Am ersten Tag der Amtszeit von Donald Trump kam die „Stop Work“-E-Mail aus Washington. Seitdem weiß niemand im Wits Reproductive Heath and HIV Institute der Johannesburger Witwatersrand-Universität, wie es weitergeht. Mitarbeiter bangen um ihre Jobs, HIV-infizierte Patienten um ihre Versorgung, von „katastrophalen Folgen“ für das Gesundheitswesen ist die Rede. Zwar sollen „lebensrettende“ humanitäre Hilfen weiter gewährt werden. Doch die Krux steckt im Detail. Organisationen, die sich um Patienten aus der LGBTQ-Gemeinschaft kümmern, sind seit Wochen vorübergehend geschlossen. Medienberichten zufolge erhielten mehrere dieser Programme die herbe Nachricht, ihre Zuschüsse würden dauerhaft gestrichen.
Afrika ist nahezu flächendeckend von Trumps Entscheidung, Auslandshilfen der US-Entwicklungsbehörde USAID für 90 Tage einzufrieren, betroffen. In Staaten wie Liberia hängt das Gesundheits-, das Bildungs- und das Sozialsystem faktisch von Hilfsgeldern ab. Schilder und Zelte mit der Aufschrift USAID gehören zum Stadtbild, Nichtregierungsorganisationen zu den wichtigsten Arbeitgebern. Eine Suspendierung der Entwicklungshilfe aus den USA wäre in Liberia vergleichbar mit einem Einbruch des Bruttonationaleinkommens um bis zu vier Prozent, hat die Denkfabrik Center for Global Development in Washington ausgerechnet.
In Südafrika trifft es vor allem HIV/AIDS-Projekte
In Südafrika ist die Lage eine andere. Die führende afrikanische Volkswirtschaft gehört nicht zu den klassischen Empfängerländern. Da das Land aber von HIV und AIDS besonders betroffen ist, haben solche Projekte einen hohen Stellenwert. Die amerikanische Entwicklungshilfe für Südafrika beschränkt sich fast ausschließlich auf das Programm PEPFAR (President’s Emergency Plan for AIDS Relief), das von USAID umgesetzt wird. Während der südafrikanische Staat die Kosten der Medikamente trägt, finanziert PEPFAR begleitende Programme und vor allem die Forschung.
Die Sorge ist nun groß, dass auch diese Mittel dauerhaft gestrichen werden könnten. Südafrika ist heute führend in der Forschung über HIV/AIDS und Tuberkulose, beispielsweise bei der Entwicklung von Impfstoffen und klinischen Tests. Letztere können dort nicht nur günstiger umgesetzt werden als in Industrienationen, es besteht auch eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur. Das zeigte sich schon in der Corona-Pandemie, als südafrikanische Wissenschaftler die sich schnell verbreitende Omikron-Variante entdeckten.
In der vergangenen Woche teilte das Außenministerium in Washington mit, dass gut 92 Prozent der Verträge der Behörde im Wert von insgesamt 54 Milliarden Dollar gestrichen würden. Zwar wies das Oberste Gericht der USA die amerikanische Regierung am Mittwoch an, die von ihr eingefrorenen Gelder auszuzahlen. Aber endgültig entschieden ist der Fall damit noch nicht.

Tausende Kolumbianer spüren schon jetzt am eigenen Leib, was es bedeutet, wenn die Hilfsgelder aus Washington nicht mehr fließen. Sie mussten Ende Januar aus ihrer Heimat im Norden Kolumbiens flüchten, nachdem dort heftige Gefechte zwischen zwei rivalisierenden Guerillagruppen ausgebrochen waren. Mindestens drei humanitäre Hilfsorganisationen, die mit amerikanischen Hilfsgeldern finanziert werden, mussten ihre Operationen für die betroffene Bevölkerung nach Trumps Ankündigung zu USAID einstellen.
Kolumbien, wo trotz des Friedensvertrags mit der FARC-Guerilla vielerorts gewaltsame Konflikte aufflackern und Menschen vertrieben werden, erhält im Vergleich mit anderen Ländern Lateinamerikas und der Karibik mehr Hilfsgelder aus den Vereinigten Staaten als jedes andere Land. Im Jahr 2023 flossen laut den Daten der Regierung in Washington allein über USAID rund 400 Millionen Dollar nach Kolumbien. Die Hilfe erreicht nicht nur die kolumbianische Bevölkerung in Notsituationen, sondern in großem Maße auch venezolanische Migranten, die täglich über die Grenze gelangen und deren Zahl in Kolumbien auf mehr als zwei Millionen angewachsen ist. Ein Programm zur Integration dieser Venezolaner in den kolumbianischen Arbeitsmarkt ist ebenfalls von dem Stopp der US-Auslandshilfe betroffen. Auch in Peru und Brasilien sind Einrichtungen tangiert, die sich um venezolanische Migranten kümmern.
China könnte das Vakuum ausfüllen
In verschiedenen Ländern Lateinamerikas zielen langfristige von USAID geförderte Programme darauf ab, die Ursachen der Migration zu bekämpfen, die von politischer Unterdrückung über Gewalt bis hin zu klimatischen Veränderungen reichen. Eine Einstellung der Programme, so befürchten Fachleute, könnte den Migrationsdruck erhöhen und damit genau das Gegenteil dessen bewirken, was Trump eigentlich will. Rückschritte sind auch in anderen Bereichen zu befürchten, zum Beispiel bei der Bekämpfung des Drogenhandels. Sowohl in Kolumbien wie auch in Peru laufen mehrere landwirtschaftliche Projekte, um Koka-Pflanzern neue Perspektiven aufzubauen.
Nicht zuletzt weisen Beobachter auch auf die geopolitische Komponente hin. Eine drastische Kürzung der Mittel wird nicht nur den Einfluss und den guten Willen untergraben, den Washington sich damit aufgebaut hat, sondern auch anderen die Türen öffnen, um in das Vakuum einzudringen. In einem Protestbrief an US-Außenminister Marco Rubio warnen mehr als 700 Diplomaten davor, das Ende von USAID würde die Führungsrolle und Sicherheit der Vereinigten Staaten untergraben und ein Machtvakuum schaffen, das China und Russland ausnutzen könnten.

