Drei Forschende haben eine Art Alarmanlage des Immunsystems erforscht: Sie schlägt an, wenn Viren, Bakterien oder Krebs eine Zelle befallen. Dafür erhalten sie den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstädter-Preis.
Er gehört zu den renommiertesten Auszeichnungen, die in Deutschland für medizinische Forschung vergeben werden: der Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstädter-Preis. Dotiert ist er mit 120.000 Euro.
Die in diesem Jahr ausgezeichneten Preisträger haben einen Signalweg in der Zelle entdeckt, den sogenannten cGAS-STING-Signalweg – eine Art “Alarmanlage des angeborenen Immunsystems”. Die Entdeckung des Signalwegs eröffnet neue Perspektiven für die Entwicklung von Medikamenten gegen Infektionen, Krebs oder Autoimmunerkrankungen.
Entdeckt haben das drei Forscher, darunter die deutsche Immunologin Andrea Ablasser. Sie ist Professorin für Lebenswissenschaften an der École polytechnique fédérale de Lausanne in der Schweiz. Bereits 2014 erhielt sie den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis. Ausgezeichnet wurden nun auch der Virologe Glen Barber, er forscht an der Ohio State University, sowie der Biochemiker James Chen von an der University of Texas Southwestern Medical Center in Dallas, beide USA.
Wie erkennt das Immunsystem Eindringlinge?
Unsere Körperzellen sind zahllosen Bedrohungen ausgesetzt: Etwa durch Bakterien, Viren oder Krebs. Doch wie erkennt das angeborene Immunsystem diese ihm zunächst unbekannten Eindringlinge? Und wie funktioniert das Alarmsystem im Einzelnen?
Schon seit mehr als hundert Jahren vermuten Forschende, dass die Erbsubstanz – also die DNA – eingedrungener Krankheitserreger, Auslöser für den Immunalarm sein könnte. Wie aber diese Problem-DNA erkannt und schließlich das Immunsystem aktiviert wird, blieb für Jahrzehnte ein Rätsel. Zwischen 2008 und 2013 haben die drei Preisträger das Rätsel jedoch gelöst. Sie fanden eine Signalkaskade, die zur Mobilisierung der Abwehrkräfte führt.
Enormes Potenzial für neue medikamentöse Strategien
Von Anfang an sahen sie das medizinische Potenzial, das mit einem Eingriff in diese Signalkette verbunden ist. Der amerikanische Virologe Glen Barber deutet die Möglichkeiten an: “Wir haben zuerst die Bedeutung entdeckt, die das für die Bekämpfung von Virusinfektionen hat. So können wir Medikamente entwickeln, die diese Signalkette verstärken. Auch gegen bakterielle Infektionen und für wirksamere Impfungen gegen Infektionen aber auch gegen Krebs.”
Diese Möglichkeiten ergeben sich, wenn man das Alarmsystem der Zelle verstärkt. Aber man kann es auch blockieren oder dämpfen. Dann lassen sich überschießende Immunreaktionen und Autoimmunerkrankungen behandeln.
Der Sensor zur Feinderkennung
Die drei Preisträger haben drei wesentliche Elemente des Immunalarmsystems entdeckt: Der Biochemiker Chen fand ein Eiweißmolekül, das die DNA der Eindringlinge erkennt und umklammert. Das setzt die Bildung eines Botenstoffes in Gang, der den Alarm in der Zelle weiterträgt.
Die Produktion und die Struktur dieses Botenstoffes hat die Immunologin Ablasser erforscht. Sie konnte nachweisen, dass der Botenstoff auch in benachbarte Zellen gelangt und diese in Alarmbereitschaft versetzt.
“Alarmglocke” am Ende des Signalwegs
Schon 2008 entdeckte der Virologe Glen Barber mit seiner Gruppe an der Universität von Miami ein Eiweißmolekül, das man als Signalglocke des Alarmsystems bezeichnen könnte. Wird es durch den Botenstoff stimuliert, sorgt es für die Aktivierung des Immunsystems. Antikörper und Abwehrzellen werden mobilisiert.
Die Forschenden betonen aber, dass diese Eingriffe in das Alarmsystem nicht einfach sind. Jedes der Signalmoleküle wird von einem ganzen Orchester weiterer Moleküle beeinflusst, die für die Kontrolle und die Feinjustierung der Immunantwort sorgen.
Neue Medikamente in der Pipeline
Knapp 20 Medikamente, die in den neu entdeckten Signalweg eingreifen, befinden sich in der Entwicklung. Den Schwerpunkt bilden dabei Substanzen, die das Alarmsignal am Ende der Kette verstärken sollen. Sie gelten als aussichtsreiche Kandidaten für eine Therapie gegen Krebs. Aber bis die ersten Medikamente in den klinischen Alltag Einzug halten, werden noch viele Jahre vergehen.
Der Nachwuchspreis: Was Riechen mit Demenz zu tun hat
Den Nachwuchspreis erhält in diesem Jahr der Biologe Tobias Ackels, Jahrgang 1984, vom Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionsforschung der Universität Bonn.
Er beschäftigt sich mit dem Riechen, das sich überraschenderweise fundamental von allen anderen Sinnen unterscheidet, weil es eng mit Emotionen und Erinnerungen verbunden ist. Als kleinste Einheit der Informationsverarbeitung von Gerüchen galt bisher ein “Schnupperzug”. Diese Annahme hat der Nachwuchspreisträger nun jedoch widerlegt.
Mit einem selbstgebauten Geruchsapplikationsgerät konnte Ackels erstmals experimentell aufzeichnen, wie Mäuse Gerüche wahrnehmen. Dabei entdeckte er, dass sie schneller riechen als atmen. Bis zu 40-mal pro Sekunde können die nachtaktiven Nagetiere aus Duftwolken neue Informationen gewinnen und so aus winzigen Zeitintervallen ein Bild des Raums ableiten. Weil das Riechen evolutionär der ursprünglichste Sinn ist, liegt in seinem Verständnis wahrscheinlich der Schlüssel zur Funktionsweise des gesamten Gehirns.
Das gilt besonders für den Zusammenhang von Geruch und Gedächtnis, den Ackels erforscht. Riechstörungen könnten als Biomarker für die Früherkennung von Demenzerkrankungen dienen.
Der Preis
Hinter den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preisen steht die Paul-Ehrlich-Stiftung mit Sitz Frankfurt am Main. Finanziert wird der seit 1952 verliehene Preis vom Bundesgesundheitsministerium, dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. und durch zweckgebundene Spenden verschiedener Unternehmen.