Quantencomputer von Microsoft und Co. – gibt es tatsächlich einen Durchbruch?

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Microsoft sagt, sein Majorana-1-Chip sei der erste Quantencomputerchip, der mit topologischen Qubits arbeitet.

Microsoft sagt, sein Majorana-1-Chip sei der erste Quantencomputerchip, der mit topologischen Qubits arbeitet.
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Die Tech-Giganten Microsoft, Amazon und Google haben kürzlich Prototypen neuer Quantencomputerchips angekündigt.

Einige Physiker sind skeptisch, ob das Feld wirklich so weit fortgeschritten ist, wie die Unternehmen behaupten.

Wissenschaftler sagen, dass das Feld noch dynamisch sei und sich weiterentwickle und dass es noch Hürden zu überwinden gelte, bevor es nützlich sei.

Nach den jüngsten Ankündigungen neuer Quantenchip-Prototypen von Google, Microsoft und Amazon ist der Bereich des Quantencomputings zunehmend ins Blickfeld gerückt. Dennoch bleiben einige Brancheninsider skeptisch, ob die Technologie wirklich so weit fortgeschritten ist, wie die Unternehmen behaupten.

Googles Willow-Chip löst Aufgabe in fünf Minuten, für die Supercomputer zehn Septillionen Jahre brauchen

Amazon Web Services kündigte am Donnerstag den Ocelot-Chip an, einen Prototyp, der nach Angaben des Unternehmens einen Durchbruch bei der Fehlerkorrektur und der Skalierbarkeit darstellt – zwei Schlüsselprobleme, die den Fortschritt in diesem Bereich lange Zeit gebremst haben.

Amazons Ankündigung folgte einer vorherigen Bekanntmachung von Microsoft vom 19. Februar. In dieser erklärte das Unternehmen, dass es einen neuen Zustand der Materie geschaffen habe, um seinen eigenen neuen Quantenchip Prototyp, den Majorana 1, zu betreiben. Die Entwicklung würde dem Quantencomputing Schwung verleihen.

Googles Prototyp des Willow-Chips wurde im Dezember vorgestellt. Nach Angaben des Unternehmens kann Willow eine Standard-Benchmark-Berechnung in weniger als fünf Minuten durchführen – eine Aufgabe, für die die derzeit schnellsten Supercomputer zehn Septillionen Jahre benötigen würden. Also ein Zeitrahmen, der sogar das Alter des Universums übersteigt.

Die Tech-Giganten behaupten, dass ihre jeweiligen Entwicklungen einen enormen Fortschritt im Bereich der Quanteninformatik darstellten, der letztendlich zu großen gesellschaftlichen Fortschritten führen könnte. Darunter seien etwa die Entdeckung neuer Medikamente, die Entwicklung neuer chemischer Verbindungen oder das Brechen unserer derzeitigen Verschlüsselungsmethoden.

Einige Informatiker und Physiker erklärten im Gespräch mit Business Insider (BI) jedoch, dass das Feld noch dynamisch sei und sich weiterentwickle. Es gelte noch einige Hürden zu überwinden, bevor Quantencomputer nützlich seien.

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Physik-Professorin zu erstem kommerziell nutzbaren Quantencomputer: „Der Witz ist, dass es immer noch 25 Jahre dauern wird“

Virginia Lorenz ist Professorin für Atom-, Molekular- und Optikphysik am Grainger College of Engineering der University of Illinois. Sie sagte, dass es noch viele technische Hindernisse auf dem Weg zu einem voll funktionsfähigen und kommerziell relevanten Quantencomputer gebe. Kommerziell relevant bedeute, ein Quantencomputer, der für den Durchschnittsbürger und nicht nur für Wissenschaftler nützlich sei.

„Der Witz ist, dass es immer noch 25 Jahre dauern wird“, sagte Lorenz, die das erste öffentlich zugängliche Quantennetzwerk gründete, das es auch kleinen Wissenschaftlern ermöglicht, mit der Technologie zu experimentieren.

