Man würde ja generell ungern mit jemand anderem tauschen, noch nicht einmal mit Markus Söder. Aber am wenigsten gern wollte man zuletzt in die Haut der Autoren des Singspiels am Nockherberg schlüpfen: So dynamisch war die politische Lage, dass jedes Drehbuch drohte, durch die galoppierenden Ereignisse in Berlin, Washington oder Rottal-Inn überholt zu werden. Eigentlich sollte dieses Jahr Sahra Wagenknecht im Stück vorkommen. Doch als sie es mit ihrem BSW nicht in den Bundestag schaffte, strichen sie Stefan Betz und Richard Oehmann kurzerhand aus ihrem Manuskript und ersetzten sie durch die Linke Heidi Reichinnek.
Dass die bewährten Autoren als Rahmenhandlung eine Fernsehshow mit dem Titel „Bayern feiert Friedrich Merz“ wählten, war klug: So konnten sie, je nach aktueller Entwicklung, relativ problemlos Module hinzufügen oder wegnehmen. Davon abgesehen: Wenn es eine Klammer um all den Wahnsinn gibt, der sich gegenwärtig in der Welt, in Deutschland und in Bayern abspielt, dann ja wohl, dass alles, ob beim politischen Aschermittwoch oder im Oval Office, offenbar nur Show oder unendlicher „Spasss“ (Horst Seehofer) ist. Wie würde Trump sagen: great television.
Für alle, die Bayern mit einem eher zoologischen Blick betrachten, sei der Nockherberg, der wahrheitsgemäß eigentlich Nockherhügel heißen müsste (da geht’s schon los mit den Fake News), kurz erklärt. Auf dieser kleinen Erhebung in München wird alljährlich das Starkbier der Paulaner-Brauerei angestochen, genannt „Salvator“, Erretter, Erlöser.
Starkbier ausgerechnet in der Fastenzeit? Schon darüber dürfte man in Kiel oder Koblenz irritiert sein. Der eigentliche Witz an der Sache ist aber, dass der Anstich flankiert wird durch zwei satirische Darbietungen – die Fastenpredigt und eben das Singspiel –, die von den derbleckten (hochdeutsch: aufs Korn genommenen) Politikern im Publikum ertragen werden müssen. Vielleicht hat dieses alljährliche Exerzitium zu der ausgeprägten Schmerzfreiheit von Söder und Co. geführt, zumal im Umgang mit dem politischen Gegner.
Die Autoren haben das politische Jahr gut beobachtet
Der Nockherberg ist zumindest in Bayern ein Gradmesser für politische Konjunkturen. Die Grüne Katharina Schulze fehlte zum ersten Mal seit Jahren im Singspiel. Dass Dorothee Bär Premiere feierte, als Einheizerin an der Seite der ebenso pfundigen wie höllenhündischen bayerischen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, spiegelt ihre Chancen auf einen Kabinettsposten wider – und dürfte sie womöglich noch steigern.
Die Autoren haben das politische Jahr gut beobachtet, im Großen wie im Kleinen. Allein die wiederholte Betonung durch Kaniber, dass Söder ja so viel schwimme, reflektierte wunderbar die virile Selbstinszenierung des CSU-Chefs und das schwärmerische Verhältnis, in das sich manche dazu setzen. Ähnlich treffend das Lied, in dem sich „Magic Markus“, der „größte Illusionist der deutschen Politik“, zum Demutsgiganten ausschwingt. Er gibt darin Friedrich Merz, dessen Name im Bühnenbild durch einen Vorhang verdeckt ist, zu verstehen, dass er, Söder, der bessere Kanzler wäre, auch in Sachen Bescheidenheit. Der Komparativ „Ich bin demütiger“ kippt dabei erst zu „Ich bin der Demütiger“ und schließlich zum „Demü-Tiger“.

