Selbst gigantische Summen fallen schnell in sich zusammen, wenn die Wunschliste immer länger wird. 500 Milliarden Euro für ein Sondervermögen Infrastruktur sorgten am Dienstagabend für blankes Erstaunen. Zwei Tage später mehren sich die Zweifel, ob der Betrag überhaupt wie geplant für die kommenden zehn Jahre reichen wird. 100 Milliarden Euro sollen an die Bundesländer fließen, 400 Milliarden Euro für die Infrastruktur des Bundes aufgewendet werden.
Dabei werden das sanierungsbedürftige Schienennetz und die Autobahnen samt Brücken wohl den größten Batzen verschlingen: Auf 220 Milliarden Euro taxiert Bundesverkehrsminister Volker Wissing den Investitionsbedarf über alle Verkehrsträger hinweg – für die kommenden fünf Jahre bis 2029. Größtes Sorgenkind ist die inzwischen notorisch unpünktliche Deutsche Bahn: Schon vor Monaten hat der Aufsichtsratschef und ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Werner Gatzer einen Schienen-Fonds in Höhe von 150 Milliarden Euro vorgeschlagen. Bei der Autobahngesellschaft veranschlagt Wissing den aktuellen Mehrbedarf auf 25 Milliarden Euro. Ein Betrag, der sich allerdings in den kommenden zehn Jahren angesichts von Preis- und Gehaltssteigerungen leicht verdoppeln könnte. Auch die Luftverkehrsbranche hat Wünsche: Investitionen für die Flughafeninfrastruktur seien ebenfalls dringlich, schließlich handele es sich um „kritische Infrastruktur“, heißt es.
Krankenkassen, Ärzte, Energieverband und NGOs: Alle fordern ein Stück vom Kuchen
Damit wäre der Topf schnell schon geleert, wären da nicht noch die Investitionen in Bildung und Gesundheit, die ebenso abgedeckt werden sollen. Zum Beispiel für Krankenhäuser. Das hat Bedeutung, weil die Bundesländer ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen, die Klinikinvestitionen vollständig zu stemmen. Diese Ausgaben werden daher aus den laufenden Behandlungshonoraren der Krankenkassen quersubventioniert. Das führt zu Fehlanreizen und treibt die Fallzahlen sowie Versicherungsbeiträge hoch. Die Kassen fordern, das Geld aus dem Sondervermögen müsse in den „Transformationsfonds“ fließen, aus dem gemäß der jüngsten Krankenhausreform der Umbau des Klinikwesens bezahlt werden soll. Innerhalb von zehn Jahren sind dafür bis zu 50 Milliarden Euro geplant. Bisher sah das neue Gesetz vor, dass sich Länder und Kassen den Betrag teilen sollten.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßt es, wenn die Kassen vom Transformationsfonds entlastet würden. Sie könnten dann einen Inflationsausgleich für die Kliniken zahlen und die wachsende Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen verkleinern, also höhere Honorare zahlen. Nötig sei auch, das Geld aus dem Sondervermögen dafür zu verwenden, die Hospitäler auf den Klimawandel vorzubereiten. Für Wärmedämmung, effiziente Heizungsanlagen und anderes seien 30 Milliarden Euro erforderlich. Auch die niedergelassenen Ärzte wollen ihren Teil vom Kuchen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fordert frisches Geld für ein Praxiszukunftsgesetz, um dem „Investitionsstau“ zu begegnen. Aus dem Sondervermögen solle unter anderem die aufwendige Struktur hinter der Notfalltelefonnummer 116117 bezahlt werden.
Der Energie- und Wasserverband BDEW zählt die wichtigsten Baustellen im Energiebereich auf, in die das Geld fließen müsse: „Beim Stromnetzausbau stehen Milliardeninvestitionen an, der Zubau steuerbarer Kraftwerke muss ermöglicht werden, für den Wasserstoffhochlauf sind Investitionen in Netze, Erzeugungsanlagen und Speicher wichtige Grundvoraussetzungen.“ Die Wasser- und Abwasserinfrastruktur müsse einbezogen werden. Nichtregierungsorganisationen strecken die Finger ebenfalls nach den Milliarden aus. „Das von Friedrich Merz formulierte Diktum ‚Whatever it takes‘ muss auch für den Klima- und Naturschutz gelten – und damit nicht nur für die Landesverteidigung, sondern auch für die des Planeten“, teilte die Deutsche Umwelthilfe mit.
So groß die Freude über das Sondervermögen quer durch die Branchen ist – alle eint auch die Sorge, dass die neue Bundesregierung den Sondertopf nutzt, um den Haushalt von den Infrastrukturkosten zu entlasten – bei der Deutschen Bahn wären das in den kommenden drei Jahren bis einschließlich 2027 knapp 53 Milliarden Euro, vor allem für Instandhaltung und Investitionen. Dann wäre nur wenig gewonnen – im Gegenteil. Ist das Sondervermögen aufgebraucht, müsste dann durch mühsame Haushaltsverhandlungen der notwendige Spielraum für Investitionen erst wieder geschaffen werden.