Früherer Airbus-Chef Tom Enders: „Niemand braucht eine F-35“

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Tom Enders steht nicht der Sinn nach Ruhestand, erst recht nicht in diesen geopolitisch unruhigen Zeiten. Auch mit 66 Jahren meldet sich der frühere Vorstandschef des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus scharfzüngig zu Wort. Gerade hat er als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) gemeinsam mit dem Ökonomen Moritz Schularick, dem früheren Telekom-Chef René Obermann und anderen Unterzeichnern ein Positionspapier zur Sicherheitspolitik namens Sparta verfasst, nun legt Enders im Gespräch mit der F.A.Z. nach – und fordert Deutschland und Europa im Verhältnis zu den USA zu einem entschlossenen Kurswechsel auf.

„Es ist zwingend erforderlich, dass wir uns so weit und so rasch wie möglich von amerikanischen Systemen unabhängig machen“, sagt Enders, der eigentlich Thomas heißt, den aber nahezu jeder Tom nennt. Er betont: „Da ist einiges möglich.“ Er nennt die Luftverteidigung, wo es mit SAMP/T aus französisch-italienischer Fertigung eine „ebenbürtige“ Alternative zur amerikanischen Patriot gebe.

Der frühere Airbus-Chef Tom Enders ist heute Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Der frühere Airbus-Chef Tom Enders ist heute Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.Michael von Aulock

In der wichtigen Satellitenkommunikation wiederum verfüge Europa über Oneweb. Diese Konstellation zählt zwar nur rund ein Zehntel so viele Satelliten wie Elon Musks Starlink-System, wäre in Kombination mit Satelliten im mittleren Orbit von SES aus Luxemburg aber ebenfalls sehr leistungsfähig und werde in den kommenden Jahren noch leistungsfähiger. Resolut äußert sich Enders mit Blick auf Kampfflugzeuge. Deutschland dürfe nicht länger daran festhalten, F-35 aus US-Produktion zu kaufen. Schon 2022 sei die Bestellung ein Fehler und das Argument, für die nukleare Teilhabe brauche es ein US-Flugzeug, „an den Haaren herbeigezogen“ gewesen. „Als Nuklearwaffenträger hätte man genauso gut den Eurofighter weiterentwickeln können“, moniert Enders mit Blick auf das gemeinsam von Airbus, Leonardo aus Italien und BAE Systems aus Großbritannien produzierte Kampfflugzeug. Bislang stelle mit dem Eurofighter-Vorgänger Tornado ja auch ein europäisches Flugzeug die nukleare Teilhabe sicher.

Teuer in Anschaffung und Wartung

Für den DGAP-Präsidenten steht fest: „Niemand braucht eine F-35.“ Er nennt ihre Bestellung „überflüssig“, zumal zu den Anschaffungskosten in zweistelliger Milliardenhöhe noch Milliarden an Wartungs- und Lebenszykluskosten hinzukommen. Er würde sie „als Erstes streichen unter diesen neuen geopolitischen Bedingungen“. Das gelte umso mehr, als Washington bei der F-35 über weitreichende Zugriffsrechte verfügt. „Wir wissen, die Amerikaner können das Ding abschalten, wie sie wollen. Wir sind total abhängig“, mahnt Enders. Trump könne nach Gusto entscheiden, dass keine F-35 abheben darf. „Dieses System ist mit einer solchen so antieuropäisch gefärbten amerikanischen Regierung ein großes Risiko“, lautet deshalb sein Resümee.

„Ich sage das als jemand, der eigentlich ein in der Wolle gefärbter Transatlantiker ist“, ist Enders wichtig zu betonen. „Aber wir können einfach die Augen nicht davor verschließen, dass diese amerikanische Regierung jetzt zum Gegner geworden ist und nicht mehr Verbündete ist“, fügt er an. Die Zäsur sei unverkennbar. Im Weißen Haus sitze nun ein Präsident, „dem alles zuzutrauen ist und der die Europäer genauso erpressen kann wie die Ukrainer, indem er droht, ihr kriegt das nicht und ich schalte das ab“.

„Dass eine Trump-Regierung sich an Artikel 5 hält, wenn Herr Putin ins Suwałki Gap einmarschiert, um Litauen von Polen zu trennen, das glaubt doch keiner mehr“, so Enders weiter. Seinem Appell stehen Stimmen gegenüber, die den Bruch mit den USA scheuen. Dazu gehören Industrievertreter wie Rheinmetall -Chef Armin Papperger. „Ich warne davor, dass man mit den Amerikanern komplett bricht, auch wenn der Ton im Moment rau ist“, hatte er am Mittwoch klargestellt. Rheinmetall arbeitet eng mit den großen US-Rüstungskonzernen Lockheed Martin und Northrop Grumman zusammen. In Weeze am Niederrhein eröffnet das Düsseldorfer Unternehmen bald eine Produktionsstätte für Mittelteile von F-35-Flugzeugen.

