Die europäischen NATO-Länder wollen deutlich mehr Geld als bisher in ihre Verteidigung stecken, für die Rüstungshersteller in den Ländern bedeutet das vor allem: Planungssicherheit. Der Bau von Panzern, Waffen, Flugzeugen und Munition ist kapitalintensiv und dauert lange. Doch die Richtung ist klar: Es wird kräftig aufgerüstet. Ob es der milliardenschwere Schuldenplan von Schwarz-Rot ist, um das Verteidigungsbudget aufzustocken, flexiblere EU-Regelungen zur Verteilung von Geldern und ihrer Finanzierung oder die Forderung von NATO-Generalsekretär Mark Rutte, dass die Länder wenigstens „nördlich“ von drei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Rüstung ausgeben sollen. Um sich unabhängiger von den Vereinigten Staaten zu machen und der Bedrohung Russlands etwas entgegensetzen zu können, wird über Jahre viel mehr Geld in die Verteidigung investiert werden. Und zwar unabhängig von möglichen Friedensverhandlungen in der Ukraine.
Doch Geld allein reicht nicht, es geht auch darum, wie es verteilt und eingesetzt wird. Eine Herausforderung für die Regierungen wird sein, dafür zu sorgen, dass das viele Geld für die neuen Aufträge auch wirklich zur Ausweitung der Produktion von hochwertigem Militärgerät führt – und nicht zu einem wesentlichen Teil in Preissteigerungen der Hersteller verpufft, von denen am Ende vor allem die Aktionäre profitieren.
Aus den Bilanzen der Rüstungskonzerne gehen oft nur die Umsätze hervor, nicht die Stückzahlen. In der Industrie selbst wird oft darauf verwiesen, dass sie schon nach dem Angriffs Russland auf die Ukraine in vielen Bereichen in Vorleistung gegangen sei, als noch Aufträge in den bürokratischen Genehmigungsprozessen feststecken.
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, verweist jetzt darauf, dass Kunden in Europa ihre „Bedarfe bestmöglich harmonisieren und poolen“ sollten. „Die Industrie braucht jetzt klare Ansagen, von welchen Produkten man wie viel in welcher Zeit als Output erwartet. Wenn dies klar ist, wird sie auch liefern“, sagt Atzpodien. Der BDSV hatte gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) darum geworben, vor allem die heimische Industrie zu stützen. Vom Einkauf kompletter Systeme bei ausländischen, außereuropäischen Anbietern sei „abzuraten, denn er macht Deutschland strategisch abhängig“, unterzeichnete unter anderem Armin Papperger, BDSV-Präsident und im Hauptberuf Vorstandsvorsitzender des Dax-Konzerns Rheinmetall.
Verlässlichkeit in der Beschaffungspolitik
Europaweit nennen Branchenvertreter Verlässlichkeit in der Beschaffungspolitik das A und O, um die Produktion auszuweiten. „Selbst wenn wir auf Halde produzieren wollten, wir dürften es formal gar nicht“, betont etwa der Airbus -Rüstungschef Michael Schöllhorn. Die in Berlin um sich greifende Einsicht, anders als beim ersten „Sondervermögen“ nun vor allem in europäische Systeme zu investieren, dürfte Airbus in die Karten spielen. Der Konzern mahnt, nicht noch einmal Milliarden in amerikanische Produkte wie F-35-Kampfjets zu stecken. „Wenn wir das Mehr an Verteidigungsausgaben nutzen, um weiter Produkte von der Stange in den USA zu kaufen, zementieren wir unsere Abhängigkeit von anderen“, sagte Schöllhorn am Freitag der „Augsburger Allgemeinen“. Dass das vielleicht keine so gute Idee sei, sähen gerade die Dänen mit ihren amerikanischen F-35-Flugzeugen, falls sie auf die Idee kämen, Grönland zu verteidigen. „Die kämen gar nicht bis dahin“, sagt er.
