Eon-Chef Birnbaum und RWE-Chef Krebber erklären ihren Plan zur Energiewende:

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Herr Birnbaum, Herr Krebber, Eon und RWE legen einen gemeinsamen Plan für einen Neustart der Energiewende in Deutschland vor. Was wollen Sie ändern?

Birnbaum: Am Umbau unseres Energiesystems für den Klimaschutz führt kein Weg vorbei. Aber wir brauchen dabei dringend eine bessere Balance zwischen Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit – und auch der Wirtschaftlichkeit. Wenn wir es geschickt anpacken, dann können wir richtig viel Geld einsparen bei der Energiewende, nach unserer vorsichtigen Schätzung einen dreistelligen Milliardenbetrag. Das wird auch für die gesellschaftliche Akzeptanz entscheidend sein. Und ohne die geht es nicht.

Krebber: Uns geht es darum, die Energiewende so günstig wie möglich zu machen. Eon ist der größte Betreiber von Stromverteilnetzen in Deutschland und der größte Vertrieb, wir als RWE sind der größte Stromerzeuger. Erzeugung, Übertragung und Vertrieb von Strom müssen viel stärker als bisher als ein System gedacht werden. Nur so können wir die Kosten runterbringen. Und wenn wir das nicht schaffen, scheitert die Energiewende. Sie muss viel billiger werden – und das geht auch.

Was sind bisher die Hauptfehler?

Birnbaum: Der Startpunkt für die Zukunft muss sein, dass wir uns anschauen, was die Kunden benötigen, statt weiterhin einen politischen Plan abzuarbeiten, der vor Jahren aufgestellt worden ist. Wir haben eine unglaubliche Überregulierung im Detail, statt stärker auf den Markt zu vertrauen. Und wir müssen die Energiewende ganzheitlicher angehen, der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze muss besser koordiniert werden. Und wir müssen noch mal unseren tatsächlichen Ausbaubedarf überprüfen.

Markus Krebber, 52, ist Vorstandsvorsitzender des größten deutschen Stromerzeugers RWE.
Markus Krebber, 52, ist Vorstandsvorsitzender des größten deutschen Stromerzeugers RWE.Patricia Kühfuss

Sie halten die derzeitigen Ausbauziele für Windkraft, Photovoltaik und Netze für überdimensioniert?

Krebber: Wenn wir an den derzeitigen Plänen festhalten, dann laufen wir Gefahr, dass wir am Markt vorbei bauen und es wahnsinnig teuer wird. Wenn wir jetzt die Netzinfrastruktur sehr schnell und sehr stark ausbauen, obwohl der Strombedarf dafür gar nicht da ist, dann wird die einzelne Kilowattstunde unbezahlbar. Weil nämlich die Kosten für den Netzausbau auf eine viel geringere Strommenge als angenommen umgelegt werden.

Die Ampel-Bundesregierung erwartete, dass der deutsche Strombedarf bis 2030 um rund die Hälfte auf 750 Terawattstunden wachsen wird. Das halten Sie für überhöht?

Birnbaum: Nach den Zahlen, die wir derzeit sehen, ist das zu viel. Aktuell wächst der Strombedarf in Deutschland nicht so stark, dass wir 2030 bei 750 Terawattstunden wären. Das bedeutet, wir brauchen vorerst weniger neue Stromtrassen von Nord nach Süd und weniger Offshore-Windräder. Das addiert sich schnell zu den genannten Beträgen in dreistelliger Milliardenhöhe. Wenn wir solche Investitionssummen sieben oder acht Jahre später in die Hand nehmen müssen als bisher vorgesehen, dann wäre das ein Riesengewinn für unsere Gesellschaft. Weil die finanziellen Belastungen zeitlich gestreckt werden.

Krebber: Die Elektrifizierung von Autoverkehr, Heizen und Industrie wird kommen, und das ist der richtige Weg für den Klimaschutz. Aber der Übergang wird mehr Zeit benötigen als in den bisherigen Plänen zugrunde gelegt.

Leon Birnbaum ist der Vorstandsvorsitzende von Eon.
Leon Birnbaum ist der Vorstandsvorsitzende von Eon.Marcus Simaitis

Größter Stromverbraucher in Deutschland ist die Industrie. Wie viel wird die in Zukunft noch benötigen, wenn womöglich immer mehr Fabriken abwandern?

Krebber: Das ist eine der großen Unbekannten. Das Problem ist folgendes: Aktuell versuchen wir alles gleichzeitig zu machen, ohne wirklich zu priorisieren. Das führt zu Fehlallokation und macht das System teuer. Wir brauchen mehr Fokus. Was am wichtigsten ist, muss zuerst gemacht werden, dann bekommen wir das in einem kostenmäßig sinnvollen Rahmen hin. Das hilft bei den Energiepreisen. Für energieintensive Industrien, die im Wettbewerb stehen, wird das alleine aber noch nicht reichen.