„Appeasement gegenüber Trump“

Aus Enders’ Sicht befindet sich Deutschland schon lange auf einem falschen Amerika-Kurs. Die Vorentscheidung für die F-35 sei schließlich schon in Trumps erster Amtszeit unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefallen. „Das war vor allem auch Appeasement gegenüber Trump“, sagt er, à la „schaut doch her, wir kaufen amerikanische Waffensysteme für viel Geld, und kritisiert uns doch nicht ständig, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel nicht schaffen“. „Das ist eine deutsche Auffassung, die sich durch viele Jahre zieht. Wir kaufen amerikanisch, um den Amerikanern zu gefallen“, moniert Enders und lobt im Vergleich dazu die Konsequenz und Weitsicht der Franzosen, die seit Jahrzehnten eigene Waffensysteme priorisieren.

Angebote aus Paris, gemeinsam die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken, seien von Berlin unbeantwortet geblieben und Warnsignale ignoriert worden. Er könne sich an eine Rede von Merkel im Frühjahr 2017 erinnern, in der sie sinngemäß gesagt habe, man müsse die Sicherheit nun in die eigenen Hände nehmen. „Aber es ist nichts passiert“, beklagt Enders. Diverse Initiativen des damals neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron für eine souveräne europäische Sicherheitspolitik habe Merkel an sich abperlen lassen. Das habe sich unter Olaf Scholz (SPD) fortgesetzt.

Strategischer Dreiländerbund

„Der neue deutsche Bundeskanzler hat eine Menge zu tun, das deutsch-französische und das deutsch-polnische Verhältnis zu reparieren“, sagt Enders. Er betont: Ohne die Achse Paris-Berlin-Warschau werde es eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, die den Namen verdient, das Nukleare nicht ausklammert und nach Möglichkeit London einbezieht, nicht geben. „Eine industrielle Konsolidierung wie bei Airbus 1999/2000 wäre in den letzten zehn Jahren schwer denkbar gewesen. Im Grunde hatte sich das politische Fenster dafür bereits 2010 wieder geschlossen“, meint Enders und verweist auf „wieder wachsende nationale Egoismen“. Deutschland habe da „eine besonders unrühmliche Rolle gespielt“.

„Vielleicht tut sich jetzt ein neues Fenster auf, das hoffe ich jedenfalls“, so Enders. Er mahnt die Europäer zur Eile. Man dürfe die Zeit nicht damit verschwenden, irgendwelche neuen EU-Institutionen und -Mechanismen zu gründen, von denen es schon genug gebe. Stattdessen sollten die EU-Staaten „in pragmatischer Koordination“ ihre nationalen Verteidigungsfähigkeiten stärken. Dafür gibt es ja schon konkrete NATO-Pläne. „Pragmatisch muss vor allem heißen, ‚buy European‘ und die verfügbare moderne Technologie und auch die kommerziell verfügbare Technologie innovativ und vor allem rasch zu nutzen. So wie uns das die Ukrainer vormachen“, meint Enders. „Wenn wir unseren westlichen Diensten Glauben schenken, dann haben wir drei bis fünf Jahre. Dieses Zeitfenster müssen wir nutzen, um die Kampfkraft und die Abschreckungsfähigkeit unserer europäischen Streitkräfte und insbesondere der deutschen deutlich zu verbessern, um hoffentlich ein weiteres Ausgreifen des russischen Neoimperialismus zu verhindern“, sagt er.

Kurswechsel

Der Kurswechsel, den Enders fordert, meint indes nicht nur eine Abkehr von Amerika und Stärkung Europas, sondern auch eine neue Beschaffungspolitik und -praxis. Das viele Geld müsse viel schneller und vor allem in neue Systeme fließen. Es sei „keine Frage, dass man mehr Kampfplattformen braucht, aber man sollte dabei nicht übersehen, in welcher atemberaubenden Weise die Technologie sich fortentwickelt hat, insbesondere was autonome Systeme und Künstliche Intelligenz betrifft“.

