Rente, Energiekosten, Steuervergünstigungen – das Sondierungspapier enthält viele Versprechen, die den Bundeshaushalt belasten. Zur Gegenfinanzierung sagen Union und SPD wenig. Unverbindlich heißt es: „Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen auch Einsparungen vornehmen.“ Auch wollen sie das Bürgergeld durch eine neue Grundsicherung mit verstärkten Mitwirkungspflichten und schärferen Sanktionen ersetzen. Inwieweit das die öffentlichen Haushalte entlastet, wird von der konkreten Ausgestaltung abhängen.
Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenrats, fällte am Sonntag ein vernichtendes Urteil über das Konsenspapier. „Deutschland nähert sich in erschreckender Weise dem befürchteten Szenario: eine Fortführung der letzten Merkel-Regierungen, nur ohne Friedensdividende, sondern auf Basis gigantischer Schulden.“ Harsche Kritik kam auch von den Arbeitgebern. „Es sind keine ambitionierten Maßnahmen erkennbar, die zur Stabilisierung oder gar zur Senkung der Sozialversicherungsbeiträge beitragen“, bemängelte Präsident Rainer Dulger. Industriepräsident Peter Leibinger meinte, das Ergebnis schaffe Spielräume, aber ein Gesamtkonzept und eine Richtung für die Wirtschaftswende fehlten.
Die vermutlich kostspieligste Aussage von Union und SPD dürfte die zur Rente sein. „Wir werden die Alterssicherung für alle Generationen auf verlässliche Füße stellen. Deshalb sichern wir das Rentenniveau.“ Ein bestimmter Wert wird zwar nicht genannt, aber die SPD hat im Wahlkampf dafür getrommelt, das Rentenniveau bei 48 Prozent festzuschreiben. Diese Kenngröße beschreibt das Verhältnis von Durchschnittsrente zu Durchschnittseinkommen. Der Wert sinkt nach dem geltenden Recht, wenn weniger Arbeitnehmern mehr Rentner gegenüberstehen, um eine Überforderung der Beitragszahler zu verhindern. Außerdem will Schwarz-Rot alle neuen Selbständigen, „die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind“, in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen.
Steigende Sozialbeiträge verteuern die Arbeit
Ein Aussetzen des „Nachhaltigkeitsfaktors“ kostet Milliarden – mit steigender Tendenz. Dulger kommt auf etwa 500 Milliarden Euro in den kommenden 20 Jahren. Das träfe zunächst die Beitragszahler mit voller Wucht – und steht im Widerspruch zum Versprechen der Union, die Sozialbeiträge wieder in Richtung 40 Prozent zu drücken. Aber auch der Bundeshaushalt wäre betroffen. Der Rentenzuschuss des Bundes steigt damit schneller. Zur Finanzierung heißt es vage: „Nur eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, eine hohe Beschäftigungsquote und eine angemessene Lohnentwicklung ermöglichen es, dies dauerhaft zu finanzieren.“
Absehbar steigende Sozialbeiträge verteuern die Arbeit – was Einstellungen erschweren und die Finanzierung des Rentenversprechens belasten dürfte. Verschärft wird diese Entwicklung durch die Mütterrente. Auf Druck der CSU wird sie für jedes vor 1992 geborene Kind um sechs Monate erhöht. Das macht aktuell etwa 20 Euro mehr Rente im Monat aus. Weil dieser Aufstockung der Rente keine Beiträge gegenüberstehen, wäre der Bund in der Pflicht, diese soziale Leistung zu finanzieren. Die Kosten werden auf 50 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren geschätzt.
Gleichwohl haben Union und SPD weitere Pläne, um die Bürger und Betriebe zu entlasten. Konkret werden sie allerdings nur, wenn es um punktuelle Änderungen geht. Ansonsten ziehen sie sich auf allgemeine Aussagen zurück. So heißt es: „Wir werden die breite Mittelschicht durch eine Einkommensteuerreform entlasten und die Pendlerpauschale erhöhen.“ Wie das geschehen soll, bleibt unklar. Die Entfernungspauschale für die ersten 20 Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsplatz beträgt heute 30 Cent je Kilometer. Vom 21. Kilometer an sind es 38 Cent (das gilt nur bis Ende 2026). Nach einer Faustformel kostet eine Erhöhung der Pauschale um 10 Cent den Fiskus 2,3 Milliarden Euro.
Umsatzsteuer auf Speisen in Gaststätten soll sinken
Zudem stellen die Sondierer Investitionsanreize in Aussicht: „Wir werden sofort nach Regierungsübernahme spürbare Anreize für unternehmerische Investitionen in Deutschland setzen.“ Ob mit einer Prämie (SPD) oder schnelleren Abschreibungen (Union), wird nicht gesagt. Zugleich wird erklärt: „Wir steigen in der kommenden Legislaturperiode in eine Unternehmenssteuerreform ein.“ Die Union hatte im Wahlkampf eine maximale Gewinnbelastung von 25 Prozent genannt. Schrittweise wollte sie dies ansteuern, beginnend im nächsten Jahr. Davon ist nun keine Rede mehr, auch nicht von einem Ende des Solidaritätszuschlags.
Vielleicht will man zu diesem die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht abwarten, die Ende des Monats kommen soll. Wie von der Union im Wahlkampf versprochen, soll die Umsatzsteuer auf Speisen in Gaststätten dauerhaft von 19 auf sieben Prozent sinken – so wie man es in der Pandemie befristet gemacht hatte, um die gebeutelte Branche zu unterstützen. Diese Hilfe lief Ende 2023 aus. Im vorletzten Subventionsbericht wurde die damit verbundene Mindereinnahme auf 3,1 Milliarden Euro im Jahr 2022 beziffert, davon entfielen 1,6 Milliarden Euro auf den Bund.