Anders dürfte das Rheinmetall sehen, die gerade für die Produktion von Rumpfmittelteilen für ebenjene F-35 Flugzeuge eine neue Produktion im niederrheinischen Weeze aufbauen. An der Wertschöpfung des amerikanischen Kampfflugzeugs nehmen viele europäische Unternehmen teil: BAE Systems aus London lieferte Teile zu, zusammengebaut werden die Flugzeuge von Leonardo in Italien. Rüstung ist schon immer trotz einer scharfen Konkurrenz Gemeinschaftsarbeit. Erschwerend kommt die oft mittelständisch geprägte Zulieferstruktur hinzu. Der von KNDS Deutschland gefertigte Schützenpanzer Puma hat zum Beispiel mehr als 400 Zulieferer. Ohne Auftragssicherheit bedienen diese andere Kunden. KNDS will sich aktuell nicht dazu äußern, inwieweit die neuen Rüstungsmilliarden in neue Aufträge münden könnten. 2022 hatte Deutschland einen Rahmenvertrag zur Beschaffung von bis zu 123 Systemen wie Leopard-2A8-Kampfpanzern geschlossen.
Airbus hingegen zeigt sich insgesamt zuversichtlich. „Wir gehen fest davon aus, dass wir Aufträge erhalten werden“, sagte Schöllhorn. Die Industrie könne die Produktion hochfahren, die Kapazität sei maschinenseitig grundsätzlich vorhanden. Airbus schielt insbesondere auf die Bestellung neuer Eurofighter. 2030 läuft die Produktion von 38 Kampfjets dieses Typs aus, die Beschaffung 20 weiterer hat Berlin bislang nur angekündigt. Nun könnte rasch Bewegung in die Sache kommen, nachdem es im Dezember schon grünes Licht für das LTE-Paket gab. Dieses sieht eine technische Weiterentwicklung der Eurofighter-Waffensysteme vor, etwa ein neues Cockpit.
Auftragsbücher prall gefüllt
Auch der Radar- und Sensorspezialist Hensoldt stellt die Weichen auf Wachstum. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt. Ende 2024 lag der Auftragsbestand auf dem Rekordniveau von 6,6 Milliarden Euro, binnen Jahresfrist war das ein Plus von einem Fünftel. Hensoldt rüstet unter anderem das Flugabwehrsystem IRIS-T SLM mit Hochleistungsradaren aus. „Wir haben unsere Kapazitäten durch massive Investitionen und Neueinstellungen bereits enorm ausgebaut: Ein mehrjähriges Investitionsprogramm von einer Milliarde Euro wird gerade abgeschlossen, und in diesem Jahr werden wir 1000 Mitarbeiter neu einstellen“, erklärte Vorstandschef Oliver Dörre auf Anfrage der F.A.Z.
Die Belegschaft ist in den vergangenen Jahren schon deutlich aufgestockt worden. Ende 2023 zählte das in Taufkirchen bei München sitzende Unternehmen 6564 Mitarbeitende, nun sind es 8400. An Personal zu kommen, ist für die gesamte Branche eine Herausforderung: Hensoldt verhandelt gerade darum, Mitarbeiter der Autozulieferer Bosch und Continental zu übernehmen, die wiederum Geschäftsbereiche abbauen. Auch Rheinmetall und KNDS werden immer wieder genannt, wenn es darum geht, Mitarbeiter aus der Automobilzuliefererproduktion zu übernehmen. Gebraucht wird jede Hand, denn die Produktion wird deutlich ausgebaut. Wurden bei Hensoldt vor Jahren noch fünf bis acht Großradare hergestellt, sollen es bald zwischen 30 und 40 sein. „Wir haben den Hubraum des Produktionsmotors schon deutlich vergrößert, jetzt brauchen wir vor allem Treibstoff in Form von Aufträgen“, sagt Dörre. Die Börse zweifelt nicht daran: Der Kurs der Hensoldt-Aktie hat sich seit Jahresanfang auf 71 Euro mehr als verdoppelt.