Hier sei noch Überzeugungsarbeit vonnöten, Apparate wie Beschaffungsbehörden seien schließlich träge. „Über 90 Prozent des ersten ‚Sondervermögens‘ für die Bundeswehr fließen in große, komplexe Plattformen. Das muss sich dringend ändern“, sagt Enders. Und noch werde nicht überall realisiert, dass man auf einer ganz anderen, sehr viel kürzeren „Zeitachse“ operieren müsse, wenn man glaubwürdige Abschreckungsfähigkeit ohne die Amerikaner herstellen wolle.

„Es geht darum, die richtigen Lehren aus dem Ukrainekrieg zu ziehen“, betont der DGAP-Präsident. Er fordert bei der Beschaffung deshalb „Fast-Track-Verfahren“, wie Deutschland sie bei den Ukrainehilfen eingeführt hat, und „eine technologiegetriebene Verteidigungsstrategie und Beschaffungsstrategie und nicht eine, die jetzt nur auf Artillerie und Panzer und Fregatten setzt“. Unter anderem müsse man nun in Kampfdrohnen investieren, bei denen Software und Künstliche Intelligenz die zentralen Teile seien und nicht die rasch und billig herzustellenden Flugkörper. Software lasse sich beliebig skalieren. Die Aufrüstung sei so wesentlich günstiger und schneller möglich und eine Umrüstung von Auto- in Rüstungsfabriken wie in früheren Kriegen nicht erforderlich.

Roboter und Drohnen

„Wir brauchen Zehntausende von intelligenten Robotern auf dem Gefechtsfeld, und das sind in allererster Linie heute Drohnen, die Sie in kleinen Fabriken herstellen können“, sagt Enders. Die Kriegsführung im Ukrainekrieg werde noch viel zu wenig analysiert. Schon ein paar Dutzend Menschen könnten im Monat eine vierstellige Anzahl von Kampfdrohnen herstellen, und das zu Kosten, die unter denen für eine Granate des Leopard-2-Panzers lägen. „Mit diesen Drohnen lassen sich dann sehr präzise gegnerische Plattformen und Systeme ausschalten, die mehrere Millionen kosten“, so Enders. Das sei nicht der Krieg der Zukunft, sondern der Krieg, wie er heute schon in der Ukraine geführt werde. Die Ukraine habe im vergangenen Jahr über alle Kategorien hinweg schätzungsweise eine Million Drohnen produziert. Mit im Boot ist zum Beispiel das Münchner Start-up Helsing, das sowohl in der Ukraine produziert als auch in Deutschland gefertigte Kampfdrohnen dorthin liefert.

„Wenn wir die NATO-Ostflanke schützen wollen, dann geht das am besten, schnellsten und kostengünstigsten mit einer Art Drohnenwall. Mit Panzern und Truppenstärke allein werden wir Putin dort jedenfalls nicht Paroli bieten können“, mahnt Enders. Heute sei die Bundeswehr auf dem Gebiet moderner Kampfdrohnen jedoch praktisch blank. „Nicht zuletzt hat die SPD Kampfdrohnen über Jahre mit einer völlig abwegigen, sogenannten ethischen Debatte verhindert“, kritisiert Enders. „Diese Vernetzung von Künstlicher Intelligenz, von Sensorik, von Cyberfähigkeiten, von elektronischer Kampf- und Gegenkampfführung mit Satellitenkommunikation und Satellitenaufklärung, das ist das, wo Geld hineingesteckt werden muss, um technologisch überlegen zu sein“, sagt er.

All das müsse Hand in Hand gehen mit einer neuen Personalpolitik. Die Bundeswehr müsse attraktiver werden für IT-Talente. Israels Eliteeinheit 8200 könne hier als Vorbild dienen. „Die Bundeswehr ist in den letzten 30 Jahren bürokratisiert und weitgehend kriegsuntüchtig gemacht worden“, moniert Enders und attestiert ihr „eine aufgeblähte Generalskaste, die über ihre Pfründe wacht, wenig Reformeifer zeigt und mindestens halbiert werden sollte“. Die Zahlen sprächen für sich. „Über 200 Generäle stehen an der Spitze von insgesamt nur 181.000 Soldaten, das heißt, auf jeden General kommen weniger als 900 Soldaten!“, echauffiert sich Enders. „Zum Vergleich: Anfang der Neunzigerjahre kamen auf 470.000 Soldaten nur 193 Generäle und Admiräle.“ Zumal der zivile Apparat der Bundeswehr nicht minder aufgebläht sei und es dort deutlich mehr Zivilangestellte als aktive Heeressoldaten gebe.