Sägt auch Merz die Entwicklungshilfe ab?

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Amerikas Präsident Donald Trump greift auch bei der Entwicklungshilfe zur Motorsäge. Als eine seiner ersten Amtshandlungen unterzeichnete er ein Dekret, das die Auszahlung sämtlicher Auslandshilfen für 90 Tage untersagte. „Wir haben das Wochenende damit verbracht, USAID durch den Häcksler zu jagen“, schrieb sein Chefberater Elon Musk auf seiner Plattform X. Nur einen Tag zuvor hatte er die United States Agency for International Development, also die amerikanische Behörde für internationale Entwicklungshilfe, als „kriminelle Organisation“ bezeichnet. Es sei „Zeit für sie zu sterben“. Musk griff damit Äußerungen von Trump auf, der über USAID geschrieben hatte: „Die Korruption hat ein Ausmaß erreicht, wie man es selten zuvor gesehen hat. Schließen wir sie!“

Anders geht der britische Premierminister Keir Starmer vor, er beschimpft niemanden, sondern schichtet nur nüchtern um: mehr Verteidigung, weniger Entwicklungshilfe. Die Militärausgaben sollen in den nächsten zwei Jahren von 2,3 auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen. Im Gegenzug kürzt er bei der Entwicklungszusammenarbeit. Das Entwicklungshilfebudget wird von zuletzt 0,56 Prozent auf 0,3 Prozent des Bruttonationaleinkommens zusammengestrichen.

Was dem Land nicht dient, soll weitest­gehend wegfallen

Auch die Niederlande positionieren sich neu, sie stellen nun das Eigeninteresse in den Mittelpunkt der Entwicklungshilfe. Was dem Land nicht dient, soll weitest­gehend wegfallen: Projekte für Frauenrechte, Geschlechtergleichstellung, Bildung, Sport, Kultur. Gekürzt werden sollen Mittel für Projekte im Klimaschutz, in der Demokratieförderung und in der multilateralen Zusammenarbeit. Damit setzt die seit dem Sommer regierende, über­wiegend rechte Vier-Parteien-Koalition unter dem parteilosen Ministerpräsidenten Dick Schoof einen neuen Akzent. Ganz neu ist das Prinzip, Entwicklungshilfe an niederländische Interessen zu knüpfen, zwar nicht. Schon unter Schoofs Vorgänger Mark Rutte von der rechtsliberalen Partei VVD, die auch jetzt Koalitionspartner ist, verband die Regierung die Hilfs­gelder mit „Außenhandel“. Aber die Vorgaben sind dezidiert verschärft worden.

In Deutschland hatten die Grünen und die SPD in der vergangenen Legislatur­periode eine Koppelung der Mittel für arme Länder an die Verteidigungsausgaben durchgesetzt, deren Aufwuchs sollte „eins zu eins“ übertragen werden, wie im Koalitionsvertrag der Ampel formuliert worden war. Auch wenn dieser Ansatz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht durchzuhalten war, profitierten das von Svenja Schulze geführte Ministerium (SPD) und das von Annalena Baerbock (Grüne) geleitete Auswärtige Amt von dieser Vorgabe. Geht nun Friedrich Merz (CDU) als Kanzler richtig mit der Säge an die Entwicklungshilfe? Die Union hatte in der Op­position Kürzungsvorschläge zu diesem Aufgabenfeld gemacht. Das deutet darauf hin, dass CDU und CSU andere Prioritäten haben dürften nach dem Motto: Wenn sich die Probleme im Inland ballen, verbietet es sich, mit der dicken Geldbörse durch das Ausland zu ziehen.

Deutschland ist eines der großzügigsten Länder der Welt. Nach der Erhebung der Industrieländerorganisation OECD hat die Bundesrepublik zuletzt 35 Milliarden Euro für Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance – ODA) aufgebracht. Nicht nur aus dem Etat des Entwicklungsministeriums fließen Mittel, auch die Ausgaben anderer öffentlicher Stellen gehen in die Statistik ein. So gehören humanitäre Hilfen dazu, die das Auswärtige Amt in Notlagen wie in Hungerkrisen oder nach Erdbeben leistet. Aber auch mit Flüchtlingen in Deutschland verbundene Kosten und die Mittel für Studenten aus armen Ländern zählen dazu. Alles in allem ist Deutschland der zweitgrößte Geber nach den absoluten Zahlen.

Deutschland ist zweitgrößter Geber

Bezogen auf die Wirtschaftsleistung steht die Regierung in Berlin ebenfalls gut dar. Sie kann auf eine Quote von 0,82 Prozent verweisen. Deutschland liegt damit zum vierten Mal in Folge über dem internationalen Zielwert von 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Vereinigten Staaten kommen nur auf 0,24 Prozent, obwohl sie vor Trumps Rückkehr ins Weiße Haus unangefochten die größten Zahlen in absoluten Werten vorweisen konnten. Großbritannien erreichte zuletzt 0,58 Prozent, die Niederlande 0,66 Prozent. Eine höhere Quote als Deutschland haben Norwegen, Luxemburg und Schweden.

2023 gab London 15,3 Milliarden Pfund für Entwicklungshilfe aus. In absoluten Zahlen wird die Kürzung etwa 6 Milliarden Pfund betragen. Künftig dürfte Großbritannien 9,2 Milliarden Pfund für Entwicklungshilfe ausgeben; wobei ein großer Teil dieses Budgets für Asylbewerber ausgegeben wird, künftig fast die Hälfte.

