Künstliche Intelligenz: Wo liegen die Grenzen von KI?

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ZEIT Campus: Frau Arntz, eine Studie des Weltwirtschaftsforums sagt, in den nächsten fünf Jahren wird mehr als jeder zehnte Job weltweit von KI übernommen. Gleichzeitig sollen fast genauso viele Stellen neu entstehen. Wie passt das zusammen?

Melanie Arntz: Technischer Fortschritt ist immer zerstörerisch und schöpferisch zugleich. Das war in allen technologischen Wellen der Fall und ist bei KI nicht anders. Einerseits nehmen uns neue Technologien Tätigkeiten ab, andererseits werden wir mit ihnen leistungsstärker, und neue Berufsfelder entstehen. Dass jeder zehnte Job verschwinden soll, finde ich trotzdem sehr hoch gegriffen. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen: Am Ende wird es oft weniger schlimm als erwartet.

ZEIT Campus: Wie meinen Sie das?

Arntz: Neue Technologien lösen immer wieder die Diskussion aus, wie viele Jobs durch sie verloren gehen. So war es auch vor zehn Jahren, als es losging mit der digital vernetzten Automatisierung. Eine Studie prophezeite damals, dass in den nächsten zwanzig Jahren die Hälfte aller Jobs in den USA wegfallen würde. Bisher zeichnet sich das überhaupt nicht ab. Irgendwann stellt sich meistens heraus, wie schwierig es ist, den Menschen zu ersetzen. Das Narrativ, Technologie nimmt uns immer etwas weg, ist sehr alt.

ZEIT Campus: Wann ging es damit los?

Arntz: Schon während der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert. Damals ging es vor allem darum, manuelle Tätigkeiten zu unterstützen oder zu ersetzen. Die Weber und Spinner fürchteten, bald überflüssig zu sein, wegen mechanischer Webstühle oder der Spinning Jenny, der ersten industriellen Spinnmaschine. Mittlerweile wissen wir: Wir hätten unseren heutigen Wohlstand nicht erreichen können, wenn wir uns immer noch mit so wenig produktiven Tätigkeiten aufhalten würden.

ZEIT Campus: Warum sagen dann auch heute etwa 40 Prozent, KI mache ihnen Angst?

Arntz: Das hat mit zwei Dingen zu tun: Zum einen überschätzen wir, wie schnell der Wandel wirklich ist. Es gibt zwar immer mehr Unternehmen, die mit KI arbeiten, aber es wird noch Jahre dauern, bis sich das in der Breite durchsetzt. Zum anderen wirkt KI auf den ersten Blick sehr mächtig: Ich frage ChatGPT etwas und bekomme Sekunden später zig Seiten Text. Natürlich zweifelt man da, was man selbst noch beitragen soll. Die meisten Leute durchdringen die neue Technologie nicht genug, um auch ihre Grenzen wahrzunehmen.

ZEIT Campus: Wo liegen die Grenzen von KI?

Arntz: Überall dort, wo es nicht um analytische Prozesse oder Informationsverarbeitung geht, sondern um menschliche Interaktion. Also in Pflegeberufen, im Erziehungsbereich. Oder bei konzeptionellen Dingen. Eine KI kann zwar Bilder erschaffen oder Musik komponieren. Aber Ideen zusammenzubringen und weiterzuentwickeln, das sind Sachen, wo ich in absehbarer Zeit keine KI sehe.

ZEIT Campus: In welchen Branchen wird es die stärksten Veränderungen geben?

Arntz: Zum Beispiel in der Buchhaltung oder Sachbearbeitung, überall, wo es viele administrative Vorgänge gibt. Da kann KI eine Chance sein. Prozesse können so vorbereitet werden, dass ein Mensch am Ende nur noch mal kurz draufschauen muss. Das würde uns entlasten, wenn man sich gerade die Arbeitsverdichtung und mentale Belastung anschaut. Im Unterschied zu vergangenen Jahrzehnten wird KI aber auch höher qualifizierte Jobs treffen, etwa Programmiererinnen, Mathematiker, Juristinnen oder Wissenschaftler.

ZEIT Campus: Was brauche ich, um mithalten zu können?

Arntz: Man kann mit KI nur produktiv sein, wenn man Grundwissen hat. Das ist wie mit DeepL. Das Übersetzungs-Tool ist nur dann wirklich hilfreich, wenn ich so viel Sprachkenntnisse habe, dass ich die Qualität der Übersetzung grob einschätzen kann. Übertragen heißt das: Ein Studium oder eine Ausbildung bleiben wichtig für das Fachwissen. Aber man sollte eben nicht nur Wissen anhäufen, sondern auch andere Fähigkeiten trainieren, etwa vernetzt zu denken. Wenn man das kann, wird man sich gut an KI und alle kommenden Technologien anpassen können.