Der italienische Wirtschafts- und Finanzminister Giancarlo Giorgetti hat den schuldenfinanzierten EU-Plan für Aufrüstung und Verteidigung kritisiert und dabei vor allem Deutschland ins Visier genommen: Zu den vorgesehenen Ausnahmen des Stabilitätspaktes sagte er am Samstag auf einer Parteiveranstaltung in Ancona: „Die Deutschen haben jetzt beschlossen, dass sie machen können, was sie wollen. Deutschland muss wieder aufrüsten, und plötzlich sind die Schulden kein Thema“.
Er bemängelte vor allem, dass auf europäischer Ebene keine Abstimmung stattfand. Die Kritik erfolgt vor dem Hintergrund jahrelanger Ermahnungen aus Berlin, dass Rom seine Staatsschulden senken solle. Italien ist mit rund 135 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) freilich auch mehr als doppelt so hoch verschuldet wie Deutschland, auch wenn sich die Verschuldung seit der Covid-Pandemie deutlich verringert hat und die Neuverschuldung im vergangenen Jahr von 7,2 auf 3,4 Prozent des BIP gesunken ist. So sieht das Land südlich der Alpen wenig Spielraum für mehr nationale Verschuldung.
Italien unter Druck von Donald Trump
Im Gegensatz zu Deutschland, das mit seinem Schuldenrating weiterhin die Bestnote genießt, notieren die italienischen Staatsschulden am unteren Rand des Bereichs „investment grade“, der allgemein mit akzeptablen Risiken verbunden wird. „Es kann nicht sein, dass wir große Anstrengungen unternehmen, die Schulden abzubauen, jetzt aber plötzlich zehn oder 20 oder 30 Milliarden Euro auftreiben sollen, um Waffen zu finanzieren“, sagte Giorgetti. Was er nicht erwähnte war indes, dass Italien nur rund 1,5 Prozent seines BIP für Verteidigung ausgibt und damit wie andere EU-Nationen auch unter dem Druck von Donald Trump steht, mehr für die eigene Sicherheit zu tun.
Schon während des letzten Treffens der Euro-Finanzminister hat Giorgetti einen Plan vorgelegt, um mehr privates Kapital für die Verteidigung zu mobilisieren. Nach seiner Ansicht könnte mit Garantien der EU-Staaten in Höhe von 16,7 Milliarden Euro in den kommenden drei bis fünf Jahren privates Kapital von 200 Milliarden Euro mobilisiert werden. Der französische Finanzminister Eric Lombard begrüßte den Vorschlag und plädierte für eine vertiefte Prüfung solcher Pläne. Der italienische Vorstoß lehnt sich an das bestehende EU-Programm „InvestEU“ an, das „bedeutende Summen privater Ko-Investitionen freisetzen kann“, heißt es in einem Papier des italienischen Wirtschafts- und Finanzministeriums.
Giorgetti setzt auf private Investitionen
Nun solle Europa eine „europäische Initiative für Sicherheit und industrielle Innovation („EU-SII“)“ ins Leben rufen. Damit könnten private Mittel in Hightech-Unternehmen gelenkt werden, die für Europas Sicherheit, einschließlich Verteidigung, Cybersecurity und KI entscheidend seien. Die Garantie solle in drei Tranchen strukturiert werden. Eine erste Tranche, „a first-loss tranche“, solle von den EU-Mitgliedstaaten getragen werden, „um die Anfangsrisiken zu absorbieren“, dann gäbe es eine „Mezzanine-Tranche“, gestützt von geringen Beiträgen des EU-Haushalts, und dann eine „hochgeschützte Senior-Tranche“, die maximales Vertrauen bei den privaten Investoren wecken solle.
Es handelt sich bei dieser italienischen Initiative also vor allem um eine Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie durch private Mittel. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wie die Staaten die erhöhten Verteidigungsausgaben finanzieren sollen. Hier findet Italien, dass im EU-Plan namens „Rearm“ von Ursula von der Leyen der europäisch finanzierte Anteil von 150 der geplanten 800 Milliarden Euro gegenüber den nationalen Schulden zu gering ausfällt.
Allgemein ringt die italienische Regierung derzeit um ihre Haltung in der aktuellen sicherheitspolitischen Lage, die sich wegen der Zweifel am amerikanischen Beistand drastisch verändert hat. Das Bewusstsein einer Bedrohung durch Russland ist deutlich geringer ausgeprägt als anderswo in Europa. Für die Unterstützung der Ukraine sind in der Bevölkerung deutliche Ermüdungserscheinungen erkennbar. Nach einer kürzlichen Umfrage sehen sich nur 32 Prozent der Italiener heute „auf der Seite der Ukraine“, elf Prozent „auf der Seite Russlands“ und 57 Prozent sind unentschieden.
Meloni will Beziehungen zu Trump und Musk nicht gefährden
Vor diesem Hintergrund hat die Drei-Parteienkoalition – aus Fratelli d’Italia, der größten Regierungspartei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, sowie den beiden Partnern Lega am rechten Rand und der Berlusconi-Partei Forza Italia Mitte-rechts – bisher nicht zu einer klaren Linie gefunden. In der vom britischen Premierminister Keir Starmer am Samstag einberufenen Videokonferenz mit gut zwei Dutzend Regierungschefs bekräftigte Meloni ihre Unterstützung der Ukraine, lehnte aber eine italienische Truppenentsendung in das umkämpfte Land für eine mögliche Friedenssicherung ab. Nach italienischen Presseangaben soll sie sich auch skeptisch zu den EU-Verschuldungsplänen geäußert haben. Meloni ist dabei bedacht, ihre persönlichen Beziehungen zu Trump und Elon Musk nicht zu sehr zu belasten.
Giorgetti gehört zur Rechtspartei Lega, deren Vorsitzender Matteo Salvini immer wieder Sympathien mit Russland zeigt und nun gegen die europäische Aufrüstung wettert. „Trump, Putin, Zelensky wollen Frieden, doch Europa gibt 800 Milliarden für die Aufrüstung aus. Die Lega wird immer gegen jeden einzelnen Euro europäischer Staatsschulden für europäische Armeen und italienische Soldaten in der Ukraine stimmen“, sagte Salvini am Samstag in Ancona.
Schwacher Handel verstärkt Sorgen
Die Befürchtung drastisch steigender Ausgaben werden im Exportland Italien durch die unsichere Lage des internationalen Handels verstärkt. Nach Angaben des Statistikamtes Istat gingen im vergangenen Jahr 48 Prozent der Exporte in Länder außerhalb der EU – ein höherer Anteil als in Deutschland, Frankreich und Spanien. Rund ein Zehntel der Ausfuhren wurden in die Vereinigten Staaten geliefert.
Das Wirtschaftswachstum erreichte im vergangenen Jahr 0,7 Prozent und lag damit deutlich unter den Erwartungen der Regierung. Das Vertrauen der Unternehmen hat sich laut Istat zuletzt weiter verschlechtert, nur im verarbeitenden Gewerbe gab es eine leichte Verbesserung. Seit etlichen Jahren erzielt Italien einen Exportüberschuss, der auch im vergangenen Jahr wieder gewachsen ist. Nur im Jahr 2022 gab es wegen der hohen Energiepreise ein Defizit. Vor diesem Hintergrund sieht sich Italien hohen Risiken durch US-Zölle ausgesetzt.