Robotik-Professor Marco Hutter im Interview über den Tech-Standort Zürich

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Der ETH-Professor Marco Hutter sagt, junge, hungrige ETH-Abgänger seien fundamental für den Standort Schweiz. Er fordert bessere Bedingungen für Forscher.

Marco Hutter mit zwei vierbeinigen Robotern von Anybotics.

Marco Hutter mit zwei vierbeinigen Robotern von Anybotics.

PD

Wer Marco Hutter auf ein Gespräch treffen will, muss zuerst durch eine Werkstatt gehen. Dort liegen Akkuschrauber und Metallteile auf Werkbänken, darum herum stehen vierbeinige Roboter, einsatzbereit auf weichen Gummiplatten. An der Decke hängen weitere Roboter, die an Spinnen, Hunde, Raubkatzen erinnern. In der Ecke lehnen Holzpaletten und grosse Leitern.

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Dann kommt Hutter aus dem Büro, breites Lachen, Rheintaler Dialekt, die Ärmel des schwarzen Hemdes hochgekrempelt. Er hat die Ausstrahlung eines Handwerkers, der nicht aufgibt, nur weil die Physik gerade nicht mitspielt. Damit erinnert Hutter ein bisschen an Daniel Düsentrieb.

Dabei dürfte Hutter im Alltag kaum Zeit zum Werken haben. Er leitet das Robotik-Zentrum der ETH und führt das Robotics and AI Institute in Zürich (ehem. Boston Dynamics AI Institute). Und er hat sieben Firmen mitgegründet. Die berühmteste davon heisst Anybotics. Sie baut autonome, vierbeinige Roboter und beschäftigt über 200 Angestellte in Zürich. Nun gilt Hutters Lehrstuhl als Talentschmiede des KI- und Robotikstandorts Zürich.

Herr Hutter, ich musste heute Morgen den Abwasch selbst machen, eine KI konnte mir in dieser Zeit ein Gedicht schreiben. Müsste das nicht andersherum sein – die KI macht das Nützliche und ich das Schöne?

Ehrlich gesagt wasche ich lieber ab, als dass ich Gedichte schreibe (lacht). Aber das Beispiel zeigt genau die Schwierigkeit der Robotik. Für den Abwasch muss der Roboter verschiedene Objekte wie Besteck, Pfannen oder Weingläser visuell wahrnehmen. Dann muss er verstehen, dass er die Teflonpfanne nicht mit dem Metallschwamm abwaschen darf, und dass er Weingläser besonders vorsichtig behandeln muss. Auch der Abwasch selbst ist für Roboter noch immer schwierig.

Warum können Roboter das noch nicht?

Weil sie die nötige Fingerfertigkeit noch nicht haben, und weil sie noch zu dumm sind. Wenn man in den News liest, was in der KI-Forschung – etwa mit Chat-GPT oder Deepseek – passiert, hat man das Gefühl, Maschinen hätten das menschliche Universalwissen abgebildet. Chat-GPT kann dir heute schon sagen, welche Schritte nötig sind, um einen Teller zu waschen. Nun müssen wir das Wissen von Sprachmodellen mit der Robotik verbinden. Daran forschen wir noch.

Sie tun das hier in Zürich, obwohl Sie für Ihre Forschung mehrmals in den USA waren und dort der Markt und die Investitionssummen grösser wären. Warum bleiben Sie hier?

Robotik und künstliche Intelligenz sind prägende Technologien. Es ist mir ein Anliegen, dass die Schweiz in diesen Bereichen eine führende Rolle spielt.

Weshalb kamen Firmen wie Open AI, Nvidia oder das Robotics and AI Institute, das Sie ja leiten, nach Zürich?

Eine Uni wie die ETH ist ein unglaublicher Magnet. Dank ihr erhalten Firmen Zugang zu Toptalenten aus aller Welt. Dazu kommt, dass Zürich eine hohe Lebensqualität bietet und durch den Flughafen gut angebunden ist. Das vereinfacht es, hochqualifizierte Angestellte hierher zu lotsen und sie auch langfristig zu halten.

Merken Sie im Startup-Bereich eine Veränderung durch die Präsenz der grossen amerikanischen Firmen?

Ja. Ihre Präsenz steigert die Sichtbarkeit der Zürcher Tech-Szene nach aussen und zieht nebst Talenten auch Investoren an.

Und trotzdem sagt man, der Schweizer Startup-Branche fehlten die grossen Investitionen, also Beträge von über 50 Millionen Franken.

Das stimmt. Mit Anybotics konnten wir zwar gerade eine neue Finanzierungsrunde über 60 Millionen Dollar abschliessen. Aber wären wir ein amerikanisches Unternehmen, hätten wir bestimmt schon früher ein Vielfaches davon einsammeln können.

Warum sind Risikokapitalgeber bei Schweizer Unternehmen so zurückhaltend?

Sie arbeiten einfach mit anderen Dimensionen als in den USA. Bei uns ist die «Go big or go home»-Mentalität weniger tief verankert. Viele Schweizer Jungunternehmen scheuen sich davor, das letzte Risiko einzugehen. Das ist schon okay, sie können auch so erfolgreich werden. Aber oft bleiben sie damit unter ihrem Potenzial.

Was muss geschehen, damit die Schweiz auch für ambitioniertere Startups attraktiv wird?

