„Donald Trump ist nicht pro-russisch“

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Herr Poroschenko, Sie haben sich nach dem denkwürdigen Treffen im Weißen Haus öffentlich hinter den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gestellt. Gibt es aus Ihrer Sicht trotzdem etwas, das er hätte besser machen können?

Sie nennen das denkwürdig? Das Treffen war katastrophal. Ich denke, sowohl Selenskyj, die Ukraine als auch Trump wären froh, wenn dieses Treffen nicht stattgefunden hätte. Ich bin in der Welt der Diplomatie zuhause. Und ich kann mich nicht erinnern, jemals 60 derart katastrophale Minuten gesehen zu haben. Es war schlecht für die Ukraine und nützt nur einem Mann (er deutet auf ein Bild Wladimir Putins, auf dem dieser Handschellen trägt). Das ukrainische Verhandlungsteam hat leider sehr schlechte Beziehungen zur Trump-Administration und das ist inakzeptabel. Man müsste das ganze Team austauschen!

Was bedeutet „das ganze Team“?

Alle, die im Oval Office waren – bis auf den Präsidenten natürlich. Aber den Leiter des Präsidialamts, die Botschafterin, die Minister. Ich sage nicht, dass alle zurücktreten sollten. Aber ihr Verhalten schadet der Ukraine und unseren Beziehungen zu den USA. Und damit schadet es unserer Sicherheit und der Sicherheit der Welt. Und es hat eine anti-amerikanische Welle im Land ins Rollen gebracht. Manche sagen jetzt, Trump sei pro-russisch. Das ist einfach nicht wahr. Ich kenne Trump seit 2016. Wir hatten viele Treffen und haben gemeinsam großartige Ergebnisse erzielt. Er ist aber auch nicht pro-ukrainisch, er ist pro-amerikanisch. Deshalb sollte man ihm erklären, wie Amerika von unserem Sieg profitieren kann.

Petro Poroschenko im Gespräch mit der F.A.Z.
Petro Poroschenko im Gespräch mit der F.A.Z.Daniel Pilar

Aber war Selenskyjs Siegesplan mit dem Rohstoff-Vorschlag nicht genau so ein Versuch?

Man muss mit Trump anders arbeiten. Er ist heute stolz darauf, dass er uns als Erster Waffen geliefert hat. Er ist stolz auf die Nord Stream-Sanktionen, die nicht mit Berlin abgesprochen waren. Man hat bei ihm mit den Biden-Methoden keine Chance. Das sind zwei völlig verschiedene Welten. Bei Biden muss man an Werte appellieren und Trump ist eben ein…

Ja, das ist ja nicht besser oder schlechter. Es erfordert nur eine andere Sprache der Diplomatie. Ein Beispiel: Als ich als Präsident in den USA war, habe ich Trump ein Geschenk mitgebracht, eine große Kiste. Trump fragte: „Was ist das?“ Ich sagte: „Ein Geschenk, es ist sehr wertvoll. Es ist eine Milliarde Dollar wert.“ Trump war neugierig und öffnete es. In der Box war kein Diamant, sondern ein großes Stück Kohle. Ich sagte zu ihm: „Ich habe einen Vertrag über den Kauf von Kohle im Wert von einer Milliarde Dollar mitgebracht. Lassen Sie uns zusammen nach Pennsylvania gehen und diesen Deal dort den Arbeitern präsentieren, die für Sie gestimmt haben.“ Trump war begeistert.

Was sollte man jetzt tun?

Es braucht einen neuen Ansatz ohne Streit: Trump will einen Waffenstillstand, dann stimmen wir zu! Er will ein Rohstoffabkommen? Zustimmen! Denn allein Putin ist es, der den Krieg braucht. Auf diese Weise können wir nur gewinnen: Wenn Putin dem Waffenstillstand zustimmt, ist der Krieg beendet. Und wenn er ablehnt, sind die Amerikaner wieder auf unserer Seite. Denn dann sehen sie, wer dem Frieden wirklich im Weg steht.

Poroschenkos Zukunftsträume? Ein Treffen mit Trump und Putin in Handschellen
Poroschenkos Zukunftsträume? Ein Treffen mit Trump und Putin in HandschellenDaniel Pilar

Nachdem Trump ihn öffentlich herabsetzte, stieg Selenskyjs Popularität in der Ukraine stark an. Das zeigen Umfragen. Ärgert Sie das, immerhin sehen Sie ihn ja als politischen Konkurrenten?

Steigende Umfragen? Wären wir im Wahlkampf, wäre das für ihn natürlich eine super Sache. Aber es kann sein, dass wir bald keinen Staat mehr haben, in dem gewählt werden kann. Jetzt auf Umfragen zu schauen ist unverantwortlich. Denn jetzt sollten wir über die Zukunft der Ukraine nachdenken. Und nicht über Wahlen. Denn Wahlen bedeuten Streit. Streit bedeutet fehlende Einheit. Fehlende Einheit aber macht uns zu einem schwachen Land. Sie waren in Pokrowsk, ich war auch vor ein paar Tagen dort. Die Situation ist katastrophal. Und warum? Unserer Armee fehlen die amerikanischen Geheimdienstinformationen. Wir bekommen keine Zieldaten. Natürlich können wir, wie manche Selenskyj-Anhänger, sagen: „Lasst uns die Amerikaner zur Hölle schicken. Wir kämpfen ohne sie.“ Aber das ist unverantwortlich. Denn dafür würden unsere Soldaten mit ihrem Leben bezahlen.

