Am Donnerstag kommt der alte Bundestag zu seiner 213. Sitzung zusammen, nur ein Punkt steht auf der Tagesordnung: Änderung des Grundgesetzes. Neben dem FDP- und dem Grünen-Antrag zur Finanzierung von Verteidigungsausgaben steht die erste Beratung des ersten großen schwarz-roten Projektes an: Drucksache 20/15096, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h).
Am Donnerstag reicht Union und SPD ihre einfache Mehrheit, um ihren Antrag in die Ausschüsse zu verweisen. Dann beginnen die Schwierigkeiten für die schwarz-roten Verhandler aber erst. Auf der Suche nach einer Zweidrittelmehrheit, bei den Fristen und bei der Disziplin der eigenen, nicht wiedergewählten Abgeordneten.
Dass die drei von Union und SPD geplanten Grundgesetzänderungen nächste Woche in der beabsichtigten Form beschlossen werden, ist nach der Gegenwehr der Grüne nahezu ausgeschlossen. Union und SPD wollen mit ihrem Paket die Verteidigungsausgaben von mehr als einem Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse ausnehmen, ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur schaffen und die Schuldenbremse so anpassen, dass auch die Länder mehr Kredite aufnehmen können.
Parallel laufen die Gespräche zwischen den Fraktionsspitzen von Union, SPD und Grünen auf der Suche nach einem Kompromiss weiter. Auch am Mittwoch wollte man zusammenkommen. Wenn sich noch ein Kompromiss finden sollte, würde man diesen in das am Donnerstag einzubringende Gesetzespaket von Schwarz-Rot einarbeiten müssen.
Am einfachsten wäre es, sollte man in der Nacht zu diesem Donnerstag eine Lösung finden, diese per Änderungsantrag in die erste Lesung einzubringen. Dann wäre man bei den Fristen auf der sicheren Seite. Die Anpassung des rot-schwarzen Gesetzes, womöglich gar die Aufspaltung, wie Grüne sich das vorstellen können, ist aber auch nach der ersten Lesung in den Ausschüssen möglich. Etwa durch getrennte Beschlussempfehlungen, oder durch Änderungsanträge. Dafür ist aber die Zeit knapp.
Jeder Änderungsantrag würde die Uhr von vorne laufen lassen
Angesetzt ist kommender Dienstag für die Entscheidung im Bundestag. Der neue Bundestag tritt am 25. März zusammen. Dann haben AfD und Linke eine Sperrminorität. Das Problem sind aber auch die Zeiten, die man Abgeordneten zugesteht, sich mit den Gesetzestexten zu beschäftigen. Jeder Änderungsantrag würde die Uhr von vorne laufen lassen. Verbunden ist dieses Problem im Bundestag vor allem mit dem Namen Heilmann.
Er steht für einen Beschluss, den der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann im Juli 2023 in Karlsruhe erstritt. Er hatte dort eine Unterbrechung des in seinen Augen zu eiligen Gesetzgebungsverfahrens verlangt – und recht bekommen. Das Verfassungsgericht verpflichtete den Bundestag, die Abstimmung über das Gesetz zu verschieben. Es war ein vorläufiger Beschluss, die endgültige Entscheidung darüber, ob der Bundestag damals seine Abgeordnetenrechte verletzte, steht noch aus.
Überraschend war der Beschluss, weil das Verfassungsgericht dem Bundestag in Gesetzgebungsprozessen traditionell große Autonomie zubilligt – auch Eiltempo. In der Heilmann-Entscheidung betonten die Richter nun das Recht aller Abgeordneten, „gleichermaßen an der parlamentarischen Willensbildung mitzuwirken“. Diese hätten nicht nur das Recht abzustimmen, sondern auch „zu beraten“. Das setze eine „hinreichende Information“ voraus, die ein Abgeordneter auch „verarbeiten“ können müsse.