Birnbaum: Die Investitionen in die Industrie in Europa gehen klar zurück. Wenn ich mit Industrievertretern spreche, dann sagen die mir: Europa ist eindeutig in der Deindustrialisierung. Da müssen wir gegensteuern, und unser Plan, den Markus Krebber und ich hier vorstellen, ist ein Baustein dafür.

Sie wollen vorerst nur solche Energiewende-Investitionen angehen, die in jedem Fall sinnvoll sind. Was kann aufgeschoben werden?

Birnbaum: Wir müssen Prioritäten setzen, statt alles auf einmal machen zu wollen. Nehmen wir das geplante bundesweite Wasserstoff-Kernnetz zur Versorgung von Industrieunternehmen mit klimaschonendem Wasserstoff. Es ist einfach nicht sinnvoll, das schon am Anfang bis in alle Winkel Deutschlands auszubauen. Oder nehmen wir den Ausbau der Erneuerbaren: Wir können Ihnen genau sagen, wo es in den nächsten Jahren keinen Sinn ergibt, neue Wind- und Solarparks zu bauen, weil der erzeugte Strom mangels Netzkapazitäten dort heute schon nicht abtransportiert werden kann.

Wie wollen Sie gegensteuern?

Birnbaum: Wenn wir in solchen Fällen sagen dürften: Du bekommst den Netzanschluss für deinen Windpark im Netzengpassgebiet erst später, dann können wir andere, dringend benötigte und für das Gesamtsystem sinnvolle Netzanschlüsse dafür sehr viel schneller realisieren. Momentan dürfen wir solche Priorisierungen nicht vornehmen. Um das sichtbar zu machen, schlagen wir eine Netzampel vor, die genau die Gebiete als Grün ausweist, in denen ein Zubau sinnvoll ist.

Krebber: Wir brauchen weiterhin einen massiven Ausbau der Erneuerbaren, aber wir sollten aufhören, an den falschen Stellen weitere Wind- und Solaranlagen zu bauen, weil wir irgendwelchen pauschalen Ausbauzielen hinterherlaufen. Wir müssen weg von diesen in Stein gemeißelten Zielen und diesem dirigistisch überregulierten Vorgehen. Ein bisschen mehr Entspanntheit und Vertrauen auf die Marktkräfte würde uns sehr helfen.

Marktkräfte – damit meinen Sie den CO2-Preis im Rahmen des europäischen Emissionshandels. Aber ist der politisch wirklich durchsetzbar, wenn er absehbar deutlich steigt und auch stark schwankt?

Krebber: Wir müssen die Energiewende so günstig wie möglich schaffen, und dafür ist der Marktpreis das beste Instrument. Die Einnahmen aus der Bepreisung von CO2 sind ja auch nicht weg. Schon bei den heutigen moderaten CO2-Preisen nimmt der deutsche Staat damit rund 20 Milliarden Euro im Jahr ein. Und das Geld kann eingesetzt werden, um private Haushalte und Indus­trieunternehmen, die die CO2-Preise allein nicht stemmen können, zu unterstützen.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird weiter mit viel Geld gefördert. Wo sehen Sie da Sparpotential?

Birnbaum: Heute einen Offshore-Windpark ohne irgendeine Form der Absicherung zu bauen, das geht nicht. Aber Solaranlagen auf den Dächern von Eigenheimen zum Beispiel brauchen gar keine Förderung mehr. Die rechnen sich allein schon dadurch für die Besitzer, dass sie weniger Strom aus dem Netz kaufen müssen. Ob der Hausbesitzer dann noch 150 Euro Einspeisevergütung kriegt für den Teil, den er selbst nicht verbraucht, ist letztlich nicht entscheidend. Diesen garantierten Abnahmepreis können wir sofort ersatzlos streichen. Bei den vielen Hunderttausenden von Solaranlagen auf deutschen Eigenheimen kann so der Bundeshaushalt entlastet werden.

Krebber: Zumal die Betreiber von Heim-Solaranlagen auch Kosten für den Ausbau der Netze verursachen, die von der Allgemeinheit bezahlt werden müssen. Denn ihr Solarstrom muss ja abtransportiert werden. Und Strom aus dem Netz beziehen sie nur dann, wenn die Lage ohnehin am angespanntesten ist.

Birnbaum: Absolut. In Bayern haben wir als Eon wegen des Solarbooms schon das komplette Nieder- und Mittelspannungsnetz umgebaut und verstärkt.

Mehr Zurückhaltung fordern Sie beim Bau von Windrädern auf dem Meer. Warum?

