In Deutschland ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie sich die Energiewende effizienter gestalten lässt – und ob die für den Klima- und Transformationsfonds KTF gedachten 100 Milliarden Euro aus dem neuen Sondervermögen nicht eher das Gegenteil von Kostenbewusstsein bewirken. „Die immensen Schulden, die jetzt aufgenommen werden, dürften den Reformeifer deutlich einbremsen“, befürchtet Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. „Wer soll sich denn für eine anstrengende Reformagenda einsetzen, wenn man die Probleme alternativ auch mit viel Geld lösen kann?“
Richtig wäre es für die Klima- und Energiepolitik genau andersherum gewesen, findet sie: Zuerst hätte man Reformen konzipieren und erst dann überlegen sollen, wo man zusätzliche Mittel braucht, um sie politisch durchsetzbar zu machen. „Ich befürchte, dass wir jetzt ein Strohfeuer auslösen, aber die Kosteneffizienz vernachlässigen“, sagte Grimm der F.A.Z. „Dann wird in Deutschland aber auch weniger investiert, denn die Unternehmen wissen, dass die Subventionen langfristig nicht durchhaltbar sind.“ Grimm sprach sich für eine „Neuorientierung in der Klimapolitik“ aus. „Direkte und indirekte Subventionen sollten konsequent abgebaut werden.“ Statt auf staatliche Beihilfen zu setzen, müsse das Leitinstrument zum Klimaschutz der Emissionshandel sein.
Elektrifizierung langsamer als erwartet
Die Wirtschaftsweise regt an, den überdimensionierten und damit zu teuren Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze zu überdenken. Die Elektrifizierung schreite langsamer voran als erwartet; für das Jahr 2030 rechnet die Nürnberger Professorin für Energiesysteme und Marktdesign mit einem Verbrauch von 600 statt von 750 Terawattstunden. Somit könne der Netzausbau geringer ausfallen als beabsichtigt. Er ließe sich auf Engpässe konzentrieren, außerdem müssten Freileitungen statt aufwendiger Erdkabel verlegt werden. „Dadurch lassen sich Kosten im dreistelligen Milliardenbereich einsparen“, so Grimm.
Sie bestätigt damit die Schätzungen von Leonhard Birnbaum und Markus Krebber, den Vorstandsvorsitzenden der Energiekonzerne Eon und RWE. In einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hatte sie gesagt, wenn man die Energiewende „geschickt anpacke“, ließe sich „nach unserer vorsichtigen Schätzung ein dreistelliger Milliardenbetrag“ einsparen. An der Energiewende und am Umbau des Energiesystems führe kein Weg vorbei, beides müsse aber überlegter erfolgen.
Übertriebener Netzausbau
Statt dem Markt zu vertrauen, sei dieser überreguliert. Wie Grimm sehen die Dax-Vorstände, dass der Netzausbau übertrieben angelegt ist, die einzelne Kilowattstunde könne dadurch „unbezahlbar“ werden. Deutschland benötige weniger Nord-Süd-Stromtrassen als vorgesehen und auch weniger Windräder im Meer. Überdies sei es nicht sinnvoll, ein Wasserstoffnetz gleich zu Beginn „bis in alle Winkel auszubauen“.
Wegen der pauschalen Ausbauziele der Politik entstünden Wind- und Solarparks auch dort, wo das Netz den Strom aufzunehmen gar nicht in der Lage sei. Die beiden Konzernchefs schlagen daher eine „Netzampel“ vor, die nur jene Gebiete als Grün ausweist, in denen ein Zubau sinnvoll ist. Solaranlagen auf Eigenheimen dürfen ihrer Meinung nach gar keine Förderung mehr erhalten, den garantierten Abnahmepreis „können wir sofort ersatzlos streichen“, um den Bundeshaushalt zu entlasten. Auch sei daran zu denken, die Ökostrom-Einspeiser an den Netzanschlusskosten zu beteiligen.
Das von Schwarz-Rot mithilfe der Grünen geplante Sondervermögen für die Infrastruktur müsse für die Energiewende gut durchdacht werden, um öffentliches Geld nicht zu verschwenden. „Wir sollten über diesen 500-Milliarden-Fonds im Energiesektor nichts finanzieren, was nicht auch privatwirtschaftlich finanzierbar ist“, verlangte Birnbaum. „Wenn wir in Zukunft deutlich mehr auf die Kosten der Energiewende achten, ist da sehr viel möglich.“
„Nicht hilfreich für die Strukturreform in der Energiewende“
Die Grünen hatten in den Verhandlungen mit Union und SPD durchgesetzt, dass ein Fünftel des Sondervermögens dem KTF zugutekommt. Die entsprechenden Grundgesetzänderungen wollte der Haushaltsausschuss des Bundestags am Sonntag beschließen. Dagegen regt sich Widerstand. „Einfach 100 Milliarden Euro in den KTF hineinzuschieben, ist nicht hilfreich für die Strukturreform in der Energiewende“, sagt Bernd Weber, Gründer der Berliner Denkfabrik Epico Klima-Innovation. Der Fonds lasse sich viel effizienter einsetzen als bisher.
Weil etwa der Einbau einer Wärmepumpe in prozentualer und nicht absoluter Höhe gefördert werde, betrügen die Preise in Deutschland 24.000 bis 34.000 Euro. In Großbritannien, wo ein fester Betrag gewährt wird, seien es nur 9000 Euro. Über die zwölf Jahre Laufzeit des Sondervermögens ließen sich allein mit dieser Umstellung fast 17 Milliarden Euro sparen. Viel Geld würde auch frei, wenn die öffentliche Hand wie in Norwegen Unternehmen statt Subventionen Ausfallgarantien für den förderfreien Ausbau erneuerbarer Energien zusagte: „Wir brauchen so etwas wie Hermes-Bürgschaften für die Energiewende.“
Webers Analysen zufolge kostet die von Schwarz-Rot geplante Senkung der Strompreise für die Industrie um fünf Cent je Kilowattstunde samt Halbierung der Übertragungsnetzentgelte jährlich zehn Milliarden Euro. Dieser Betrag lasse sich über einen variablen Bundeszuschuss zur Stabilisierung der Netzkosten halbieren. Zuvor hatte der Präsident der Netzagentur, Klaus Müller, in der F.A.Z. für den Frühsommer Vorschläge zur Beseitigung von Fehlanreizen in der Energiewende angekündigt.