Die Quanteninformatik ist ein sich rasch entwickelnder Technologiebereich, der auf Informationseinheiten beruht, die Qubits genannt werden, und nicht auf den binären Bits, die beim klassischen Rechnen verwendet werden. Qubits existieren in mehreren Zuständen gleichzeitig und erfordern besondere Bedingungen, wie nur schwaches Licht oder extrem kalte Umgebungen, um Ergebnisse zuverlässig und fehlerfrei zu reproduzieren. Das habe den Fortschritt auf diesem Gebiet verlangsamt.

Die Forscher, die mit BI sprachen, sind sich einig, dass die beiden größten Hindernisse für Fortschritte im Quantenbereich in der Skalierbarkeit und der Fehlerkorrektur liegen. Es besteht jedoch kein Konsens darüber, wie beide Probleme angegangen, geschweige denn gelöst werden sollen.

Anfang Februar erklärte Google der Nachrichtenagentur Reuters, dass das Unternehmen plane, innerhalb von fünf Jahren kommerzielle Anwendungen für das Quantencomputing auf den Markt zu bringen, obwohl einige Brancheninsider skeptisch seien.

Ein Google-Sprecher erklärte im BI-Gespräch, man sei zuversichtlich, was den Ansatz von Willow und den Zeitplan des Unternehmens für kommerzielle Quantenanwendungen angehe. Er fügte jedoch hinzu, dass es wichtig sei, zwischen dem zu unterscheiden, was ein Unternehmen als Durchbruch bezeichnete, und dem, was die breitere Quantengemeinschaft als Durchbruch betrachtete. Außerdem hob der Sprecher die Bedeutung der Peer-Review-Veröffentlichungsprozesse wissenschaftlicher Zeitschriften hervor.

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Nvidia-CEO Jensen Huang skeptisch: Noch 20 Jahre davon entfernt, dass diese Technologie „sehr nützlich“ ist

Obwohl die Tech-Giganten mit verschiedenen Ansätzen Fortschritte bei der Fehlerreduzierung und Skalierbarkeit gemacht haben, erklären Experten für Quantentechnologie im Gespräch mit BI, sie seien nicht annähernd in der Lage, diese Probleme zu lösen.

Troy Nelson, Informatiker und Chief Technology Officer bei Lastwall, einem Anbieter von Cybersicherheitstechnologie, sagte BI, dass die Ankündigungen der einzelnen Unternehmen eher einen weiteren Baustein darstellen würden, den die Industrie verwenden werde, um einen funktionierenden Quantencomputer zu schaffen. Die Ankündigung sei aber keine Lösung an sich.

„Es gibt noch viele Herausforderungen“, sagte Nelson. Zum Beispiel sagte er, dass der Gewinn bei der Fehlerkorrektur, den Amazon mit seinem Ocelot-Chip erzielt habe, „ein Kompromiss für die Komplexität und die Raffinesse der Kontrollsysteme und der Auslesungen des Chips war.“

Rahul Mahajan, Chief Technology Officer der Digital Business Transformation Unit bei Nagarro, einem Technologie- und Beratungsunternehmen, erklärte BI, dass der Schlüssel zu echten Fortschritten in der Quantentechnologie nicht nur in der Messung oder Beobachtung des Verhaltens von Qubits liege, worauf sich die jüngsten Veröffentlichungen der Tech-Giganten weitgehend konzentrieren würden. Es ginge auch darum, sie zuverlässig in die Lage zu versetzen, die komplexen Berechnungen durchzuführen, die sie zu lösen imstande seien.

„Ein Schritt ist die Speicherung von Qubits und das Beobachten. Der zweite sind Transformationen“, sagte Mahajan. „Wir Menschen entwickeln uns weiter, in der Chemie entwickeln sich die Moleküle, die Natur entwickelt sich weiter. Wir können also jetzt Simulationen durchführen – kontrollierte Simulationen – das ist die nächste große, wichtige Aufgabe.“

Diese verbleibenden Hürden haben prominente Skeptiker wie Nvidia-CEO Jensen Huang zu der Aussage getrieben, dass wir noch 20 Jahre davon entfernt seien, dass die Technologie „sehr nützlich“ sei. Selbst Oskar Painter, der Direktor für Quanten-Hardware bei Amazon Web Services (AWS), sagte zu BI, als er das Ocelot-Chipdebüt des Unternehmens diskutiert habe, dass der Zeitrahmen von 20 Jahren wahrscheinlich zutreffend sei.

