Ein amerikanischer Langstreckenbomber B-52 flog kürzlich begleitet von zwei schwedischen Gripen-Kampfflugzeugen im Tiefflug über Stockholm. Fast die gleiche Formation war über Schwedens Hauptstadt zu sehen, als das Land der NATO beitrat. Damals war die Stimmung in Stockholm euphorisch.
200 Jahre Neutralität gingen zu Ende, fast alle im Land waren dafür. Schweden hatte lange mit der Türkei und Ungarn um seinen Beitritt ringen müssen, als dieser dann endlich erfolgte, reiste Ministerpräsident Ulf Kristersson nach Washington, sprach von einem „Sieg der Freiheit“. Doch heute, da unklar ist, welche Sicherheit die NATO überhaupt noch bietet, ist die Euphorie einer großen Ernüchterung gewichen. Von einem Kater ist in Stockholm die Rede.
Dann kam Donald Trump
Das Risiko einer weiteren Verschlechterung der Sicherheitslage sei „greifbar“, warnte am Dienstag Schwedens Nachrichtendienst Säpo, die Bedrohung gehe vor allem von Russland aus. Unter den Ostseeanrainern ist die Sorge vor einer Eskalation groß; sollte der Krieg in der Ukraine beendet oder eingefroren werden, wäre Russland innerhalb von zwei Jahren bereit für einen regionalen Krieg gegen mehrere Staaten im Ostseeraum, warnte kürzlich der dänische Verteidigungsnachrichtendienst.
Gemäß Artikel fünf des NATO-Vertrags müsste dann auch Amerika zu Hilfe eilen. Aber ob Washington wirklich Tausende Soldaten schicken würde, wenn etwa Estland angegriffen würde, daran gibt es seit Donald Trumps Amtsantritt große Zweifel.

Die offizielle Linie in Schweden dazu lautet: Bisher habe sich nichts geändert, der militärische Alltag gehe weiter. Verwiesen wird etwa auf die rund 10.000 Soldaten aus neun Nationen, die dieser Tage im Norden Norwegens gemeinsam im Rahmen der Militärübung Joint Viking üben und den Schutz der NATO-Nordflanke trainieren. Auch amerikanische Soldaten nehmen teil.
Auf die Frage, ob die militärische Zusammenarbeit nicht durch all die politischen Unruhen beeinträchtigt werde, sagte kürzlich Carl-Johan Edström, der Chef des Verteidigungsstabs und damit Schwedens zweithöchster Militäroffizier: „Die einfache Antwort ist Nein. Wir haben immer noch die gleiche Art von Dialog und Zusammenarbeit auf allen Ebenen wie vor dem Regierungswechsel.“ Man sei sich durchaus bewusst, dass die neue amerikanische Regierung eine völlig andere Politik verfolge. „Aber im Moment sehen wir keine Veränderung.“
Natürlich sei, wenn man sich an das Wesentliche halte, nicht viel passiert, sagt dazu die frühere Diplomatin Ulla Gudmundson. „Die USA haben sich nicht aus dem Militärbündnis zurückgezogen.“ Aber Trumps Avancen in Richtung Wladimir Putin, der zwischenzeitliche Stopp der Ukrainehilfen und das Verhalten der USA im UN-Sicherheitsrat bereiteten auch in Schweden große Sorgen. „Das Vertrauen, auf das die NATO aufbaut, ist zu einem sehr großen Teil erodiert.“
Neue Gründe für die NATO
Trotzdem würde sie der schwedischen Regierung auch mit dem Wissen von heute raten, der NATO beizutreten, sagt Gudmundson. Aber aus einem etwas anderen Grund als vor einem Jahr. Nämlich um weniger von den USA abhängig zu werden. Vor dem NATO-Beitritt sei Schweden vollständig abhängig gewesen von der Unterstützung der USA mittels bilateraler Abkommen. „Jetzt, da sich die USA als sehr unverlässlicher Partner erwiesen haben, wären wir damit sehr verletzlich. Die NATO ist nun für uns wichtig, weil wir mit den anderen europäischen und vor allem den nordischen Staaten vertieft kooperieren.“
Trump habe die Europäer und Kanadier nun gezwungen, sich gegenseitig zu vertrauen, sagt auch Håkan Edström, ein Oberstleutnant, der an der schwedischen Verteidigungshochschule forscht. Der NATO-Beitritt sei richtig gewesen, um Russland abzuschrecken. Ohne die NATO wäre Schweden ein „Spaziergang“ für Russland gewesen. „Eine einfache Drohung mit Massenvernichtungswaffen hätte uns zur Kapitulation gezwungen.“
Europas kombinierter Abschreckungswert
Schweden sei durch die Mitgliedschaft sicherer, sagt auch Generalmajor Karlis Neretnieks, der einst führende Positionen in Schwedens Militär bekleidete. Bei der NATO gehe es nicht nur um die Unterstützung durch die USA, sondern ebenso um die europäische und nordische Zusammenarbeit und Planung in Kriegs- und Friedenszeiten. Der kombinierte „Abschreckungswert“ der nordischen und baltischen Länder zusammen mit der möglichen Unterstützung durch Länder wie Polen, Deutschland, Großbritannien und Frankreich mache Schweden und seine Nachbarn sicherer.
Schweden gilt aufgrund seiner Geographie als strategisch entscheidender Brückenkopf im Ostseeraum bei einer möglichen Verteidigung der baltischen Staaten. Es verfügt über eine schlagkräftige, aber sehr kleine Armee. Trotzdem ist sich Neretnieks sicher, wenn Russland beispielsweise Estland angreifen würde, würde Schweden „mit allen Mitteln helfen, die uns zur Verfügung stehen“. Er gehe davon aus, dass andere Mitglieder des Bündnisses dasselbe tun würden, unabhängig davon, ob die USA präsent seien oder nicht.
Sorge bereitet in Schweden, dass künftig in Europa einige wenige große Staaten wie England und Frankreich in Verteidigungsfragen den Ton angeben könnten. Die USA seien in Europa aufgrund ihrer Größe und ihres Gewichts ein Stabilisator gewesen, sagt Gudmundson. Nun drohe eine Rückkehr in ein Europa der Großmächte, ähnlich wie im 19. Jahrhundert. Die europäische Verteidigung könne nicht darauf beruhen, dass die großen Länder Pläne aufstellten, denen der Rest folge, so Gudmundson. Dass die drei baltischen Staaten kürzlich nicht zum Londoner Ukraine-Gipfel eingeladen wurden, sei ein denkbar schlechtes Signal an Russland gewesen.