Gerade auf dem linken Flügel der Labourpartei, die traditionell für mehr Hilfe für Entwicklungs- und Schwellenländer steht, hat die drastische Kürzung der Mittel große Unruhe ausgelöst. Entwicklungsministerin Anneliese Dobbs kündigte ih­ren Rücktritt an. Wenn sich Britannien zurückziehe, überlasse es Russland und China das Feld, klagte sie. Es werde bei dem gekürzten Budget unmöglich sein, die zugesagte Hilfe für Gaza, Sudan und die Ukraine noch zu bezahlen, meint Dobbs.

Die drei größten Empfängerländer von bilateraler Hilfe waren zuletzt die Ukraine mit 250 Millionen Pfund, Äthiopien mit 164 Millionen Pfund und Afghanistan mit 115 Millionen Pfund. Afrika ist die Region, die mit 1,2 Milliarden Pfund am meisten bekam. Dobbs schrieb in ihrem Rücktrittsbrief, dass die Budgetkürzung wahrscheinlich zum Rückzug der bri­tischen Entwicklungshilfe aus mehreren afrikanischen, karibischen und Westbalkanländern führen müsse. Das sei falsch, weil Russland seine globale Präsenz verstärke und China die globalen Regeln neuschreiben wolle, meinte sie.

In Berlin sinkt der Druck, die Entwicklungshilfe zu kappen

Großbritanniens Entwicklungspolitik hat in den vergangenen Jahrzehnten schon einige Wenden durchgemacht. Un­ter dem Labour-Premier Tony Blair wurden die Zahlungen vor einem Vierteljahrhundert stark ausgeweitet. Er setzte das Ziel von 0,7 Prozent des BIP, das Britannien von 2013 bis 2020 tatsächlich erreichte – als eines der wenigen Industrieländern. Der konservative Premier Boris Johnson kürzte in der Pandemie das Hilfebudget von 0,7 auf 0,5 Prozent.

Schon vorher hatte die konservative Regierung das eigenständige, in der Blair-Zeit gegründete Entwicklungsministerium aufgelöst und das Ressort ins Außenamt eingegliedert. Das sollte zu mehr Effizienz führen. Und es sollte sicherstellen, dass bei Hilfsprogrammen auch die außenpolitischen und geopoli­tischen Ziele mitgefördert werden. Entwicklungszusammenarbeit sollte auch der Stärkung von eigenen Handels- und Wirtschaftsinteressen dienen. Eigentlich hatte die Linke nach der Labour-Regierungsübernahme erwartet, dass Großbritannien wieder mehr ausgibt. Umso stärker wirkt nun die kalte Dusche.

Die Regierung in Den Haag will 2,4 Milliarden Euro einsparen, sodass 2029 noch ein Etat von 3,8 Milliarden Euro übrig bleibt. Der Anteil am Bruttonationaleinkommen sinkt von 0,62 Prozent im vergangenen Jahr auf 0,44 Prozent im Jahr 2029, wie Außenhandels- und Entwicklungshilfeministerin Reinette Klever von der Rechts-außen-Partei PVV kürzlich in einem Brief ans Parlament schrieb. „Die Niederlande sind ein Land mit starken Schultern und einem hervorragenden in­ternationalen Ruf, aber wir können nicht alle Problemen der Welt mit Ent­wicklungshilfe lösen.“ Gegenüber der Zeitung „De Telegraaf“ wurde sie konkret: „Wir geben auch UN-Organisationen weniger.“

Der Beitrag an das Kinderhilfswerk UNICEF und das Entwicklungsprogramm UNDP werde halbiert, „und mit UN Women hören wir ganz auf“. Weitere Bei­spiele für wegfallende Projekte: solche, die grüne Energie erzeugen, und solche, die Frauen für Arbeit in der Politik ausbilden. Hingegen soll gefördert werden, was helfen könnte, die Einwanderung zu begrenzen, zum Beispiel Investitionen in den Anbau von Nahrungsmittelsicherheit und die Wasserversorgung in Afrika. Auch humanitäre Hilfe nach Katastrophen und in Hungersnöten soll weiterhin fließen. Die Zeitung „de Volkskrant“ weist darauf hin, dass in den vergangenen Jahren zunehmend Mittel aus dem Entwicklungshilfehaushalt abgeknapst worden seien, um Asylanten in den Niederlanden unterzubringen. Dieser Aspekt relativiert das Sparvolumen.

In Berlin sondieren gerade Union und SPD, ob und wie sie in den nächsten vier Jahren gemeinsam regieren können. Als erstes Ergebnis haben sie eine Änderung des Grundgesetzes verabredet, die ihnen zusätzliche Kredite in gigantischer Höhe ermöglichen würde. Weil künftig steigende Verteidigungsausgaben nicht mehr im Rahmen der Schuldenregel berücksichtigt werden, sinkt der Druck, die Entwicklungshilfe zu kappen, um an Mittel für das Militärische zu kommen. Doch aufatmen können die Entwicklungspolitiker erst, wenn sie im Koalitionsvertrag und in der Finanzplanung ungeschoren davonkommen sollten.