Deutschlands Wassernetz braucht 800 Milliarden Euro

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Nicht nur Straßen, Schienen und Schulen müssen dringend saniert werden. Auch die Wasser- und Abwasserversorgung in Deutschland braucht eine Rundumerneuerung. Leitungen und Anlagen haben das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Hinzu kommen die Herausforderungen durch den Klimawandel. Die Wasserinfrastruktur muss an die erhöhten Risiken von Starkregen und Hochwasser, aber auch an längere Trockenphasen angepasst werden.

Auf die kommunale Wasserwirtschaft kommen damit in den nächsten 20 Jahren Investitionskosten in Höhe von rund 800 Milliarden Euro zu. Das geht aus einem Gutachten des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) hervor, der mehr als 90 Prozent der Trinkwasserversorger und 45 Prozent der Abwasserversorger in Deutschland vertritt. „Aktuell rollt eine riesige Investitionswelle auf uns zu“, sagte VKU-Vizepräsident Karsten Specht der F.A.Z. Dafür seien staatliche Fördermitteln aus dem geplanten Sondervermögen nötig. Sonst würden die Kosten für Wasser und Abwasser die Grenze der Belastbarkeit überschreiten, mahnte der VKU-Vize.

„Flächendeckende Preisanpassungen werden unvermeidbar sein“

Die Wasser- und Abwasserwirtschaft investiert derzeit rund zehn Milliarden Euro, um die Netze und Anlagen zu erhalten und an Extremwetter infolge des Klimawandels anzupassen. Damit die Wasser- und Abwasserversorgung auch in Zukunft zuverlässig funktioniert, müssten die bisherigen Investitionen bis zum Jahr 2045 auf 40 Milliarden Euro im Jahr gesteigert werden, heißt es in der Studie, welche der F.A.Z. vorliegt. Rund zehn bis 15 Prozent der Summe seien allein für die Anpassungen an Extremwetterlagen nötig.

Theoretisch bestehe in den kommenden 20 Jahren ein Investitionsbedarf von 10.000 Euro je Einwohner, ermittelte die auf Energie- und Infrastrukturwirtschaft spezialisierte Kanzlei Becker Büttner Held. Wollte man die Erneuerung und Modernisierung des Netzes ausschließlich über die Entgelte für Wasser und Abwasser finanzieren, würden sich diese nach Angaben des VKU im Schnitt verdoppeln.

Gegenwärtig zahlen die Bürger für Wasser im Bundesdurchschnitt rund 11 Euro je Kopf im Monat. Für Abwasser sind es nach Angaben des VKU 12 Euro. Allerdings gibt es regionale Unterschiede, was mit Faktoren wie der Verfügbarkeit des Wassers und der Bevölkerungsdichte zusammenhängt. „Flächendeckende Preisanpassungen werden unvermeidbar sein“, stellte Specht klar. Vor allem für Kunden in dünn besiedelten Gebieten dürften die Entgelte für Wasser und Abwasser steigen, weil es dort weniger Wasseranschlüsse gebe und die hohen Fixkosten auf weniger Schultern verteilt werden, erläuterte der VKU-Vize.

Mehrwertsteuer für Trinkwasser auf Null senken?

Die Gebührenzahler allein könnten die Kosten aber nicht stemmen, sagte Specht. Bund und Länder müssten sich beteiligen. „Wer über ein Sondervermögen für Investitionen in öffentliche Infrastrukturen spricht, der muss dabei auch Wasser und Abwasser berücksichtigen“, mahnte der VKU-Vize mit Blick auf den geplanten schuldenfinanzierten Topf von 500 Milliarden Euro, aus dem die Länder nach den Plänen von Union und SPD 100 Milliarden Euro für Infrastrukturvorhaben bekommen.

Specht forderte zudem ein Bündel kostendämpfender Maßnahmen. Die Mehrwertsteuer für Trinkwasser sollte auf Null gesenkt werden; europarechtlich sei das möglich. Außerdem sollten die Millioneneinnahmen in Form der Abwasserabgabe sowie für die Entnahme von Grundwasser, die bislang in die Länderhaushalte fließen, künftig der Wasserinfrastruktur zugute kommen, forderte der VKU-Vize. Des weiteren müssten Produzenten, deren Produkte das Wasser belasten, stärker und konsequenter an den Kosten für den Schutz der Wasserressourcen vor der Belastung mit Chemikalien und anderen Stoffen beteiligt werden.

Die Alterserscheinungen des Wassernetzes machen sich bislang glücklicherweise nur in Ausnahmefällen bemerkbar. Wenn Schäden an Wasserrohren und -anlagen auftreten, hat das aber sogleich gravierende Folgen. Ein alarmierender Vorfall ereignete sich am Silvesterabend in Berlin. In weiten Teilen der Hauptstadt fiel für mehrere Stunden die Wasserversorgung aus. Nicht nur Haushalte waren betroffen. In der Böllernacht stand der Feuerwehr zeitweise auch kein Löschwasser aus Hydranten zur Verfügung. Grund für den Zwischenfall war ein Rohrbruch. Das Versorgungsrohr stammt aus dem Jahr 1928 und besteht aus einem Material, das heute so nicht mehr verwendet wird.

Aber nicht nur in der Hauptstadt haben Wasserrohre ein hohes Alter. „Viele Netze, Kanäle und Anlagen stammen noch aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg oder sind teilweise noch älter“, teilte der VKU mit. Von den 800 Milliarden Euro, die für die Erneuerung und Modernisierung benötigt werden, entfallen 65 Prozent auf die Abwasser- und 35 Prozent auf die Trinkwasserversorgung.