Kurz bevor Katharina Dröge ans Rednerpult tritt, hat CDU-Chef Friedrich Merz ihrer Grünen-Fraktion von diesem Platz aus noch zugerufen: „Was wollen Sie eigentlich in so kurzer Zeit noch mehr?“ Schon nach wenigen Sätzen der grünen Ko-Fraktionsvorsitzenden ist klar: noch viel mehr. Dröge ist an diesem Tag nicht ans Mikrofon gekommen, um eine ausgestreckte Hand zu ergreifen. Sie ist gekommen, um auszuteilen gegen Union und SPD, die so dringend die Stimmen ihrer Fraktion brauchen. Sie wirft Merz „Parteitaktik“ vor, dass er vor der Wahl nicht bereit gewesen sei, die Schuldenbremse zu reformieren.
Dröge sagt, sie habe darauf gewettet, dass Merz sich nach der Wahl vor den Bundestag stellen und sagen werde, die Weltlage sei eine andere. Auf einmal sehe er ein, dass die Schuldenbremse reformiert werden müsse. „Es ist nur ein kleines bisschen schneller gekommen, als ich in meiner Wette gedacht hätte“, sagt Dröge. Immer wieder schüttelt Merz den Kopf.
Am Donnerstag ist der alte, der 20. Bundestag noch einmal zu einer Sondersitzung zusammengekommen, und nur ein Punkt steht auf der Tagesordnung: Änderung des Grundgesetzes. Union und SPD haben ihr Paket zur Änderung der Verfassung eingebracht. Dazu gehören: die Ausnahme von Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse, ein Sondermögen über 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur und eine Anpassung für die Länder, damit die künftig auch mehr Kredite aufnehmen können. Nur die nötige Zweidrittelmehrheit haben Union und SPD auch nach den abermaligen Verhandlungen am Mittwochabend mit Dröge und ihrer Ko-Vorsitzenden Britta Haßelmann noch immer nicht zusammen. Und mit dem Auftritt von Dröge wird deutlich, wie schwierig das noch wird.
Den Grünen fehlt ein Wort
Denn Dröge kritisiert nicht nur das Vorgehen von Merz scharf, sie weist auch gleich noch einen ganz frischen Kompromissvorschlag von Union und SPD zurück. Die haben kurz vor der Sitzung für die anschließende Befassung im Haushaltsausschuss schon einen Änderungsantrag eingebracht und damit gehofft, den Grünen weit entgegengekommen zu sein. Merz hatte vor der Debatte in seiner Fraktion von den Gesprächen mit den Grünen berichtet, von einer konstruktiven Atmosphäre und den Grünen-Forderungen nach einem erweiterten Verteidigungsbegriff und dem schwierigesten Punkt, der Ausgestaltung des Sondervermögens.

Im Änderungsantrag steht nun, dass zu den Verteidigungsausgaben auch die Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste zählen. Und vor allem, dass die Laufzeit des Sondervermögens von zehn auf zwölf Jahre ausgeweitet wird und bis zu 50 Milliarden Euro davon in den Klima- und Transformationsfonds fließen dürfen. Ein Wort aber fehlt zu den Investitionen, und das prangert Dröge sogleich an: Zusätzlich.
Dröge an Merz: „Weil wir uns nicht auf Ihr Wort verlassen“
So wirft sie Union und SPD nicht nur vor, ohne Not all die Vorhaben in ein Paket zu packen – die Grünen würden am liebsten nur die Verteidigungsausgaben jetzt klären und später die Reform der Schuldenbremse angehen für die Infrastruktur. Dröge pocht darauf, dass bei den Investitionen in die Infrastruktur im Grundgesetz stehen müsse, dass diese zusätzlich erfolgten. Damit Union und SPD sich stattdessen nicht nur Freiraum im Haushalt schaffen, um Wahlgeschenke zu finanzieren. Das fürchten die Grünen. Und Dröge will das schriftlich. „Wenn Sie sich jetzt fragen, warum die Gespräche zwischen uns und Ihnen gerade so laufen, wie sie laufen“, so Dröge, „dann sagen wir Ihnen, weil wir uns nicht auf Ihr Wort verlassen.“ Man werde nur über das entscheiden, was im Grundgesetz stehe. Aus dem Gesicht von Merz scheint im Verlaufe ihrer Rede langsam die Farbe zu weichen.
