Mit Kenia in die Republik der Schulden

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Mehr Verwirrung war selten nach einer Wahl. Die Siegerin, die Union, stellt ihre Spar-Versprechen auf den Kopf und will in bisher unbekanntem Maße Schulden aufnehmen. Sie verhandelt eine Koalition mit der SPD, aber entscheidende Punkte wie die neue Verteidigungs- und Investitionspolitik werden von einer dritten Partei, den Grünen, mitbestimmt. Um zur „Großen Koalition“ zu werden, müssen Union und Sozialdemokraten sich also erst einmal im Rahmen eines Kenia-Bündnisses einigen. Ein Unionsmann aus der ersten Reihe beschrieb das Chaos so: „Wir haben eine Situation, in der die gewohnten Mechanismen nicht funktionieren. Ein Teil der Verhandlungspartner ist in der Regierung, ein anderer nicht. Es gibt für diese Situation keine ungeschriebenen Regeln, die anwendbar sind.“ Am Ende funktionierte es doch: Am Freitagmittag einigten sich Union, SPD und Grüne auf das größte Schuldenprogramm in der Geschichte des Landes. „Deutschland ist zurück“, sagte Friedrich Merz, der vermutlich nächste Kanzler.

Im Kern drehte sich das Drama um die Frage, ob Union und Sozialdemokraten ihr geplantes Schuldenprogramm, für das die Verfassung geändert werden muss, mit einer Zweidrittelmehrheit durch den Bundestag bringen können. Im neu gewählten Bundestag wäre sie schwer zu erreichen, weil dort AfD oder Linke zustimmen müssten und die eine Partei gegen Schulden und die andere gegen Aufrüstung ist. Deswegen wollen Union und SPD noch in letzter Minute die alten Parlamentsmehrheiten nutzen, was vielerorts für fragwürdig gehalten wird und die Operation unter gehörigen Zeitdruck setzt. Am 25. März soll – und muss – der neue Bundestag zusammentreten.

„Mindestens undiplomatisch“

Union und SPD appellierten an die „staatspolitische Verantwortung“ der Grünen, bei der Neuaufstellung des Landes in Zeiten historischer Umbrüche zu helfen, hatten es aber versäumt, die Partei rechtzeitig in ihre Schuldenpläne einzuweihen. Als die Parteichefs von Union und SPD Anfang des Monats ihr teures Sondierungsergebnis verkündeten, hatte Friedrich Merz nur eine Nachricht auf der Mailbox der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann hinterlassen. Das war, wie es selbst in der Unionsfraktion heißt, „mindestens undiplomatisch“. Nicht nur kam es den Grünen etwas lapidar vor, über ein Verhandlungsangebot von solcher Tragweite per Anrufbeantworter informiert zu werden. Merz hätte auch wissen können, dass die beiden Ko-Vorsitzenden der Grünenfraktion verschiedenen Parteiflügeln angehören. Britta Haßelmann zu informieren, Katharina Dröge aber nicht, trübte die Atmosphäre ein. Am Donnerstag hielt Dröge im Bundestag ihre bisher schärfste Rede gegen Merz.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Vergiftet war die Stimmung aber auch durch höhnische Bemerkungen des CSU-Vorsitzenden Markus Söder. Der hatte auf dem politischen Aschermittwoch dem ehemaligen Frontmann Robert Habeck „Goodbye, gute Reise, auf Nimmerwiedersehen“ hinterhergerufen und genüsslich grüne Klischees („Ingwer-Smoothies“) ausgebreitet. Auch die Feindseligkeiten aus dem Wahlkampf sind noch nicht vergessen.

Anfang der Woche gingen die Grünen auf Konfrontationskurs. Sie schlossen aus, dem angekündigten Gesetzesentwurf von Union und Sozialdemokraten zuzustimmen und legten einen eigenen vor. Das geplante Sondervermögen für die Infrastruktur bezeichneten sie als „Schatzkiste“, aus der „Spielgeld“ für teure Wahlversprechen wie die Erhöhung der Pendlerpauschale oder die Rückeinführungen von Agrardiesel-Subventionen entnommen werden solle. Auch die geplante Aussetzung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben von mehr als einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts stieß auf Kritik. Die Grünen forderten, die Schuldenaufnahme erst von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an zu automatisieren, also mehr aus dem regulären Verteidigungsetat zu bezahlen, und mit dem Geld nicht nur die Bundeswehr zu finanzieren, sondern auch die Ukrainehilfen, den Ausbau nachrichtendienstlicher Fähigkeiten, den Schutz der Zivilbevölkerung und den Schutz vor Cyber-Angriffen. Daraufhin eröffneten Union und SPD mit den Grünen Parallelverhandlungen auf der Ebene der Fraktionschefs.