Wir brauchen viele junge, hungrige Unternehmer mit ambitionierten Plänen. Und wir müssen weiterhin an den idealen Rahmenbedingungen arbeiten.

Was sollte die Schweiz an den Rahmenbedingungen verändern?

Mit den Budgetkürzungen bei der Bildung spart die Schweiz bei ihrem wichtigsten Gut. Wir schaden uns damit selbst. (Anm. d. Red.: Der Bundesrat will ab 2027 jährlich 460 Millionen Franken in Bildung, Forschung und Innovation sparen. Der ETH-Rat kritisiert das Vorhaben.) Ausserdem sollten wir aufpassen, dass wir die Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften aus Drittländern nicht allzu stark einschränken.

Waren die Kontingente für Arbeitskräfte aus Drittstaaten je ein Problem für Ihre Firmen oder Ihre Forschung?

In der Forschung an der ETH sind wir davon nicht betroffen, bei den Firmen mussten wir allerdings schon Leute deswegen ablehnen.

Während der Standort Zürich boomt, fehlen gesamteuropäisch Durchbrüche wie in den USA mit Chat-GPT oder in China mit Deepseek. Verlieren wir den Anschluss?

Man hört gerade überall, dass zu wenig Innovation aus Europa komme. Aber das kann auch ein Weckruf sein. Meine Doktoranden bekommen Lohnangebote aus den USA, bei denen mir schwindlig wird. Trotzdem sagen viele: «Nein, wir wollen in Europa bleiben und hier etwas aufbauen.» Dennoch drohen wir im Spannungsfeld von den USA und China zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Aber es ist auch eine Chance: Europa und speziell die Schweiz kann ein Hort werden, wo man sowohl mit China wie auch mit den USA zusammenarbeiten kann.

Gerade die USA wollen nun aber den Export von Hochleistungschips ab Mai beschränken, die Schweiz ist voraussichtlich ebenfalls betroffen. Auch Anybotics erwägt deswegen, seine Produktion in die USA zu verlegen. Werden die amerikanischen Exportkontrollen zum Problem für den Standort?

Ja, sie behindern Forschung und Unternehmen. Ich hoffe, dass wir es noch schaffen, diese Beschränkungen abzuwenden und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Unternehmen wie Anybotics am Standort Schweiz kompetitiv bleiben.

Stossend ist die drohende Exportbeschränkung unter anderem, weil amerikanische Unternehmen von der Zusammenarbeit mit Schweizer Hochschulen wie der ETH profitieren. Stört es Sie, wenn Firmen wie Nvidia mit Ihren Erkenntnissen Geld machen?

Nein. Wir forschen für die Öffentlichkeit und ich freue mich, wenn Unternehmen unsere Arbeit in Produkte und damit in Geld ummünzen. Kooperationen wie solche mit Nvidia, Hilti oder ABB ermöglichen uns, offene Forschung zu betreiben und gleichzeitig relevante Fragestellungen zu untersuchen.

Technische Erkenntnisse können auch für militärische Zwecke verwendet werden. Seit Russland in die Ukraine eingefallen ist, haben insbesondere amerikanische Tech-Firmen ihre abweisende Haltung gegenüber dem Militär relativiert. Beobachten Sie das auch in der Forschung?

Ja. Forschung im Militärbereich ist seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und dem Nahostkonflikt wieder gesellschaftsfähiger. Als ich meine Mitarbeitenden vor fünf Jahren gefragt habe, ob sie sich vorstellen könnten, mit dem Militär zu arbeiten, war die Antwort fast immer: «Nein.» Heute ist die Bereitschaft grösser.

Anymal, der vierbeinige Roboter von Anybotics, könnte auch mit Minen oder Gewehren ausgestattet werden. Er kann sich selbständig in unwegsamem Gelände bewegen und mehrere Kilogramm Gewicht tragen.

Diese Roboter sind nicht für bewaffnete Militäreinsätze konzipiert und auch nicht für solche Anwendungen zugelassen. Das bedeutet aber nicht, dass die Technologie heute nicht bereits so weit wäre, dass unbemannte Roboter für Militärzwecke genützt werden können. An der ETH arbeiten wir intensiv mit Armasuisse zusammen, dabei geht es aber ausschliesslich um unbewaffnete Einsätze und Katastrophenhilfe.

Wird es bald Robotersoldaten geben?

Es gibt bereits heute unbemannte Kriegsmaschinen in Form von Raupenfahrzeugen oder Drohnen. Dass es also in Zukunft für gewisse Einsätze Roboter mit Beinen geben wird, scheint eine logische Konsequenz.

Was ist mit Abwaschrobotern? Wann können wir mit denen rechnen?

Die gibt’s doch schon, zumindest wäscht bei mir zu Hause die Abwaschmaschine ab. Die ist auch sehr viel effizienter und unauffälliger, als wenn da ein humanoider Roboter in meiner Küche hantieren würde. Die Frage ist also, wo können Roboter nützlich sein? Unsere Vierbeiner werden bereits heute für die Inspektion und Überwachung von grossen Industrieanlagen genutzt. Bei den menschenähnlichen Robotern dauert es noch ein wenig länger, aber auch die werden wir bald in ersten einfachen Anwendungen finden.

Es wird also noch dauern.

Beim Gedichteschreiben wird er bestimmt schneller helfen können.