Sie haben sich öffentlich gegen Wahlen während des Krieges ausgesprochen. Doch Washington macht in dieser Frage Druck. Kürzlich gab es Gespräche zwischen Trump-Vertrauten und Politikern Ihrer Partei. War es schwer, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass die Zeit noch nicht reif ist?

Ich glaube nicht, dass Trump wirklich Wahlen während des Krieges will. Was ist sein Ansatz? Am Anfang steht ein sofortiger Waffenstillstand. Zweitens: Sicherheitsgarantien. Drittens: Kriegsrecht beenden. Viertens: Wahlen. Fünftens: Regierungsbildung.

Vor Kurzem hat die Regierung Sanktionen gegen Sie verhängt. Wie wirken die sich konkret auf Ihre politische Arbeit aus?

Zunächst einmal: Diese Sanktionen sind verfassungswidrig, illegal und noch dazu dämlich. Sie basieren nicht auf einer Gerichtsentscheidung, es gibt also keine Rechtsgrundlage. Niemand, auch nicht der Präsident, kann einen vernünftigen Grund nennen. Denn die Sanktionen sind politisch motiviert. Der Präsident denkt nicht an die Sicherheit des Landes, sondern nur an die Wahl. Und dafür hat er den Oppositionsführer aus dem Weg geräumt. Diese Sanktionen richten sich nicht gegen Poroschenko, sondern gegen unsere nationale Einheit. Sie treffen auch das Militär, denn in drei Jahren Krieg habe ich unsere rund 200 Brigaden mit Gütern im Wert von fast sieben Milliarden Hrywnja (156 Millionen Euro; Anm. d. Red.) unterstützt.

Und wie geht es nun damit weiter?

Ich habe noch Dinge im Lager, die ich ausliefern werde. Aber es wird stetig weniger. Ich gebe mein Bestes, um zu liefern. Aber die Armee leidet darunter. Im Übrigen werden die Sanktionen unserer EU-Integration schaden. Denn die Grundvoraussetzung dafür ist Rechtsstaatlichkeit. Die Grundlage der Sanktionen aber ist: „Ich hasse Poroschenko“. Das ist wie bei Stalin oder Hitler. Sowas gibt es nicht in einem demokratischen Land, das EU-Mitglied werden will.

Hatte Trump dann doch recht, als er sagte, Selenskyj sei ein Diktator? ​

Ich werde vor Gericht gehen und diese Sanktionen anfechten. Wie will man das überhaupt der Öffentlichkeit vermitteln? Wegen der Sanktionen sind meine Konten gesperrt.

Wie bedeutet das für Ihre Partei „Europäische Solidarität“?

Sie nehmen mir die Möglichkeit, mich zur Wahl zu stellen. Außerdem nehmen sie mir die Möglichkeit, politische Aktivitäten auf saubere und transparente Weise zu finanzieren. Meine Aktivitäten konzentrieren sich jetzt auf drei Bereiche: Der erste ist die Unterstützung der Armee und der nimmt 80 Prozent meiner Zeit in Anspruch. Der zweite ist die parlamentarische Arbeit. Dort hat man versucht, mich für ein halbes Jahr vom Besuch der Parlamentssitzungen auszuschließen. Der dritte ist die parlamentarische Diplomatie. Doch man erlaubt mir nicht, ins Ausland zu reisen.

Vielleicht könnte man all das auch als Teil des Deoligarchisierungsprozesses der Regierung sehen?

Jetzt haben wir nur noch einen Oligarchen – und das ist Andrij Jermak (der Leiter des Präsidialamts; Anm. d. Red.).

Armee, Sprache und Glaube: Poroschenko spielt an einer Gebetskette herum
Armee, Sprache und Glaube: Poroschenko spielt an einer Gebetskette herumDaniel Pilar

Wenn man mit Ukrainern spricht, spürt man oft eine große Enttäuschung von der Politik. Das Vertrauen in Parteien und Parlament ist gering, viele sehnen sich nach etwas Neuem. Doch niemand verkörpert die Vergangenheit so sehr wie Sie. Wie wollen Sie diese Menschen überzeugen?

Zunächst einmal habe ich meine eigenen Unterstützer. Die Abwendung von etablierter Politik ist ein globaler Trend. Auch in Deutschland gibt es die AfD, die die alten Politiker entsorgen will. Es sind Populisten, die so etwas fordern. Und die im Übrigen von Russland finanziert werden. Auch hier gibt es Telegramkanäle, die solche Narrative verbreiten. Sie versprechen einfache Lösungen. Manche tun so, als könne man sich mit Putin einfach in der Mitte treffen. Das kann man schon, die Mitte ist dann aber der Fluss Dnipro. Und auch damit wäre er nicht zufrieden. Putin braucht weder Charkiw noch Cherson noch Donezk oder Luhansk. Putin braucht die gesamte Ukraine.

Früher hatten Sie ein simples Motto: Armee, Sprache, Glaube. Ist das heute noch Unterscheidungsmerkmal genug, um Leute zu überzeugen?

Das war das Motto des Präsidenten Poroschenko. Dann wurde es zum Motto der „Europäischen Solidarität“. Und jetzt ist es zur Ideologie der gesamten Ukraine geworden. Und darauf bin ich stolz.