Von einer Verhandlung in die nächste: CDU-Chef Friedrich Merz auf dem mühsamen Weg ins Kanzleramt
Von einer Verhandlung in die nächste: CDU-Chef Friedrich Merz auf dem mühsamen Weg ins Kanzleramtdpa

Den Grünen gelang eine geschickte Positionierung, jedenfalls erhielten sie für ihre Änderungsideen Beifall von vielen, auch von ungewohnten Seiten. Selbst die FDP lobte sie im Bundestag, und das Unionsmitglied Thorsten Alsleben, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, schrieb auf der Plattform X: „Wilde Zeiten, dass unsere wichtigsten Verbündeten gegen die Schuldenorgie einer möglichen unionsgeführten Regierung ausgerechnet die Grünen-Politiker sind.“

Man habe mit Bedacht von grünen „Ich-Wünsch-Mir-Was-Forderungen“ abgesehen, heißt es in der Fraktionsführung. So wurde etwa die Idee einiger grüner Abgeordneter abgebogen, auch die Entwicklungshilfe unter dem Rubrum „erweiterter Sicherheitsbegriff“ in den Verteidigungstopf mit einzubeziehen und eine Festschreibung der bisherigen Zielmarke zu verlangen. „Darauf wurde bewusst verzichtet, denn die Idee dahinter war ja, dass man mit Union und SPD eine Einigung möglich macht“, sagte ein führendes Fraktionsmitglied der F.A.S. Andere Grüne zeigten sich kampflustiger. „Wer sich mit uns einigen will, muss wissen: Das mit dem Klima meinen wir ernst“, sagte Agnieszka Brugger, eine stellvertretende Fraktionschefin, der F.A.S. Es reiche nicht, den Grünen „nur mit einem weiteren Spiegelstrich“ entgegenzukommen. Die Verpflichtung, auch in den Klimaschutz zu investieren, „muss schon belastbar sein“, sagte Brugger.

Darauf ging Merz bei der Sondersitzung des Bundestages ein und präsentierte in seiner Rede am Donnerstag ein überraschendes Angebot: Ein Zehntel des neuen Sondervermögens – 50 Milliarden Euro – könnten in den Klima-und Transformationsfonds (KTF) eingezahlt werden. Fast verzweifelt rief er hinterher: „Was wollen Sie noch mehr?“ Darauf hatten die Grünen eine kühle Antwort. Wer ernsthaft verhandeln wolle, solle dies weder am Anrufbeantworter noch im Plenum tun, sagte Haßelmann. Dröge beschied Merz, dass sie ihm nicht vertraue. Sie glaube nur, was sie schriftlich sehe.

Plötzlich 100 Milliarden für den Klimaschutz

Tatsächlich hatten Union und SPD versucht, den Grünen entgegenzukommen und ihren Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes in letzter Minute durch einen Änderungsantrag angepasst. Allerdings war das Angebot, 50 Milliarden fürs Klima bereitzustellen, darin nur vage formuliert: Zurückführungen aus dem Sondervermögen in den KTF „in Höhe von bis zu 50 Milliarden Euro sind zulässig“. Aber auch klarere Formulierungen schienen den Grünen nicht zu genügen, denn was mit dem Geld in diesem Topf passiert, könnten SPD und Union im nächsten Bundestag mit einfacher Mehrheit entscheiden. „Sie würden daraus einfach alles finanzieren, was ihnen gerade einfällt“, sagte Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. Die Bedenken wurden den Grünen am Ende genommen, auch mit der Zusage, nunmehr 100 Milliarden aus dem Infrastruktur-Sondervermögen in den KTF einzuzahlen. Damit fließen 20 Prozent des Sondervermögens in den Klimaschutz.

