Deutschlands Wälder: Vom Klimahelfer zum neuen Problembereich

2

Stand: 14.03.2025 21:04 Uhr

Deutschland ist auf Kurs, seine Klimaziele zu erreichen. Doch weil der Wald als Klimahelfer ausfällt, tragen unter anderem Wiesen und Ackerland einen erheblichen Teil zu Deutschlands CO2-Ausstoß bei.

Von Tom Burggraf und Natalie Widmann, SWR

“Deutschland ist auf Klimakurs” – so sagte es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, als die neuen CO2 Daten des Umweltbundesamtes vorgestellt wurden. Der Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase ist um drei Prozent gesunken, auf 649 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Damit wurde das gesetzlich erlaubte Jahresziel um 44 Millionen Tonnen unterschritten. Habeck zeigt sich zuversichtlich, selbst mit guten Wachstumsraten in der Zukunft könne Deutschland die Klimaschutzziele bis 2030 erreichen. 

Die Erfolge wurden vor allem durch den Ausbau der erneuerbaren Energien erzielt. Neben den Bereichen Verkehr und Gebäude, die seit Jahren ihre Klimaziele verfehlen, nennt Habeck einen weiteren “Problembereich”: den Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft. In ihm werden Emissionen von Mooren, Grünflächen oder Wäldern erfasst.

Seit 2021 nimmt er im Klimaschutzgesetz eine Sonderrolle ein und ist fest als Klimahelfer eingeplant. Dem Sektor wird eine “besondere Bedeutung” zugeschrieben, denn er ist der einzige, der mehr CO2 binden kann als er ausstößt – also eine sogenannte Senke darstellen kann. Er soll Emissionen kompensieren, die in anderen Sektoren nicht vermieden werden können, um 2045 Klimaneutralität zu erreichen.

Landnutzung bei Klimazielen nicht berücksichtigt

Die nun vorgestellten Daten des Umweltbundesamts zeigen, dass er inzwischen selbst eine große Emissionsquelle darstellt – und das bereits seit 2018. Statt Emissionen einzusparen, stieß er in den letzten Jahren ähnlich viele Treibhausgase wie der Landwirtschaftssektor aus: Im Jahr 2024 waren es 51 Millionen Tonnen CO2. Im Dürrejahr 2018 lag der Wert sogar bei 83 Millionen Tonnen.

Trotz der Emissionen des Landnutzungssektors wurden Deutschlands Klimaschutzziel für vergangenes Jahr erreicht – denn diese werden in der Gesamtbilanz ausgeklammert. Der Sektor wird laut Bundesumweltministerium aufgrund seiner Besonderheiten “bewusst getrennt von den übrigen bilanziert”. Der Beirat für Waldpolitik, der die Bundesregierung berät, fordert jedoch die Emissionen in die Rechnung aufzunehmen. So könne der Einfluss des Klimawandels auf Ökosysteme wie den Wald besser berücksichtigt werden.

Die Emissionen des Waldes sind ausschlaggebend

Der Grund für die erheblichen Emissionen im Landnutzungssektor ist der schlechte Zustand des Waldes. “Die Wälder werden durch den grassierenden Klimawandel von Emissionssenken zu Emittenten”, sagte Habeck. Stürme und Dürren haben insbesondere den Fichten zugesetzt. Millionen Bäume sind abgestorben oder mussten wegen des Borkenkäfers geschlagen werden. Und wenn Bäume im Wald verrotten oder Holz verbrannt wird, wird der von ihnen gespeicherte Kohlenstoff als CO2 wieder abgegeben – der Kohlenstoffvorrat im Wald sinkt.

Die Bundeswaldinventur im vergangenen Jahr hat ergeben, dass der Wald seit 2018 zum ersten Mal seit Jahrzehnten mehr CO2 abgibt, als er in der gleichen Zeit einlagern kann. Die Daten aus Deutschlands größter Erhebung zum Zustand des Waldes flossen nun in die Berechnungen des Umweltbundesamtes ein und änderten die Emissionen des Landnutzungssektors auch rückwirkend.

Bislang hatte der Wald die Emissionen, die beispielsweise bei der Umwandlung von Mooren oder Grünflächen entstehen, kompensiert. Weil er jetzt selbst welche abgibt, ist der Sektor insgesamt zur Treibhausgasquelle geworden.

 

Sektor bleibt Emissionsquelle

Nach den Berechnungen des Umweltbundesamtes wird der Landnutzungssektor auch in den kommenden Jahren nicht seine eingeplante Rolle als Klimahelfer übernehmen können. Für 2030 sind 32 Millionen Tonnen CO2 prognostiziert. Das steht im starken Kontrast zum Bundesklimaschutzgesetz: Hier ist eingeplant, dass der Sektor im Jahr 2030 25 Millionen Tonnen CO2 bindet. “Das heißt, wir haben eine Zielerreichungslücke von knapp 60 Millionen Tonnen”, so Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, auf der Pressekonferenz.

