Synthetische Drogen
Stärker als Heroin: So gefährlich sind Forschungschemikalien
Aktualisiert am 19.03.2025 – 06:30 UhrLesedauer: 4 Min.

Mit sogenannten Forschungschemikalien werden immer mehr Todesfälle in Verbindung gebracht. Noch erscheint das Problem klein. Doch das könnte sich bald ändern. Aus einem konkreten Grund.
Ein 19-Jähriger in Hessen, ein 17-Jähriger in Bayern und viele weitere Fälle im Bundesgebiet: Seit einigen Monaten werden vermehrt Todesfälle mit sogenannten Forschungschemikalien in Verbindung gebracht. Allein in Bayern berichtete das Landeskriminalamt Anfang Februar von mindestens sieben Fällen binnen eines halben Jahres. Zuletzt seien weitere Tote hinzugekommen, sagte eine Sprecherin, ohne eine Zahl zu nennen. Die Behörden sind alarmiert, in einigen Bundesländern werden drastische Warnungen veröffentlicht. Worum geht es genau?
Es handelt sich um ganz verschiedene synthetische Stoffe mit psychoaktiver Wirkung, die als Rauschmittel missbraucht werden. Sie werden auch als “Research Chemicals” bezeichnet und können oft einfach in Onlineshops gekauft werden.
Laut Bundeskriminalamt (BKA) ist die Bezeichnung irreführend. Hauptsächlich gehe es den Herstellern darum, über die hochpotenten Wirkstoffe hinwegzutäuschen und eine Haftung auszuschließen. Ähnliches gilt für Kräutermischungen, die als Ersatz für Cannabisprodukte gelten, sowie sogenanntes Badesalz, das ähnlich wie Kokain oder Amphetamine wirkt. Sie alle gelten als neue psychoaktive Stoffe.

Was genau aktuell zu Vergiftungen führt, ist bisher nicht abschließend klar. Die EU-Drogenagentur EUDA beobachtet inzwischen über 1.000 neue psychoaktive Stoffe. “Das ist ein klassisches Problem des Schwarzmarkts: Es sind viel mehr Stoffe im Umlauf als analysiert werden können”, sagt Esther Neumeier von der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. Bei vielen aktuellen Vergiftungsfällen fehlten zudem toxikologische Gutachten.
Klar sei aber, dass die Gruppe der Nitazene beteiligt sei, so Neumeier. Das seien neue synthetische Opioide, von denen viele hochpotent seien und stärker wirkten als Heroin. Und die Stoffgruppe ist im Kommen: Unter den 2024 EU-weit knapp 50 neu gemeldeten Substanzen waren laut EUDA etwa die Hälfte Nitazene. Die andere Hälfte waren synthetische Cannabinoide. Aus BKA-Sicht hat sich das Problem im vergangenen Jahr verstärkt, da insbesondere gefährliche synthetische Opioide in Umlauf gekommen seien.
Laut einem Bericht des Instituts für Therapieforschung in München sind die Konsumenten von Nitazenen eine eher kleine Gruppe junger, sehr experimentierfreudiger Menschen, die die Substanzen online bestellen. Auch das BKA berichtet von Konsumierenden mit “einschlägigem Erfahrungshorizont”. Nach Daten des Bundesdrogenbeauftragten konsumierten zuletzt etwa 1,3 Prozent der Erwachsenen bis 59 Jahre und 0,1 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren neue psychoaktive Stoffe.
Hinzu komme, dass Nitazene teils auch gefälschten Medikamenten zugesetzt würden, erzählt Neumeier. Die würden von jüngeren Menschen, aber teils auch von Menschen mit hochriskantem Drogenkonsum genommen. “Darüber hinaus hatten wir aus Deutschland die erste Meldung von Heroin, das mit Nitazenen versetzt wurde, aus Bremen.”
Generell können neue psychoaktive Substanzen laut BKA zu Atem- oder Kreislaufstillstand, Vergiftungen der inneren Organe oder neurologischen Schäden führen. Bei den hochpotenten synthetischen Opioiden wie Nitazenen warnen Experten vor der Gefahr einer Überdosierung. “Die wirksame Dosis ist nicht weit entfernt von der tödlichen Dosis”, sagt Bernd Werse vom Institut für Suchtforschung in Frankfurt. Bei einer Überdosis mit Opioiden versagt die Atmung, die Menschen sterben an einem Atemstillstand.
Zudem sei oft nicht klar, was genau in den Packungen ist, mahnen Experten. Auch mögliche Wechselwirkungen mit anderen Stoffen seien ein Risiko. Bei den Todesfällen in Bayern berichtet das Landeskriminalamt von unterschiedlichen Ursachen für den Tod, ohne genauer darauf einzugehen. In vielen Fällen sei davon auszugehen, dass auch andere Betäubungsmittel, Arzneien oder chemische Substanzen eine Rolle spielten.