Rüstungshersteller suchen nach neuen Mitarbeitern
Ähnlich gut hat sich die Aktie des Panzergetriebeherstellers Renk entwickelt. Sie zieht nun in den M-Dax der mittelgroßen Aktiengesellschaften ein, wo Hensoldt schon vertreten ist. Renk hat seit Ende 2022 die Zahl der Mitarbeitenden von 3300 auf nun 4000 deutlich aufgestockt. Der Umsatz ist 2024 um mehr als ein Fünftel auf 1,1 Milliarden Euro gestiegen.
Diehl Defence, die Rüstungssparte des Nürnberger Technologiekonzerns Diehl Group, die vor allem für ihr IRIS-Luftverteidigungssystem bekannt ist, rechnet mit einem Gesamtumsatz von 1,5 Milliarden Euro für das Jahr 2024, was 50 Prozent mehr wären als im Vorjahreszeitraum. Um der nach wie vor steigenden Nachfrage gerecht zu werden, wird Diehl Defence nach eigenen Angaben weiter Kapazitäten aufbauen. Das schlage sich in einer steigenden Anzahl von Mitarbeitenden nieder, sagte ein Sprecher. Derzeit arbeiten etwa 4500 Personen dort.
Franzosen begrüßen den deutschen Kurs
In Frankreich pocht man nicht erst seit Trumps Wiederwahl darauf, zur Wahrung der europäischen Souveränität in die hiesige Industrie zu investieren. Entsprechend positiv reagiert man jetzt auf den Bewusstseinswandel in Brüssel und Berlin. „Ich bin sehr erfreut, zu sehen, dass Deutschland möglicherweise seinen Kurs ändern wird“, sagte diese Woche Eric Trappier, Chef von Dassault Aviation. Man werde sich bietende Gelegenheiten ergreifen. Dabei kann sich Dassault, dessen Rafale-Kampfjets Träger der französischen Atomraketen und frei von amerikanischen Komponenten sind, schon jetzt vor Aufträgen aus Frankreich und Auslandskunden wie den Vereinigten Arabischen Emiraten kaum retten. Die Anhebung der Auslieferungsrate auf drei Rafale im Monat läuft. Mittelfristig seien auch fünf möglich, wenn die Politik verlässlich bestelle, sagte Trappier.
„Wir sind bereit, uns an der Kriegswirtschaft zu beteiligen, aber wir brauchen Klarheit, um investieren zu können“, sagte jüngst auch Olivier Andriès. Er ist Chef des französischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Safran, der so wie Thales zu rund 20 Prozent an der Rafale-Produktion beteiligt ist. Für die Luft-Boden-Waffe AASM, mit der Ziele in mehr als 60 Kilometer Reichweite getroffen werden können, habe man die Produktionsrate schon erhöht, so Andriès. Man sei bereit, noch weiterzugehen. Gleiches gelte für Raketentriebwerke von Safran, die unter anderem in Scalp-Marschflugkörpern des europäischen MBDA-Konzerns verbaut werden. „Die Nachfrage nach Raketenmotoren ist sehr hoch, insbesondere aus Nordeuropa, und wir sind in der Lage, die Produktionsrate um das Zwei- bis Dreifache zu erhöhen“, erklärte Andriès. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte am Mittwoch Gespräche mit Industrievertretern in den kommenden Tagen angekündigt.
Italien zögert mit der Ausweitung des Militärbudgets
Nicht so ernst genommen wie in Deutschland wird in der Heimat von Mario Draghi die Maxime des „Whatever it takes“ in Verteidigungsfragen. Bei einer Staatsverschuldung von 135 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) sind die Möglichkeiten Italiens auch geringer. Das Land gibt nur 1,5 Prozent seines BIP für Rüstung aus und zögert, seine nationale Verschuldung nach oben zu treiben. Der führende nationale Rüstungskonzern, Leonardo, expandiert dennoch, weil er sich in einem Geflecht internationaler Allianzen schwer ersetzbar gemacht hat. Als Luftfahrthersteller ist er beim Eurofighter dabei, bei der amerikanischen F-35 und zusammen mit BAE Systems und Mitsubishi beim Kampfflugzeug-Zukunftsprojekt GCAP.
