Tiere verändern die Erdoberfläche – wie sehr, das überrascht selbst Wissenschaftler. Aktuelle Studien zeigen, welchen wichtigen Beitrag Tiere damit für die Ökosysteme leisten – und somit auch für uns.
Nicht nur wir Menschen gestalten unsere Erde. Das Team um Gemma Harvey von der Queen Mary University of London hat insgesamt rund 600 wild lebende Tierarten identifiziert, die ökologische Prozesse auf der Erdoberfläche beeinflussen – und damit auch für uns wichtige Arbeit leisten.
Biber bauen Dämme und können damit nicht nur ganze Flussläufe umlenken, sondern auch neue Feuchtgebiete schaffen. Nilpferde bilden bei ihren Wanderungen Entwässerungssysteme. Ameisen wirbeln den Boden auf und sorgen so für ein besseres Pflanzenwachstum. Auch Hunderte von weiteren Tierarten buddeln, graben, bauen und verändern damit die Landschaft.
Flusspferde (Hippopotamus amphibius) leben nur noch in Regionen Afrikas, wie hier im Fluss Mara in Kenia. Laut WWF gehen die Bestände der Tiere zurück.
Energieleistung entspricht Hunderttausenden Fluten
Das Team um Biogeomorphologin Harvey hat versucht, die Energieleistung, die die Tiere mit ihren Tätigkeiten erbringen, auszurechnen. Das Ergebnis hat auch Experten wie Thassilo Franke von den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns überrascht: Die Studie errechnete, dass wilde Tiere jährlich schätzungsweise 76.000 Gigajoule Energie zur Gestaltung der Erdoberfläche beitragen. “Das ist eine Kraft, eine Energie, die entspricht Hunderttausenden von schweren Flutereignissen”, sagt er. Und allein eine Flut kann die Oberfläche der Erde bereits stark verändern.
Um die Energieleistung zu berechnen, hat das Team um Harvey zunächst den Kraftaufwand, den einzelne Tierarten für ihre Tätigkeiten aufbringen, wie etwa das Graben kleiner Gänge, analysiert. Diese Daten kombinierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der weltweiten Biomasse der jeweiligen Tierart. So konnten sie die Arbeitsleistung aller rund 600 untersuchten Tierarten erheben.
Verlust der Artenvielfalt gefährdet Ökosysteme
“Diese Forschung zeigt, dass die Rolle der Tiere bei der Gestaltung der Landschaften der Erde viel bedeutender ist als bisher angenommen. Von Bibern, die Feuchtgebiete anlegen, bis hin zu Ameisen, die Erdhügel bauen, sind diese vielfältigen natürlichen Prozesse von entscheidender Bedeutung, aber wir riskieren, sie zu verlieren, wenn die Artenvielfalt abnimmt”, wird Harvey in einer Zusammenfassung der Studie zitiert.
Die Sorge des Forscherteams: Fast 30 Prozent der in der Arbeit identifizierten Arten seien selten, endemisch oder bedroht. Der Verlust dieser Tierarten könnte nach Ansicht der Studienautoren tiefgreifende Folgen für Ökosysteme und Landschaften haben.
Termiten, Ameisen und Regenwürmer
Zu ähnlichen Erkenntnissen wie die Untersuchung von Harvey kommt auch eine aktuelle Studie eines internationalen Forscherteams um Nico Eisenhauer. Er ist Professor für Experimentelle Interaktionsökologie an der Universität Leipzig und Arbeitsgruppenleiter am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig.
Die Wissenschaftler untersuchten die Auswirkungen der drei großen wirbellosen Tiergruppen – Termiten, Ameisen und Regenwürmer – auf die Böden verschiedener Ökosysteme weltweit und stellten fest: Alle drei Tiergruppen haben in ihren “spezifischen Ökosystemen, wo sie dominant sind, sehr deutliche Effekte auf Ökosysteme”. Sie reduzierten die Limitierung von Nährstoffen zum Beispiel von Pflanzen, indem sie Zersetzungsprozesse antrieben und damit das Pflanzenwachstum förderten, erklärt Eisenhauer.
Zu sehen sind Rotgelbe Knotenameisen: Die Insekten sorgen durch ihre Bodenarbeiten für ein besseres Pflanzenwachstum.
“Diese Studie konnte also zeigen, dass diese drei Gruppen von wirbellosen Ökosystemingenieuren viele verschiedene Ökosystemprozesse verändern”, schlussfolgert der Wissenschaftler. So sind Termitenhügel, Ameisennester und Regenwurmgänge reich an den für Pflanzen und Bodenmikroorganismen lebenswichtigen Nährstoffen wie Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Für ihre Arbeit hat das Team um Eisenhauer mehr als 1.000 wissenschaftliche Untersuchungen aus sechs Kontinenten ausgewertet.
Ein ganzes Ökosystem aus dem Gleichgewicht
Die Bedeutung der tierischen Baumeister wird oft erst sichtbar, wenn sie fehlen – wie zum Beispiel im Yellowstone Nationalpark. Dort führte die Ausrottung der Wölfe in den 1920er-Jahren zu einem ökologischen Ungleichgewicht, etwa durch zu große Hirschbestände. Als die Wölfe 1995 dort wieder angesiedelt wurden, stellte sich das ökologische Gleichgewicht wieder ein, die Natur begann sich zu erholen.
Nach kürzester Zeit habe man festgestellt, dass die Weiden am Flussufer wieder gewachsen, die Artenvielfalt wieder gestiegen, das Flusswasser wieder klar geworden sei und “dass zu guter Letzt dann auch die seltene Cutthroat Forelle, die dort im Yellowstone Nationalpark vorkommt, auch wieder massiv in ihrem Bestand zugenommen hat”, erklärt Thassilo Franke von den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns.
Auch dieses Beispiel zeigt: Jede Tierart ist wie ein Zahnrad in einem großen Getriebe. Das Verschwinden einzelner Arten kann Landschaftsveränderungen auslösen, deren Auswirkungen wir heute noch gar nicht abschätzen können.