Das lässt sich in Südostasien beobachten. In der Region diente die Entwicklungshilfe aus den USA bislang unter anderem als Instrument im strategischen Wettbewerb mit China. Verbündete der USA warnen, dass nun Peking in die Lücken vorstoßen könnte, die der Rückzug der amerikanischen Entwicklungshilfeorganisationen aus der Region reißen würde – etwa bei der Räumung von Landminen und anderen nicht explodierten Sprengsätzen in Kambodscha, Laos und Vietnam. Peking soll nach der Einstellung der Zahlungen aus Washington einer kambodschanischen Organisation mehrere Millionen Dollar zusätzlich für die Minenräumung zur Verfügung gestellt haben.
Die Entwicklungshilfe aus den USA wird unter anderem für die Entfernung amerikanischer Blindgänger aus dem Vietnamkrieg benötigt, die dort noch tonnenweise im Boden liegen. In Vietnam steht zudem ein großes Projekt zur Entgiftung der Bien Hoa Air Base von Dioxin-Resten infrage. Der Stützpunkt diente den Amerikanern im Vietnamkrieg als Lagerstätte für das als „Agent Orange“ bekannte Entlaubungsgift. In dem Land leiden heute noch 1,2 Millionen Menschen unter den Folgen der Verseuchung großer Landstriche.
Sollte die Minenräumung eingestellt werden, könnten die Folgen Fachleuten zufolge verheerend sein. „Es geht um Leben und Tod“, sagt Bill Morse, der Gründer der Organisation Cambodian Self Help Demining der F.A.Z. Der Amerikaner verwies darauf, dass allein in Kambodscha in den vergangenen 30 Jahren 65.000 Menschen durch Minen und Sprengsätze getötet worden seien – erst vor Kurzem zwei Kleinkinder beim Spielen mit einer alten Granate. Medienberichten zufolge soll Washington mittlerweile eine Ausnahmeregelung für die Minenräumung in Kambodscha erlassen haben. Doch die Lage bleibt unklar. „Ich habe noch keine gesicherten Erkenntnisse“, sagt Morse.
Auftrieb für den IS droht
Das wichtigste Empfängerland von US-Entwicklungshilfe in Südostasien war im vergangenen Jahr Myanmar mit 225 Millionen Dollar. Unmittelbar zeigten sich die Folgen des Zahlungsstopps in der Gesundheitsversorgung Tausender Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland. Im Land selbst sollen aber auch AIDS-Programme und Lebensmittelhilfen betroffen sein. UN-Schätzungen zufolge stehen dort zwei Millionen Menschen vor einer Hungersnot.

Der Rückzug von USAID wirft auch Fragen für Deutschland auf, das als Geber damit zusätzliches Gewicht bekommt. In sechs der acht einkommensschwachen Länder, die am stärksten vom Einfrieren der US-Mittel betroffen sind, ist Deutschland der nächstgrößere bilaterale Geber. Das geht aus der oben genannten Studie des Center for Global Development hervor. Damit wachsen die Erwartungen der Empfängerländer und anderer Geber an Deutschland, eine stärkere koordinierende Rolle zu übernehmen und Ausfälle amerikanischer Mittel teilweise zu kompensieren.
Ein Beispiel, in dem das aktuell schon der Fall ist, ist ein Projekt zur Deradikalisierung und Reintegration internierter Frauen und Kinder von IS-Kämpfern in Syrien. Die Mittel für das Projekt würden, auch aufgrund der ausgesetzten US-Förderung, um rund 15 Prozent erhöht, ist aus dem Auswärtigen Amt zu hören. Die Selbstverwaltung Nordostsyriens hatte sich hilfesuchend an die Bundesregierung gewandt, nachdem die Amerikaner zu erkennen gegeben hatten, dass die Finanzierung für die Deradikalisierung, Bildung und Gesundheit für die Insassen der Gefangenenlager Al-Hol und Al-Roj in wenigen Wochen auslaufen könnte.
Die Projekte richten sich an syrische, irakische und auch europäische Angehörige früherer IS-Kämpfer. Deutschland hat im vergangenen Jahr als zweitwichtigster Geber gut acht Millionen Euro für Projekte in und um die Lager bereitgestellt. Der Irak habe bereits die Rücknahme eigener Staatsbürger aus den Lagern gestoppt, weil die Finanzierung nicht mehr gesichert sei, heißt es aus der kurdischen Verwaltung Nordostsyriens. Wenn sich keine anderen Geber fänden, greife Plan B: Bis Ende des Jahres sollen möglichst viele der Lagerinsassen freigelassen werden. Das, so warnt die Verwaltung, könne der Terrormiliz neuen Auftrieb geben.