Konzept für den Transformationsfonds stammt von dem saarländischen Finanzminister Jakob von Weizsäcker. Er war es auch, auf dessen Initiative der Vorschlag von Ökonomen entstand, der Bund solle große Schuldentöpfe für die Verteidigung und die Infrastruktur schaffen – das, worüber Union und SPD in den vergangenen Tagen verhandelten. Rehlinger selbst war vor ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin Wirtschaftsministerin des Saarlands.

Mit Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil sondiert für die SPD außerdem noch jemand mit, der die von der Union geforderte Bürgergeldreform auf ein für Sozialdemokraten erträgliches Maß stutzen soll. Nicht unterschätzen sollte man auch Achim Post, der als Chef der SPD in Nordrhein-Westfalen mit dem Ökonomen und SPD-Mitglied Jens Südekum einen Fünf-Punkte-Plan zur Wirtschaftspolitik erstellt hat. Neben einer Reform der Schuldenbremse sieht dieser auch eine Erbschaftsteuerreform und eine Krisenabgabe für Reiche vor. Matthias Miersch wiederum soll die Rückabwicklung des von ihm mitausgehandelten Gebäudeenergiegesetzes – im Volksmund als Heizungsgesetz bekannt – verhindern. Der Klimapolitiker hat über sich selbst einmal gesagt: „Im Herzen bin ich ein Rot-Grüner.“