Krebber: Weil wir auch bei den Off­shore-Windparks mehr Kosteneffizienz brauchen. Es gibt Flächen für Meereswindparks im deutschen Teil der Nordsee, die so weit draußen auf See liegen, dass ihr Netzanschluss sehr teuer ist. Deshalb würden wir die Entscheidung, ob es wirklich sinnvoll ist, an solchen Standorten Offshore-Windräder zu bauen, erst einmal zurückstellen. Außerdem könnten wir oft mit weniger Windrädern eine annähernd gleich große Menge Strom erzeugen – und würden so weitere Kosten für die Netzanschlüsse sparen, die man nicht mehr braucht.

Das müssen Sie erklären.

Krebber: Die Offshore-Windparks werden bisher so eng und mit so vielen Windturbinen geplant, dass die sich gegenseitig den Wind wegnehmen. Das verringert die Stromausbeute und geht zulasten der Effizienz.

Und warum bauen Sie dann die Windräder so eng?

Krebber: Weil die Flächenplanung staatlich organisiert ist und sich am festen Ausbauziel orientiert. Damit bekommt man zwar den gewünschten Zubau, bezahlt dafür aber in Form von sehr viel höheren Netzanschlusskosten. Man könnte auch darüber nachdenken, die Offshore-Windbetreiber an den Netzanschlusskosten zu beteiligen, die bisher von der Allgemeinheit getragen werden. Auch damit würde man wichtige Anreize setzen.

Das würde doch Ihr eigenes Unternehmen treffen: RWE ist ein großer Offshore-Windbetreiber.

Birnbaum: Daran können Sie sehen, dass es uns um das Gesamtsystem geht und nicht um Dinge, die nur unseren Unternehmen nutzen.

Deutschland wird auch viele neue Gaskraftwerke bauen müssen, die einspringen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Geht das bis 2030, wie CDU/CSU und SPD in ihrem Sondierungspapier versprechen?

Krebber: Das ist möglich. Aber nur, wenn wir es einfach und pragmatisch machen. Die bisher vorgesehene spätere Zwangsumstellung der Kraftwerke von Erdgas auf Wasserstoff zu einem festen Termin müsste zum Beispiel weg. Die braucht es ohnehin nicht, denn der CO2-Emissionshandel wird auch so dafür sorgen, dass die Anlagen letztlich dekarbonisiert werden. Wenn es gelingt, ein solches Kraftwerksgesetz binnen drei Monaten zu verabschieden und dieses Jahr noch Ausschreibungen für die Anlagen vorzunehmen, kann es klappen.

Im Sondierungspapier von Union und SPD heißt es auch, die Stromnetzentgelte der Kunden sollen halbiert und gedeckelt und die Stromsteuer stark gesenkt werden. Was halten Sie davon?

Birnbaum: Natürlich ist es gut, dass die Politik auf bezahlbaren Strom achtet. Aber wir plädieren dafür, damit zu beginnen, die Kosten der Energiewende systematisch und deutlich zu senken. Dazu steht in dem Sondierungspapier von Union und SPD noch wenig. Einfach nur die Übertragungsnetzentgelte für die Kunden zu deckeln, das reicht nicht. Denn der notwendige Trassen-ausbau muss finanziert werden, und das über dauerhafte Staatszuschüsse zu machen hielten wir für falsch.

Krebber: Eon und RWE schlagen vor, zunächst einmal die Kosten der Energiewende zu minimieren. Wenn wir dann in einzelnen Kundensegmenten sehen, dass das noch nicht reicht, dann muss man zielgerichtet helfen. Aber nicht mit der Gießkanne, indem wir für alle Stromkunden die Netzentgelte ­deckeln.

Und aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen von 500 Milliarden für die Infrastruktur, das Union und SPD nun auflegen wollen, brauchen Sie für die Energiewende kein Geld?

Krebber: Der einzige Punkt, wo der Staat hier vielleicht aktiv werden sollte, ist das Thema Versorgungssicherheit, das angesichts der geopolitischen Spannungen sehr wichtig ist. Es wäre zu überlegen, ob der Staat nicht eine nationale Erdgasreserve aufbaut, ähnlich wie beim Erdöl, um bei Versorgungsengpässen gewappnet zu sein. Damit erübrigen sich die Regelungen zu Mindestfüllständen in den Speichern, die zu sehr teuren Marktverwerfungen führen.

Birnbaum: Ansonsten muss gelten: Wir sollten über diesen 500-Milliarden-Fonds, wenn er denn so kommt, im Energiesektor nichts finanzieren, was nicht auch privatwirtschaftlich finanzierbar ist. Und wenn wir in Zukunft deutlich mehr auf die Kosten der Energiewende achten, ist da sehr viel ­möglich.