Doch was folgt aus den Zahlen? “Wir müssen im Bereich natürlicher Klimaschutz mehr tun”, sagt Messner. Das Bundeswirtschaftsministerium und das Umweltbundesamt fordern, den Waldumbau zu fördern, den Wald zu vermehren und mehr Kohlenstoff dauerhaft in Holzprodukten zu binden.

“Wälder sind keine Maschinen”

Doch selbst mit sehr strikten Maßnahmen für den Wald könnte dieser seinen im Landnutzungssektor vorgesehenen Beitrag als Klimahelfer nicht erfüllen. Zu diesem Ergebnis kommt der Forstwissenschaftler der Universität Freiburg, Jürgen Bauhus. Um die Klimaschutzziele des Landnutzungssektors kurzfristig zu erreichen, dürfte man in riesigen Gebieten keine Bäume mehr fällen. Das wäre, so Bauhus, mit Blick auf die Holznutzung unrealistisch.

Die Regierung solle sich nicht darauf verlassen, dass der Landnutzungssektor die Emissionen der anderen Sektoren in dem gewünschten Maß kompensiere. Der Wald könnte mit den entsprechenden Maßnahmen künftig auch wieder Kohlenstoff speichern. Aber: “Wälder sind Ökosysteme und keine Maschinen, die man einfach so anschmeißen kann”, sagt Bauhus.

Für Experten ist es seit Jahren ein offenes Geheimnis, dass die Klimaschutzziele für den Landnutzungssektor verfehlt werden. Schon bei der Novelle des Klimaschutzgesetzes 2021 äußerte Bauhus Bedenken, ob die Ziele erreichbar sind. Die Ergebnisse der Bundeswaldinventur haben seine Befürchtungen bestätigt. Bauhus fordert deswegen realistische Ziele für den Landnutzungssektor und mehr Ambitionen in anderen Sektoren.

Kommende Regierung muss Maßnahmen beschließen

Von der Idee, die Ziele anzupassen, hält Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe wenig. Er sagt: “Ohne natürlichen Klimaschutz und gesunde Wälder, wird Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen.” Weil kein anderer Sektor CO2 einsparen kann, fordert er schärfere Maßnahmen. Etwa die Wiedervernässung von Mooren und ein neues Bundeswaldgesetz zum Schutz und Wiederaufbau der Wälder.

Bereits vergangenes Jahr hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg festgestellt, dass die Bundesregierung mehr tun muss, um die Klimaschutzziele im Landnutzungssektor zu erreichen. Das Gericht gab einer Klage der Deutschen Umwelthilfe recht. Ende Januar reichte die Nichtregierungsorganisation einen Vollstreckungsantrag ein. Darin fordert sie die “unverzügliche Umsetzung” des Urteils.

Die noch im Amt befindliche sowie die nächste Bundesregierung müssten das Klimaschutzprogramm umgehend nachschärfen und wirksame Maßnahmen umsetzen, so der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner.

Das Bundesumweltministerium räumt auf Anfrage ein, dass die Ziele für den Landnutzungssektor schon mit den Informationen von 2021 “ambitioniert” waren. Es werde noch geprüft, wie die Bundeswaldinventur die Maßnahmen für den Sektor beeinträchtige. Es würden aber Maßnahmen ausgearbeitet, damit die kommende Bundesregierung dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts nachkommen könne. Ein Kabinettbeschluss sei bis Ende 2025 geplant. 

Inwiefern mögliche Maßnahmen Teil der aktuellen Koalitionsverhandlungen sind, ist unklar. SPD und Union wollten sich auf Anfrage dazu nicht äußern.

Das Klimaschutzgesetz

Das Klimaschutzgesetz wurde 2019 beschlossen und seitdem zwei Mal novelliert. Es legt verbindliche Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen fest. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 65 Prozent sinken. 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral sein. Das bedeutet: Entweder werden keine Treibhausgase mehr ausgestoßen oder die übrigen werden vollständig ausgeglichen. Beispielsweise über natürliche Senken wie Wälder oder Moore oder technische Senken etwa durch Abscheidung von CO2 unter der Erde.

Die Gesamtemissionen, an denen sich seit 2024 die Ziele messen, setzen sich aus sechs Sektoren zusammen: Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, sowie Abfallwirtschaft und Sonstiges. Seit 2021 ist der Landnutzungssektor im Klimaschutzgesetz aufgenommen. Seine Emissionen fließen nicht in die Gesamtbilanz Deutschlands ein, stattdessen wurden separate Ziele festgelegt. Demnach soll er bis 2030 25 Millionen Tonnen CO2 einsparen, bis 2045 sogar 40 Millionen Tonnen.