Waren die Grünen bereit, bis zum Äußersten zu gehen und die Verhandlungen platzen lassen? Oder war der Kompromiss immer eingeplant? Der Rückzug Annalena Baerbocks und Robert Habecks hat in der Partei ein Machtvakuum hinterlassen. Es ist unklar, wo das neue Entscheidungszentrum liegt, ob die beiden Fraktionschefinnen den nötigen Rückhalt haben, ob sie ein Ergebnis innerhalb der Partei durchsetzen können. Einfluss übten auch Grüne in den Bundesländern aus. Mehrere grüne Landesminister forderten, mehr Geld für die Länder und Kommunen aus dem Infrastruktur-Topf. Deren Anteil müsse von den bisher geplanten 100 Milliarden „deutlich“ steigen, hieß es in einem gemeinsamen Papier.

In der Unionsführung wurden die meisten Vorschläge der Grünen von vornherein als „realistisch“ oder „plausibel“ anerkannt. Tatsächlich zeigten die Verhandlungen, dass es mehr Übereinstimmung mit den Grünen gibt als mit der SPD. Die Idee, einen größeren Anteil der Verteidigungskosten aus dem regulären Haushalt zu bestreiten, gefiel der Union. „Hier helfen uns die Grünen, Dinge zu erreichen, die wir der SPD alleine nicht abtrotzen konnten“, sagte ein Unionsaußenpolitiker und schätzte, dass sich die Zahl bei 1,25 Prozent einpendeln könnte. Problematischer erschien der Union zunächst die von den Grünen verlangte Erweiterung des Sicherheitsbegriffs. Nach den Plänen von Union und SPD sollte nur der Verteidigungsetat von der Schuldenbremse ausgenommen werden, aber nach den Vorstellungen der Grünen müssten auch Etatposten im Bundesinnenministerium, im Auswärtigen Amt und im Kanzleramt in die Ausnahmeregelung einbezogen werden. „Es ist nicht leicht, das rechtlich zu fassen“, sagte Unionsmann Thorsten Frei Dienstag. Am Donnerstag war das Problem zum Teil gelöst, und am Freitag standen die Grünen-Forderungen fast vollständig im Kompromissantrag.

Vor der Einigung mit den Grünen: SPD-Chef Lars Klingbeil und CDU-Chef Friedrich Merz am Donnerstag im Bundestag.
Vor der Einigung mit den Grünen: SPD-Chef Lars Klingbeil und CDU-Chef Friedrich Merz am Donnerstag im Bundestag.AP

Geradezu willkommen war den Unionsverhandlern der grüne Vorstoß, einen „Verschiebebahnhof“ zu verhindern, also sicherzustellen, dass bisherige Haushaltsposten nicht ins neue Sondervermögen für Infrastrukturmaßnahmen verschoben werden, um im ordentlichen Etat mehr Spielraum zu erhalten. Ein Spitzenmann in der Union gab zu, dass er „die latente Sorge“ der Grünen teile und ließ durchblicken, dass dieser entscheidende Punkt mit den Sozialdemokraten noch nicht geklärt sei. Am Mittwoch stellte Frei in Aussicht, das Wort „zusätzlich“ ins Gesetz zu schreiben. Damit soll gewährleistet werden, dass die bisher vom regulären Haushalt bereitgestellten Mittel für Infrastrukturinvestitionen beibehalten werden. Aber der Grünen Brugger ging das nicht weit genug: „Das Angebot von Thorsten Frei ist kein Entgegenkommen. Das ist eine Selbstverständlichkeit“, sagte sie der F.A.S. Dabei hatten die Grünen auch diese Zusage bis zum Donnerstagabend noch nicht einmal schriftlich.

Der Grund liegt auf der Hand. Das Wort „Zusätzlichkeit“ ist jedes Jahr etwa 50 Milliarden Euro teuer – ein Zehntel des auf zwölf Jahre angelegten 500-Milliarden-Schatzes. Wenn mit dem Infrastrukturfonds nur „zusätzliche“ Investitionen finanziert werden dürfen, müssen im regulären Haushalt weiterhin die bisherigen Mittel für Infrastrukturmaßnahmen bereitgestellt werden. Das würde den Spielraum erheblich verringern und die Koalition von Anbeginn unter Sparzwang setzen – jedenfalls wenn sie bei ihren teuren Verabredungen aus den Sondierungsgesprächen bleiben. Bei den Grünen hatte sich nach Gesprächen mit führenden Sozialdemokraten der Eindruck verfestigt, die SPD werde „niemals“ dem Kriterium der Zusätzlichkeit zustimmen. In der Union hoffte man, alle Parteien mit einem „Gesamtpaket“ zufriedenzustellen. So kam es: In diesem Punkt setzten sich Union und Grüne durch.