Selbstgewiss sieht der Mann, der sich bald zum Kanzler wählen lassen will, jedenfalls nicht aus, als Dröges Vorwürfe auf ihn niederprasseln. Schließlich ist es nicht schön, als wortbrüchig dargestellt zu werden. Aber vielleicht denkt er auch darüber nach, wie es mit den Grünen weitergeht auf dem Weg zur angestrebten Einigung. In dem Änderungsantrag von Union und SPD, mit der man auf die Grünen zugehen will, steht tatsächlich die von diesen so dringend geforderte Zusätzlichkeit nicht drin. Doch nach Darstellung in der Union ist das kein Versehen, sondern man will es sich als Pfand für weitere Verhandlungsrunden aufheben. Das spricht dafür, dass man in der Union nach den Gesprächen mit den Grünen vor der Bundestagsdebatte nicht überzeugt war, schon einig zu sein. Lieber will man offenbar noch ein Ass im Ärmel behalten.
Vor Dröges Auftritt hat Merz versucht, den Vorwurf des Verrats zu entkräften. Der sei in „einigen Medien“ gegen ihn erhoben worden. Es geht um sein Eintreten für die Schuldenbremse im Wahlkampf und den auch von der politischen Konkurrenz seit dem schwarz-roten Plan für Milliardenschulden erhobenen Vorwurf, die CDU habe ihre Wahlkampfversprechen gebrochen. Merz erinnert an eine Äußerung zur Schuldenbremse zum Ende des vorigen Jahres. Da habe er eine Grundgesetzänderung nicht kategorisch abgelehnt. Allerdings nicht für den Konsum. Etwas anderes sei es, wenn es um die Lebensgrundlagen gehe.
Der CDU-Chef richtet ein „Wort des Dankes“ an die Grünen
Doch im Bundestag am Donnerstag schildert Merz vor allem den Handlungsbedarf mit Blick auf die weltpolitische Entwicklung. Angesichts des Krieges in der Ukraine und der neuen Regierung in Washington sei das Geld für die Verteidigung, die Infrastruktur und den Klimaschutz nicht ohne neue Schulden aufzubringen. Aha! Klimaschutz. Das ist eine Hinwendung zu den Grünen. Ein „Wort des Dankes“ richtet Merz an die Grünen. Man habe gute Gespräche miteinander geführt, sagt Merz, der als Oppositionsführer immer wieder deutlich gemacht hatte, dass er einen guten Kontakt zu den Grünen habe.
SPD-Chef Lars Klingbeil wird nachgesagt, er habe ein besseres Verhältnis zu den Grünen als Merz. Klingbeil ist es dann auch, der als erster Redner des Tages im Bundestag am weitesten in Richtung der Grünen geht. Er nimmt das Wort „Zusätzlichkeit“ in den Mund, das Dröge kurze Zeit später zum Knackpunkt von Vertrauen und Zustimmung machen wird. Hinter den Kulissen aber ist man bei den Sozialdemokraten ziemlich genervt von den Grünen. „Was wollen sie eigentlich noch?“ – so – wie Merz – hat man es nicht im Bundestag gesagt, aber gedacht. Eigentlich sei man sich doch seit dem Vorabend einig.

An der Formulierung, dass nur zusätzliche Investitionen durch das Sondervermögen finanziert werden, soll eine Einigung auch nicht scheitern. Wie Merz denkt man nun aber: Dann ist die Zusätzlichkeit eben noch im Verhandlungstopf. Wobei man sich bei der SPD nicht sicher ist, ob nicht dann noch drei andere Punkte aus dem Hut gezaubert würden. Auf die Frage, ob die Grünen ernsthaft an einer Einigung interessiert sind, bekommt man von SPD-Seite nur ein Schulterzucken.
Kurze Zeit hatte man bei den Sozialdemokraten die Befürchtung, die Union könnte für den Vorschlag der Grünen, jetzt nur über das Bundeswehrgeld, nicht über das Sondervermögen abzustimmen, offen sein. Umso erleichterter nahm man zur Kenntnis, das auch die Ministerpräsidenten das eine nicht vom anderen trennen wollen. Denn die SPD-Führung sieht eine Chance auf Zustimmung durch die Parteimitglieder nur dann, wenn beides in einem Koalitionsvertrag steht. Die Konzessionen an die Grünen, vor allem die üppigere Ausstattung des Klima- und Transformationsfonds, fällt da nicht schwer.
Klingbeil versucht der Entscheidung, die bald für die Grünen ansteht, zusätzliches Gewicht zu geben. Es gehe hier um historische Schritte und eine Chance, die man nicht leichtfertig ausschlagen dürfe, sagt er am Donnerstag. Es gehe um Verantwortung, nicht um recht haben oder Gefühle. Am Ende sagt der SPD-Chef: „Wenn die Geschichte anklopft, dann muss man die Tür öffnen.“ Das haben die Grünen getan. Die Frage wird sein: Gehen sie auch durch?