Clemens Fuest zur Schuldendebatte: „Einen Feiertag streichen“

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Herr Fuest, Sie gehören zu der Ökonomengruppe, die Union und SPD zu zwei Sondervermögen mit insgesamt 900 Milliarden Euro geraten haben. Jetzt gibt es 500 Milliarden für die Infrastruktur und eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigung. Ist das der von Ihnen erhoffte große Wurf?

Ich habe gehofft, dass es einen großen Wurf für die Verteidigung geben wird, das ist erreicht worden. In der sich zuspitzenden Bedrohungslage ist es essenziell, hier schnell zu einer Steigerung zu kommen, das ist die Hauptsache. Aber Union und SPD sind über das Ziel hinausgeschossen.

Erstens sind alle Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausgenommen, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen. Über diesem Wert liegt der Bund heute schon. Es wird also Entlastung im Haushalt und Raum für Kreditfinanzierung anderer Ausgaben geschaffen. 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wären angemessen gewesen.

Und das Sondervermögen für Infrastruktur?

Das ist der zweite Kritikpunkt. Ein solches Sondervermögen hat nicht die gleiche Priorität wie die Verteidigungsausgaben. Aber die SPD hat klipp und klar gemacht, dass sie höhere Verteidigungsausgaben blockiert, wenn sie nicht die Punkte durchbekommt, die ihr wichtig sind. Und das sind seit Jahren höhere Schulden für Infrastruktur. Das Paket hat also Schwächen, aber unter dem Strich ist es besser so, als dass gar nichts passiert und unsere Sicherheit gefährdet wird.

Wie sind Sie in Ihrem Vorschlag mit den anderen Ökonomen eigentlich auf die Summe von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur gekommen?

Es gibt eine Reihe von Studien, unter anderem vom Industrieverband BDI oder vom Institut der deutschen Wirtschaft, IW, die den Bedarf für die kommenden zehn Jahre in dieser Größenordnung beziffern.

Wofür sollte diese gigantische Summe ausgegeben werden?

Entscheidend ist, dass es wirklich zusätzliche Investitionen in Infrastruktur sind – also kein Verschiebebahnhof von Ausgaben aus dem regulären Haushalt, durch den dann mehr Raum für Subventionen und Konsumausgaben des Staates entsteht. Entscheidend ist, dass mit dem Geld auch private Investitionen angeregt werden, zum Beispiel durch Zuschüsse, sogenannte tax credits, wie sie die SPD fordert. Da gibt es einen großen Hebel, denn rund 90 Prozent der Investitionen kommen aus dem Privatsektor. Und es muss natürlich in den Zivilschutz und militärische Ertüchtigung der Infrastruktur investiert werden, stabile Brücken allen voran.

Kann das präsentierte Paket für einen Wachstumsschub sorgen und Deutschland aus der Stagnation befreien?

Das Paket alleine sicher nicht. Entscheidend ist, was jetzt sonst noch kommt. Benötigt wird ein Dreiklang: Angebotsorientierte Reformen wie Deregulierung und Bürokratieabbau, Einsparungen und Umschichtungen im Bundeshaushalt und eben eine gewisse Verschuldung, vor allem für die kurzfristige Finanzierung der Verteidigung. Alleine durch Bürokratieabbau kann das BIP um drei bis vier Prozent wachsen, wie eine aktuelle Ifo-Studie zeigt.

Aber nehmen die neuen Verschuldungsmöglichkeiten nicht gerade den Druck, im regulären Haushalt zu sparen, bei den Sozialausgaben zum Beispiel?

Diese Gefahr besteht definitiv. Sicher ist auch, dass Verteidigung nicht dauerhaft über Schulden finanziert werden kann. Wenn perspektivisch drei Prozent des BIP für Verteidigung aus dem Haushalt kommen sollen, dann muss die künftige Regierung jetzt mit Sparmaßnahmen beginnen. Vor allem bei Subventionen, Renten und Pensionen kann man ansetzen. Aber natürlich wird das politisch schwierig, wenn man zugleich mit einem Sondervermögen neue Schuldenspielräume schafft.

Wo werden die deutschen Schulden perspektivisch stehen, wenn nicht gespart wird und auch keine großen, angebotsorientierten Reformen kommen?

Dann werden sie nicht mehr bei 60 Prozent der Wirtschaftsleistung stehen, sondern auf schätzungsweise 80 Prozent steigen. Ich habe aber die Erwartung, dass die Politik handelt, damit es nicht so kommt.

Werden die zusätzlichen Milliardenausgaben nicht einfach die Preise steigen lassen und womöglich auch die Zinsen?

Die zusätzliche Nachfrage trifft auf eine recht beschäftigte Volkswirtschaft mit immer knapperen Arbeitskräften. Neben dem Bürokratieabbau ist es deshalb entscheidend, das Arbeitsangebot der Menschen zu steigern. Es könnte jetzt zum Beispiel ein Feiertag gestrichen werden, um das zu erreichen. Stattdessen gibt es Forderungen nach mehr Urlaubstagen und kürzeren Arbeitszeiten. Das wäre jetzt der falsche Weg, wenn man Inflation vermeiden und Wachstum fördern will.

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Was passiert, wenn das nicht gelingt?

Dann wird sich die Inflation beschleunigen und auch die Zinsen werden steigen, falls die Geldpolitik dagegenhält. Die Gefahr ist dann, dass private Tätigkeit vom Staat verdrängt wird – und das, wo die Staatsquote schon jetzt fast 50 Prozent beträgt. Da sollten bei einer künftigen Koalition die Alarmlampen leuchten.

Was bedeutet das für private Häuslebauer?

Gerade in der Bauwirtschaft wird es eine große Nachfrage geben. Die Aktienkurse der Bauunternehmen sind schon gestiegen, da werden die Gewinne steigen und es wird teurer. Für private Hausbauer, aber auch Wohnungsbauinvestoren heißt das, dass sie verdrängt werden können. Die Hoffnung wäre, dass die Bauwirtschaft dauerhaft höhere Kapazitäten aufbauen kann, aber da sind die Möglichkeiten begrenzt.

Drohen Privatleuten wegen der neuen Schulden höhere Steuern?

Möglich ist das, aber das würde die Staatsquote weit über 50 Prozent treiben und das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen, weil private Investitionen und Leistungsbereitschaft weiter sinken würden. Wenn man das verhindern will, gilt es Staatsausgaben zu senken oder zumindest den Anstieg zu begrenzen. Möglichkeiten gibt es: Kürzlich hatte ich zum Beispiel dazu geraten, Subventionen abzubauen, Renten und Pensionen zu begrenzen und Leistungen, die nicht primär an Bedürftige gehen, wie etwa das Elterngeld, auf den Prüfstand zu stellen.

Erleben wir gerade den Beginn einer neuen Ära der deutschen Schuldenpolitik – das Ende der Sparsamkeit?

Ja, zumindest für einen begrenzten Zeitraum erleben wir eine neue Schuldenpolitik in Deutschland. Dafür gibt es mit der drastisch verschlechterten Sicherheitslage gute Gründe. Es ist aber nicht so drastisch, wie manche jetzt fürchten. Ein Anstieg der Schuldenquote auf 80 Prozent bis 2035 wäre unerfreulich, aber damit kann man leben.