Zwischenzeitlich kursierten schon Alternativpläne: Sollte es beim Sondervermögen zu sehr haken, könnte theoretisch auch nur der andere Teil des Pakets durch den Bundestag gebracht werden – die Schuldenaufnahme für die Verteidigung. Die Grünen boten das an, und auch in der Union gab es dafür Sympathien. Sie hatte ursprünglich ohnehin nur Schulden für die Verteidigung machen wollen, musste aber der SPD in den Sondierungsgesprächen im Gegenzug zugestehen, dann gleichzeitig Schulden für Infrastrukturmaßnahmen aufzunehmen. Ein Auseinanderreißen des Schuldenpakets kam für die Sozialdemokraten daher nicht in Frage. Ihr Ziel ist es, möglichst schnell möglichst viel Geld freizumachen. Deshalb kämpften sie auch für die mit der Union getroffene Verabredung, alle Verteidigungsinvestitionen von der Schuldenbremse auszunehmen, die über ein Prozent des deutschen Wirtschaftsvolumens hinausgehen.

Der grüne Vorschlag, die Zahl auf 1,5 Prozent zu erhöhen, „entspricht nicht dem Interesse unseres Landes“, sagte der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner der F.A.S. und erinnerte an die Erfolge des BSW, das fast den Sprung ins Parlament geschafft hätte. „Das Argument des BSW, dass Verteidigung und Ukrainehilfe auf Kosten der sozial Schwachen gehen, darf keine Nahrung bekommen.“ Der SPD-Haushaltsfachmann Andreas Schwarz sagte, eine Anhebung der Ausnahmeregel auf 1,5 Prozent „würde uns im Haushalt Luft nehmen: Da fehlen dann wieder sechs bis acht Milliarden.“ Unionsmann Frei stellte die Gemengelage gegenüber der F.A.S so dar: „Wir haben jetzt eine Dreieckskonstellation – worüber wir uns möglicherweise mit den Grünen verständigen können, ist mit der SPD kaum zu machen, und was SPD und Grüne vereinbaren können, ist für uns kaum zu machen.“ In dieser Frage setzte sich die SPD durch: Es bleibt bei einem Prozent.

„Vertrauensvolle“ Zusammenarbeit

Als die verschiedenen Gesetzentwürfe am Donnerstag im Bundestag debattiert wurden, war nicht absehbar, wie sie verschmolzen werden könnten. Selten wurde so leidenschaftlich im Plenarsaal gestritten. Erst vor der Sitzung des Haushaltsausschusses am Freitagnachmittag zeichnete sich dann die Lösung ab. Merz dankte allen Beteiligten für die „vertrauensvolle“ Zusammenarbeit und formulierte seine „Botschaft“ an die internationale Gemeinschaft: „Wir sind verteidigungsfähig und -bereit.“ Deutschland könne nun „einen großem Beitrag für den Frieden in Europa leisten“.

Wäre die Einigung gescheitert, hätte die Regierungsbildung vermutlich vor dem Aus gestanden, denn ohne neue Schulden fehlte der Koalition die Geschäftsgrundlage. „Dann blieben nur noch Neuwahlen“, sagte ein altgedienter CDU-Mann und bezweifelte, dass die Union in einem solchen Fall noch von Friedrich Merz – als einem dann gescheiteren Verhandlungsleiter – angeführt werden würde. Jene, die etwas zu verlieren haben, blickten anders darauf. Man könne nicht vier Wochen nach einer Bundestagswahl Neuwahlen ausrufen, sagte einer. Man müsse „mit dem arbeiten, was da ist“ und eben notfalls eine große Koalition ohne große Schuldenaufnahme zustande bringen. Mit Blick auf die SPD sagte er: „Die Tasche in die Ecke deppern und sagen: Ich will jetzt nicht mehr, das geht nicht.“

Auch nach dem Kompromiss geht das Zittern weiter. Die Fraktionen der vorübergehenden Kenia-Schuldenkoalition müssten in dieser Woche fast geschlossen für das gemeinsame Paket stimmen, um es durch den Bundestag zu bringen. Sollte sich die Zahl der Nicht-Anwesenden und der Gegenstimmen auf 31 summieren, könnte die nötige Zweidrittelmehrheit verfehlt werden. Sorgen bereiten den Fraktionschefs vor allem jene Abgeordnete, die nicht mehr dem nächsten Bundestag angehören. Auf sie lässt sich kaum noch Fraktionsdruck ausüben; einige könnten versucht sein, persönliche oder politische Rechnungen zu begleichen.