Das Vorhaben von Union und SPD ist gravierend, aber nicht kompliziert
Lässt sich aus diesem Beschluss etwas für die aktuelle Lage ableiten? Jedenfalls nicht unmittelbar. Maßgeblich war in der Entscheidung die Komplexität des geplanten Heizungsgesetzes. Das Vorhaben von Union und SPD ist dagegen gravierend, aber nicht kompliziert. Zum Verhältnis von Tragweite einer Reform und angemessener Beratungszeit haben sich die Verfassungsrichter nicht geäußert.
Für Nervosität sorgt die Heilmann-Entscheidung in Berlin trotzdem. Nach etwaigen Änderungsanträgen sollte deshalb genügend Zeit bleiben. Da aber eine konkrete Ableitung aus dem Heilmann-Fall nicht möglich ist, wird unterschiedlich ausgelegt, wie viel Zeit das sein muss. Zwischen zwei und sieben Tagen, um auf der sicheren Seite zu sein, ist eine Einschätzung. Das schränkt den Zeitraum weiter ein, in dem ein Kompromiss gefunden werden müsste.
Zwar beginnt schon am Donnerstag die Ausschussarbeit, gleich nach der Sitzung im Bundestag ist im Haushaltsauschuss eine öffentliche Anhörung angesetzt zu dem schwarz-roten Paket. Viele andere Ausschüsse wollen beratend mitmitwirken. Sollten die Änderungsanträge erst am Montag endgültig im Ausschuss eingehen und mit diesen die Beschlussempfehlung erfolgen, wäre das schon sehr nah an der geplanten Entscheidung im Bundestag am Dienstag. Diese zweite und dritte Lesung ließe sich zwar theoretisch auch noch ein wenig schieben, so lange zumindest, bis der neue Bundestag zusammentritt.
Es gibt noch ein anderes wichtiges Datum
Allerdings gibt es noch ein anderes wichtiges Datum: Die Sitzungs des Bundesrats am Freitag, 21. März. Am Mittwoch trafen sich die Regierungschefs der Länder zur planmäßigen Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin. Das wichtigste Thema war dabei der Milliardenplan von Union und SPD, von dem auch die Länder profitieren würden. Sie bekämen einen Teil des Sondervermögens und zudem würde die Schuldenbremse für sie gelockert.
Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Niedersachsen, Michael Kretschmer (CDU) und Stephan Weil (SPD), stellten sich nach der Sitzung wie eine Vorhut der geplanten schwarz-roten Bundesregierung vor die Mikrofone und hinter das geplante Schuldengesetz. „Entscheidend ist, dass diese Gespräche zu einem positiven Ende finden müssen“, sagte Kretschmer. Weil äußerte sich entsprechend und bat dringend, alle Vorhaben in einem Gesetz zu lassen und nicht zu trennen. Allerdings muss auch in der Länderkammer eine Zweidrittelmehrheit her, für die neben den Ländern, in denen ausschließlich CDU und SPD regieren, Bayern mitmachen muss, wo die CSU die Freien Wähler an ihrer Seite hat, oder Länder mit FDP-Regierungsbeteiligung. Kretschmer zeigte sich am Mittwoch zuversichtlich, dass Bayern dabei ist.
Mit den Mehrheiten könnte es selbst im alten Bundestag und nach einem Kompromiss mit den Grünen noch schwierig werden. Union, SPD und Grünen haben zusammen 31 Stimmen mehr, als für die Zweidrittelmehrheit benötigt. Bei den drei Fraktionen gibt es eine dreistellige Zahl von Abgeordneten, die zwar zum alten Bundestag gehören – aber nicht mehr zum neuen.
Was das für ihre Disziplin bedeutet, der Fraktionslinie zu folgen, ist eine Frage, mit der man sich gerade auf den Fraktionsebenen beschäftigt. Ebenso wie mit der Frage, ob auch wirklich alle noch einmal anreisen für die Sondersitzung. Bei den Grünen allein gehören 46 Abgeordnete dem neuen Bundestag nicht mehr an. Aus der Fraktion heißt es zumindest für die Sitzung an diesem Donnerstag hätten sich von allen Abgeordneten eine höhere einstellige Zahl bereits abgemeldet. Manche sind krank, Noch-Außenministerin Annalena Baerbock ist beim G-7-Gipfel in Kanada. Alles im normalen Bereich, heißt es.