Spielball einer abgewirtschafteten SPD

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Schon wieder Zeitenwende? Noch bevor ein Koalitionsvertrag geschlossen ist, fängt die ein mutmaßlicher Kanzler Merz da an, wo die Regierung Scholz stehen geblieben war. Nur tut das Merz „all in“ – auf sehr viel höherem Niveau. Scholz begegnete der neuen Weltlage vor drei Jahren mit dem Gedanken, dass ein Sondervermögen für die Verteidigung reichen müsse, damit alles andere bleiben könne wie geplant. Merz hebelt nun die Schuldenbremse aus, um freie Hand für die Verteidigung zu haben, und schafft ein neues Sondervermögen für Investitionen in die In­frastruktur, damit Pläne geschmiedet werden können, von denen die Ampelkoalition nur träumen konnte.

In beiden Fällen gilt, dass das eine ohne das andere nicht zu haben war. In beiden Fällen gibt eine tief verunsicherte SPD den Ton an, die mehr für die Bundeswehr nur tun will, wenn sie ihre eigene Krise vergessen kann, indem sie Geschenke an die Republik verteilt. Darin steckt der tiefere Sinn des neuen Sondervermögens, das dadurch allerdings nicht nur Merz-Bazooka, sondern auch Büchse der Pandora ist. Denn „Infrastruktur“ und „Investitionen“ ist durch die rot-grüne Brille betrachtet einfach alles: Wohnungen, Schulen, Bahn, Straßen, Brücken, Digitalisierung, Kitas, Krankenhäuser, Pflege, Energie, Klima. Der Begriff „Nebenhaushalt“ mutet da fast schon komisch an, handelt es sich doch um einen veritablen Ersatzhaushalt für alles und nichts.

Mit Volldampf voraus

Sieht so der „Politikwechsel“ aus, den Merz versprochen hat? Niemand wird bestreiten, dass die neue Regierung unter ähnlich dramatischen Bedingungen starten muss wie die alte. Darauf hat Merz richtig reagiert. Die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse weitgehend zu befreien, ist die bessere Lösung als limitierte Sondervermögen oder jährlich wiederkehrende Debatten darüber, ob eine Notlage vorliegt, die es rechtfertigt, die Schuldenbremse auszusetzen. Selbst das Sondervermögen für Infrastruktur hätte seinen Sinn, wenn das Geld dazu diente, eine Wende auf vielen Politikfeldern abzufedern.

Stattdessen geben schon die Sondierungen das Signal: Weiter so – und zwar mit Volldampf voraus. Die Entscheidungen, die noch vom alten Bundestag und vom Bundesrat getroffen werden, dürften darauf hinauslaufen, dass die Gründe für die Überlastung des regulären Haushalts nicht behoben, sondern noch vertieft werden. Das ist der Preis, den CDU und CSU dafür bezahlen müssen, dass sie auf SPD und Grüne angewiesen sind.

Angesichts der Schnelligkeit, mit der sich die Dinge jetzt ändern müssten, ist jede Regierung auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Die Hoffnung, dass die Schuldenbremse den Wunschzettel der Politik begrenzen würde, hat getrogen. Verloren wurde vor allem viel Zeit, weil die Sozialpolitiker die Grenzen des Wachstums nicht wahrhaben wollten. An erster Stelle gilt das für die Rentenpolitik. Auf deren vernünftige Weiterentwicklung wartet Deutschland seit Jahrzehnten vergeblich. Merz will daran offenbar nichts ändern.

Der Knoten wird nicht durchschlagen

Verloren wurde auch viel Zeit, weil Aufgaben ersonnen wurden, die nicht erfüllt werden konnten – von der Asylmigration bis zur Inklusion. Verloren wurde schließlich viel Zeit, weil das Nötige, wie Pflege und Kinderbetreuung, zugunsten des Unnötigen, wie Bürgergeld, vernachlässigt wurde. Auch da ist die SPD immerhin zu weiteren Korrekturen bereit.

Viel Zeit ging schließlich dadurch verloren, dass die „große Transformation“ der Klimapolitik mit Methoden belastet wurde, die mehr mit Gesellschaftspolitik als mit Energiewirtschaft zu tun hatten. Nimmt man die Auswüchse an Bürokratie, digitalem Neandertal und lähmendem Planungsrecht hinzu, hat man den gordischen Knoten, der die Sehnsucht nach Disruption so groß werden lässt.

Doch dass dieser Knoten durchschlagen würde, ist nicht zu sehen. Alle Parteien, die jetzt wieder am Verhandlungstisch sitzen, die Mitte-links-Parteien, haben sich stets nur zu Lösungen durchringen können, die jedem etwas boten – meist sind das die teuersten. Sie alle stehen jetzt unter dem Eindruck eines Wahlergebnisses, in dem sich jene Sehnsucht nach Disruption in einer Flucht in die Extreme äußerte. Die Verunsicherung haben die Grünen schon mit einem Linksruck beantwortet; die SPD sucht ihr Heil wieder einmal in einer Mitgliederbefragung. Beides spricht nicht dafür, dass viel Geld auch in viel Wagnis, viel Phantasie und viel Zumutung resultiert – weder im Bund noch in den Ländern.

Es ist klar, dass derzeit die Außen- die Innenpolitik dominiert. Merz wird aber nicht allein mit Verteidigungsausgaben zeigen können, dass er (wozu er angetreten ist) der bessere Kanzler sein wird als Scholz und Merkel. Er wird eine Grenze ziehen müssen, damit ihn sein Einsatz für Europa und die Ukraine nicht zum Spielball einer abgewirtschafteten SPD macht. Bislang ist diese Grenze nicht zu erkennen. Erst im neuen Bundestag wird sich deshalb zeigen müssen, was Merz meint, wenn er sagt: Whatever it takes.