Der 20. Bundestag ohne Abgeordnete. In der kommenden Woche soll er sich zum letzten versammeln, um die Verfassung zu ändern.
Der 20. Bundestag ohne Abgeordnete. In der kommenden Woche soll er sich zum letzten versammeln, um die Verfassung zu ändern.dpa

„Etwas unruhig“ dürfe man da schon sein, heißt es bei der Union. In der eigenen Fraktion wundern sich manche über den neuen Kurs der Parteispitze. Als ihn die FDP am Donnerstag als „linke Wirtschaftspolitik“ geißelte, schienen so einige innerlich zu nicken. In der SPD-Fraktion verabschieden sich fast hundert Abgeordnete in den parlamentarischen Ruhestand, die Parteichef Lars Klingbeil vermutlich nicht alle wohlgesinnt sind. In der Grünenfraktion wiederum könnten sich einige fragen, warum sie einem Mann zur Kanzlerschaft verhelfen sollen, der die Partei im Wahlkampf für ihre Forderung nach einer – vergleichsweise zurückhaltenden – Schuldenaufnahme kritisiert, wenn nicht verspottet hatte und nun einen ganzen Schuldenberg für „alternativlos“ erklärt.

Eine weitere Hürde steht mit dem Bundesrat im Weg, der die Verfassungsänderungen absegnen müsste. Selbst wenn alle Landesregierungen zustimmen würden, an denen die Grünen beteiligt sind, gäbe es noch keine ausreichende Mehrheit. Es bedürfte der Stimmen Bayerns, wo aber auch die Freien Wähler, der Koalitionspartner der CSU, den Daumen heben müssten. Bisher hält sich Hubert Aiwanger, der stellvertretende Ministerpräsident, bedeckt, auch wenn allgemein angenommen wird, dass er nur den Preis in die Höhe treiben will.

Sollte das Schuldenpaket glücklich über alle parlamentarischen Hürden gebracht werden, könnten die Koalitionsverhandlungen mit einer Hypothek weniger weitergehen. Ob sie allerdings, wie geplant, bis Ostern abgeschlossen werden, ob sie überhaupt zu einem Ergebnis führen, ist damit nicht entschieden. Nur wenige Tage nach der Präsentation des Sondierungspapiers meldete sich in der SPD-Fraktion Unmut über den vereinbarten Kompromiss in der Migrationspolitik. Verteidigungsminister Boris Pistorius, einer der führenden Verhandler der SPD, verteidigte die erzielten Zwischenergebnisse, indem er den Graben, den es mit der Union zu überwinden galt, in dunkelsten Farben malte. Er beschrieb Frei und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt als „unangenehme“ Politiker, die „kein Gewissen“ hätten, was die Unionspartner verärgerte, die Genossen aber nicht beschwichtigte.

Kurz nach dem massiven Hinterfragen der Sondierungsergebnisse wurde ein Positionspapier des migrationspolitischen Arbeitskreises der SPD bekannt, in dem „eine alarmierende Abkehr von menschenrechtlichen Grundsätzen in der Migrationspolitik“ beklagt wurde. „Die geplanten Maßnahmen, die unter dem Deckmantel der Sicherheit präsentiert werden, bedrohen fundamentale Werte unserer Gesellschaft und sind rechtlich fragwürdig. Daher kann es auf der Basis keinen Koalitionsvertrag mit der Union geben.“

Der Einfluss des Arbeitskreises gilt als begrenzt, aber der Blick auf das entstehende Bündnis ist überaus nüchtern, nicht nur bei der SPD. „Wir wollen keine neue Republik, und wir nennen uns auch nicht Fortschrittskoalition“, sagt Unionsmann Thorsten Frei. „ Wir sind unterschiedliche Parteien, und das darf man ruhig auch sehen.“