Die Regierung in Großbritannien hat Reformen des Sozialsystems mit Einschnitten bei einigen Zahlungen für Kranke und Erwerbsunfähige angekündigt, um Arbeitsanreize zu setzen und mehr als fünf Milliarden Pfund (sechs Milliarden Euro) zu sparen. Die Gesamtausgaben für diese Sozialleistungen sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
Grund dafür ist, dass sich immer mehr Menschen krankschreiben lassen. Es werden sehr viel mehr psychische Probleme diagnostiziert. Seit der Corona-Zeit sind Hunderttausende zusätzlich als behindert oder erwerbsunfähig eingestuft worden. Aktuell beziehen 3,7 Millionen die Leistungen, 70 Prozent mehr als vor fünf Jahren. In keinem anderen westlichen Land steigen die Zahlen so stark.
Jeder Zehnte im erwerbsfähigen Alter ist krankgeschrieben oder behindert
Premierminister Keir Starmer hat das System als „kaputt“ und „nicht zu verteidigen“ bezeichnet. Arbeitsministerin Liz Kendall sagte am Dienstag im Parlament, die Labour-Regierung wolle dazu beitragen, dass mehr Menschen arbeiten und ihre Talente entfalten können. Das gegenwärtige System setze „perverse Anreize“. Es führe dazu, dass sich Menschen krankschreiben lassen, um Zahlungen jenseits regulärer Sozialleistungen zu erhalten.
Jeder Zehnte im erwerbsfähigen Alter beziehe Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit oder Dauererkrankung. Jeden Tag kämen tausend neue Anträge für Behindertenzahlungen hinzu. „Der Status Quo ist nicht nachhaltig“, sagte Kendall. Schuld daran sei die konservative Vorgängerregierung.
Die Parteilinke ist entsetzt über die Kürzungen
Dass nun die Labour-Regierung einige Sozialleistungen kürzt oder verändert, schlägt hohe Wellen. Die Kürzungen sind in der Labour-Partei stark umstritten. Einige Abgeordnete vom linken Flügel und sozialistische Gruppen in der Partei zeigten sich entsetzt. Auch Kabinettsmitglieder wie Vizepremierministerin Angela Rayner und Energieminister Ed Miliband äußerten intern Bedenken. Doch es wird nicht erwartet, dass eine große parteiinterne Rebellion das Vorhaben im Parlament entgleisen lassen wird. Starmers Labourpartei verfügt im Unterhaus über eine sehr große Mehrheit.
Die Sozialleistung für Behinderte mit der Bezeichnung PIP (Persönliche Unabhängigkeitszahlung) beträgt bisher durchschnittlich 575 Pfund im Monat. Zuzüglich anderer Leistungen erhalten sie damit knapp tausend Pfund. Viele beziehen gleichzeitig Behinderten- und Erwerbsunfähigkeitszahlungen und kommen damit auf fast 1400 Pfund. Zudem haben sie Ansprüche auf Wohnzuschüsse.
Der Sozialhaushalt wächst seit einigen Jahren rasant. Für Behinderte und Erwerbsunfähige gab der britische Staat vor fünf Jahren rund 46 Milliarden Pfund aus, inzwischen sind es 65 Milliarden Pfund jährlich. Bis 2030 würden die Zahlungen nach dem gegenwärtigen Trend ohne Kürzungen auf 100 Milliarden Pfund steigen, hat das Haushaltsamt OBR errechnet. Vor allem die Zahl der beklagten psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angstzustände (Dysphorie) nimmt demnach rasant zu. Diese werden zu einem regelrechten Massenphänomen. Gesundheitsminister Wes Streeting sagte kürzlich, es werde „definitiv über-diagnostiziert“.