Söder, gespielt von Thomas Unger, hatte in diesem Jahr wieder die Präsenz im Stück, die er selbst für ebenso angemessen halten dürfte wie die Randständigkeit anderer Figuren: Hobbyjäger Christian Lindner (Christian Pfeil) hat schon auf dem Hochsitz Platz genommen, Olaf Scholz (Nikola Norgauer) feiert sein politisches Lebenswerk mit einer Ein-Mann-Polonaise. Nur Robert Habeck (Thomas Limpinsel) hat noch einmal einen großen Auftritt als „Hinterbänkel-Sänger“ mit „Vertrauenslehrercharme“, der Hubert Aiwanger in einer Showküche therapeutisch zur Seite steht: „Wenn man den Trekker des Lebens falsch belädt, kommt man nicht den Bach rauf.“
Ob man die kommenden Jahre mehr von Alice Weidel sehen wird? Sie erschien diesmal als apokalyptische Hobby-Horse-Reiterin, die in gespenstischer Wortlosigkeit mit einem Steckenpferd die Bühne durchmaß als stampfte sie im Bundestag immerzu mit dem Fuß auf den Boden. Merz glaubt, das Pferdchen mit einem großen Stück Zucker bändigen zu können. Als ihm dieses dann die Hand abbeißt, sagt er, in Anspielung auf die Inkaufnahme von Stimmen der AfD: „Ich bedauere das, aber das war es mir wert.“ Wie an dieser Stelle wird die jüngere Vergangenheit immer wieder zwanglos ins Stück eingeflochten. Als Merz seiner mutmaßlich künftigen Koalitionspartnerin Saskia Esken „Rambo-Zambo für Deutschland“ ankündigt, fragt die, mäßig entflammt: „Heißt es nicht Ramba-Zamba?“, woraufhin Merz entgegnet: „Jetzt ist aber mal Schluss mit Gendern.“
Markus Söder, der größte aller Schwimmer
Das Singspiel ist aus Sicht der Politiker im Publikum der unproblematischere Part. Sie können immer sagen: Ist ja Fiktion. Ein bisschen ernster geht es in der Regel bei der Fastenpredigt zu. Da war die Stimmung im Saal dieses Jahr eher angespannt, ohne sich allzu oft in ein befreiendes Lachen zu entladen. Das kann an Bayern gelegen haben oder an der Predigt des Kabarettisten Maxi Schafroth. Im Freistaat ist man es gewohnt, dass Spitzen humoristisch abgerundet oder ins Uneigentliche abgebogen werden.
Dass Söder selbst inzwischen als Sänger, Humorist und Foodblogger auftritt, markiert die Perfektion dieses Phänomens – und die Perversion. Schafroth hat den Populismus der Politiker kritisiert, ihren Opportunismus, ihre Unchristlichkeit, mit besonderer Berücksichtigung der CSU. Er hat dem CSU-Chef und den meisten anderen der von ihm Bedachten die Ausflucht in den Unernst oder zumindest ins politische Ränkespiel verbaut, indem er mehr eins-zu-eins war als es die Politiker heute zu sein pflegen.

Der Allgäuer Bauernsohn Schafroth hat dabei den Mut gehabt, Dinge anzusprechen, die man in Bayern nicht so gerne hört, schon gar nicht in einem Raum, in dem vornehmlich diejenigen sitzen, die für sich in Anspruch nehmen, das Geld zu erwirtschaften, das hernach dann vielleicht verteilt werden kann. Er hat es diesmal aber nur sporadisch vermocht, so subtil zu sein, dass die Adressaten nicht merken, dass sie über sich selbst lachen, oder so präzise, dass sie, vergleichbar mit dem Kniesehnenreflex, gar nicht anders können.
Es ist in der gegenwärtigen Lage sehr schwer, den richtigen Ton zu treffen. „Könnte es sein, dass derzeit alle schwimmen, egal, welche Partei?“, hieß es im Singspiel. Das stimmt – und zwar nicht nur für die Parteien und nicht nur für Markus Söder, einen der größten Schwimmer überhaupt.