Dieses „Global Combat Air Programme“ entwickelt allerdings ein sehr ähnliches Luftkampfsystem wie das kontinentaleuropäische Konkurrenzprojekt FCAS, an dem Deutschland, Frankreich und Spanien zusammenwirken und Unternehmen wie Airbus und Dassault beteiligt sind. Manche Fachleute und Politiker fragen indes, ob es aus Sicht der Steuerzahler nicht viel günstiger wäre, beide Projekte zusammenzulegen, statt parallel doppelte Entwicklungskosten zu bezahlen.
Mehr Zusammenarbeit wagen?
Der Leonardo-Vorstandsvorsitzende Roberto Cingolani plädiert dafür, in Europa mehr Systeme zu vereinheitlichen, scheut allerdings nicht davor zurück, etwa im Kampfpanzerbereich mit dem Panther KF51 zusammen mit Rheinmetall eine neue Baustelle zu eröffnen – neben dem gut laufenden Leopard vom Konkurrenten KNDS. Auch Cingolanis Landsmann Draghi, unter dem er Energie- und Umweltminister war, fordert weniger Doppelungen im europäischen Verteidigungsbereich. Doch bei manchem Gerät gäben es die zu erwarteten Stückzahlen her, dass mehrere Anbieter Platz fänden, meint Cingolani, etwa auch bei Kampfdrohnen. Das sei einer monopolartigen Konstellation ohnehin vorzuziehen.
Mehrgleisig zu fahren, ist eine Spezialität der Rüstungsindustrie: Wo man in einem Feld erbitterter Konkurrent ist, arbeitet man in anderen Bereichen zusammen. Während Leonardo mit der Tochtergesellschaft Agusta Westland als Hubschrauberhersteller Airbus Helicopter Konkurrenz macht, sind die Italiener im Raketengemeinschaftsunternehmen MBDA mit Airbus und BAE Systems der dritte Akteur. Im Satellitengeschäft arbeitet das Unternehmen sogar mit Starlink von Elon Musk zusammen. Entscheidend dafür, ob eine Partnerschaft funktioniert, ist neben den Umsatzanteilen vor allem auch die nationale Führung. Bei der Zusammenarbeit von Rheinmetall und Leonardo etwa soll es wichtig sein, dass der Hauptteil der Arbeit in Italien ausgeführt wird.
Der größte Rüstungskonzern hängt nicht so stark an Europa
Der größte europäische Rüstungskonzern BAE Systems mit seinem Jahresumsatz von zuletzt gut 28 Milliarden Pfund (fast 34 Milliarden Euro) hat auch fast alles im Angebot: Ob Kampfjets, Panzer, Artillerie, Kriegsschiffe und Atom-U-Boote oder Satelliten und Cyberabwehr. Die Europäische Union spielt dabei allerdings bislang nur eine untergeordnete Rolle: Einen Großteil der Aufträge erhält der von Charles Woodburn geleitete Rüstungskonzern aus den USA (über 40 Prozent), gefolgt von Großbritannien (26 Prozent), dem Mittleren Osten, dem restlichen Europa und Australien. Der Börsenwert von BAE beträgt mittlerweile fast 50 Milliarden Pfund.
Auch viele andere Rüstungsgüteranbieter haussieren, die von den höheren europäischen Verteidigungsausgaben profitieren. In England ist das etwa Rolls-Royce. Der Triebwerkhersteller und Industriekonzern aus Derby macht knapp ein Fünftel seines Umsatzes mit Rüstungsgütern, Triebwerken für verschiedene Kampfflugzeuge, Antrieben für Atom-U-Boote und Panzermotoren, die das Tochterunternehmen MTU Friedrichshafen am Bodensee baut. Dass Großbritanniens Premier Keir Starmer die Erhöhung des Militärbudgets von 2,3 Prozent auf 2,5 Prozent angekündigt hat, dürfte der Industrie einen weiteren Schub geben.