„Ich denke, dass wir irgendwo zwischen zehn und 20 Jahren praktische, nützliche Quantencomputer haben werden“, sagte Painter. „Aber wir müssen auch einen bescheidenen und realistischen Ansatz für die Arbeit wählen, die wir in Zukunft leisten müssen.“

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Frühere Rücknahmen von Forschungsergebnissen

Von Microsoft unterstützte Forscher haben sich schon früher in Sachen Quantencomputer geirrt.

Zwei in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichte Arbeiten von Microsoft-finanzierten Forschern aus den Jahren 2017 und 2018 behaupteten, ähnliche Materie-Zustände wie in der jüngsten Ankündigung des Unternehmens über seinen Majorana-1-Chip erzeugt zu haben. Sie wurden später zurückgezogen.

In Microsofts neuester „Nature“-Veröffentlichung über seine jüngsten Majorana-Durchbrüche deutet eine Passage in der Peer-Review-Datei darauf hin, dass die Redaktion der Zeitschrift den Behauptungen des Unternehmens immer noch skeptisch gegenübersteht.

„Das Redaktionsteam möchte darauf hinweisen, dass die Ergebnisse in diesem Manuskript keinen Beweis für das Vorhandensein von Majorana-Nullmodi in den berichteten Geräten darstellen“, heißt es in der Peer-Review-Datei. „Die Arbeit wird veröffentlicht, um eine Gerätearchitektur vorzustellen, die Fusionsexperimente mit zukünftigen Majorana-Nullmodi ermöglichen könnte.“

Ein Microsoft-Sprecher erklärte BI, dass das Unternehmen seit der Veröffentlichung der jüngsten „Nature“-Publikation einige allgemeine Fragen zu seiner Methodik erhalten habe. Sie sagten, dass Microsoft seinen Quantenansatz seit der ersten Einreichung des Papiers am 5. März 2024 weiterentwickelt habe.

„Diskurs und Skepsis sind Teil des wissenschaftlichen Prozesses“, sagte der Sprecher. „Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass unsere Forschung weiterhin offen veröffentlicht wird, so dass jeder auf dem aufbauen kann, was andere entdeckt und gelernt haben.“

Der Sprecher fügte hinzu: „Es gibt eine Menge Wissenschaft zu erklären, wenn es um Quantencomputing geht. Wir freuen uns darauf, in den kommenden Wochen und Monaten unsere Ergebnisse zusammen mit zusätzlichen Daten hinter der Wissenschaft zu teilen, die unsere mehr als 20-jährige Vision für Quantencomputing in eine greifbare Realität verwandelt.“

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Sind Microsofts Behauptungen nur Marketing?

Ein führender Quantenphysiker und CEO eines Quantensoftware-Unternehmens erklärte im BI-Interview, dass Microsofts Behauptung, einen neuen Zustand der topologischen Materie erfunden zu haben, kaum mehr als Marketing sei. Sie sprachen unter Anonymität, um zu verhindern, dass ihre Skepsis bezüglich Microsofts Ankündigung Rückwirkungen auf ihr eigenes Unternehmen hat. BI hat ihre Identität überprüft.

„Es ist ein wichtiger Unterschied, dass es heute keinen topologischen Quantencomputer gibt“, sagte der Quantenphysiker.

Dennoch sei die Aufregung um die Weiterentwicklung des Quantencomputers für die Forscher positiv, selbst wenn die Ankündigungen der Tech-Giganten wissenschaftlich nicht aufgingen, so Physikprofessorin Lorenz.

„Es ist ein sich selbst verstärkender Kreislauf, denn mehr Finanzierung bedeutet mehr Interesse, was wiederum mehr Fähigkeiten und mehr Versprechen bedeutet“, sagte Lorenz. „Und ich denke, das ist ein Grund, warum das Thema so plötzlich in der Öffentlichkeit auftaucht, und ein wichtiger Grund, warum wir so viele Nachrichten darüber sehen – denn es gibt noch viel zu tun, um einen Quantencomputer zu bauen, der einen eindeutigen Vorteil gegenüber klassischen Computern aufweist und einige der Versprechen, die wir gehört haben, tatsächlich erfüllt.“