Darüber hinaus will die vermutlich nächste Koalition alle entlasten, die das gesetzliche Rentenalter erreicht haben und freiwillig weiterarbeiten. Sie sollen bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei verdienen. Zudem sollen Arbeitnehmer, die voll arbeiten und Überstunden leisten, von steuerfreien Zuschlägen profitieren. „Als Vollzeitarbeit gilt dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden.“ Auch Teilzeitbeschäftigte werden bedacht: „Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen.“ Auch die Landwirte werden nicht vergessen. Sie bekommen die Agrardiesel-Rückvergütung „vollständig“ zurück. Diese Subvention sollte eigentlich auslaufen. Ihre Kosten bezifferte die Bundesregierung unlängst auf 440 Millionen Euro.
Stromsteuer und Elektro-Mobilität im Blick
Eine Kurskorrektur gibt es zu den E-Autos. Man will die Elektro-Mobilität mit einem Kaufanreiz fördern, allerdings ohne Details zu nennen. Die E-Auto-Kaufprämie ist 2023 ausgelaufen. Die Stromsteuer wollen Union und SPD für alle auf das europäische Minimum senken (0,05 Cent je Kilowattstunde). Sie beträgt derzeit 2,05 Cent je Kilowattstunde. Das Aufkommen aus der Stromsteuer wird aktuell auf 5,2 Milliarden Euro geschätzt, vor der Senkung für die Unternehmen in diesem und im vergangenen Jahr waren es 6,8 Milliarden Euro. Zudem wollen Union und SPD die Netzentgelte deckeln und die Kraftwerksstrategie überarbeiten. Um der energieintensiven Industrie das Überleben zu erleichtern, wollen sie das Abscheiden und die Speicherung von Kohlendioxid (CCS) ermöglichen. Außerdem soll es Quoten für klimaneutralen Stahl und grünes Gas geben.
Die schwarz-rote Industriepolitik sieht vor, „strategisch wichtige Branchen in Deutschland zu halten beziehungsweise neu anzusiedeln, zum Beispiel die Halbleiterindustrie, Batteriefertigung, Wasserstoff oder auch Pharma“. Ein besonderes Bekenntnis gilt dem Automobilstandort und seinen Arbeitsplätzen. „Dabei setzen wir auf Technologieoffenheit. Wir wollen uns aktiv dafür einsetzen, Strafzahlungen aufgrund der Flottengrenzwerte abzuwehren.“
Zur Entlastung der Wirtschaft peilen Union und SPD an, die Bürokratiekosten um ein Viertel zu senken. Union und SPD beteuern, Berichts-, Dokumentations- und Statistikpflichten abschaffen zu wollen, zugleich kündigen sie ein Tariftreuegesetz an, das die Bürokratie für Unternehmen ausweiten dürfte, die Aufträge des Bundes anstreben.
Außerdem preisen sie den gesetzlichen Mindestlohn und die Arbeit der zuständigen Kommission. Für die weitere Entwicklung werde diese sich sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar“, heißt es. Arbeitgeberpräsident Dulger verbat sich diese Einmischung in die Arbeit der Kommission: „Sachliche Fehler wie die Behauptung, es gebe eine Grundlage für eine Mindestlohnhöhe von 15 Euro im Jahr 2026, dürfen nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen werden.“
Grüne pochen auf Änderungen
Für die Finanzierung bekräftigen die potentiellen Regierungspartner ihre Pläne zur Änderung des Grundgesetzes. Verteidigungsausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, sollen nicht auf die Schuldenregel angerechnet werden. Zudem will man ein Sondervermögen Infrastruktur von 500 Milliarden Euro bis 2035 schaffen. Die Länder sollen davon mit 100 Milliarden Euro profitieren und einen eigenen Spielraum zur Neuverschuldung erhalten (0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Dieses Paket soll in wenigen Tagen durch den Bundestag und Bundesrat gebracht werden. Außerdem soll eine Expertenkommission eine weitere Reform der Schuldenregel vorbereiten, „die dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung unseres Landes ermöglicht“.
Die Grünen-Politiker Mona Neubaur (Wirtschaftsministerin in Düsseldorf), Danyal Bayaz (Finanzminister in Stuttgart) und Björn Fecker (Finanzsenator in Bremen) bezeichneten das Finanzpaket als so nicht zustimmungsfähig. Ihre Partei wird dafür gebraucht. Sie fordern drei Änderungen: Erstens sollten Ausgaben für Verteidigung erst oberhalb von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Zweitens sollte das Sondervermögen nur für zusätzliche Investitionen des Bundes verwendet werden. Drittens sollten Länder und Kommunen mindestens 200 Milliarden Euro erhalten, da sie für etwa 60 Prozent der staatlichen Infrastrukturinvestitionen sorgten.
Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung spricht von einem „starken Verstoß gegen die Zusätzlichkeit“. Mit ZEW-Kollegen hat er ein Konzept entwickelt, das einer Verdrängung von Zukunftsausgaben entgegenwirken soll. Nur wenn die Ausgaben für Bildung, Forschung, Natur- und Klimaschutz, Investitionen und Verteidigung über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre liegen, wäre bei ihnen eine höhere Kreditaufnahme erlaubt – bis zu einer noch zu bestimmenden Obergrenze. Ob Union und SPD für solche Anregungen von außen noch offen sind?