Rüsten alle europäischen NATO-Staaten auf?

2

Als NATO-Generalsekretär Mark Rutte in der vergangenen Woche gegenüber von US-Präsident Donald Trump im Oval Office saß, pries er dessen Leistungen für die transatlantische Allianz. Die Europäer würden heute deutlich mehr für ihre Verteidigung ausgeben als zu dem Zeitpunkt, als Trump 2017 zum ersten Mal Präsident der Vereinigten Staaten wurde. „Das war Trump 45“, stellte Rutte in Anspielung an den 45. Präsidenten der USA fest. Und jetzt schaue man auf Trump 47: „Was in den letzten Wochen passiert ist, ist wirklich unglaublich.“

Europäische Regierungschefs wie der britische Premierminister Keir Starmer seien nach Washington gereist und hätten sich dazu verpflichtet, noch mehr Geld in ihr Militär zu investieren. Dann wandte sich Rutte mit Blick auf den anstehenden NATO-Gipfel Ende Juni in Den Haag direkt an Trump und sagte, dass er mit dem Präsidenten zusammenarbeiten wolle, um sicherzustellen, dass es eine NATO gebe, die unter Trumps Führung wirklich neu gestaltet werde – „und wir sind auf dem Weg dorthin“.

Im Anschluss bekräftigte Trump, was das für ihn bedeutet: Das ausgegebene Zwei-Prozent-Ziel der jeweiligen nationalen Wirtschaftsleistung für den Verteidigungsetat sei zu gering, es solle deutlich höher sein. Und der Präsident des mächtigsten Mitgliedstaats hatte schon zuvor erklärt, was er von NATO-Ländern hält, die Anforderungen an die Verteidigungsausgaben nicht erfüllten – er werde sie nicht beschützen.

Auch Merz will die Verteidigungsausgaben steigern

Seit dem zweiten Amtsantritt Trumps ist einiges in Europas Hauptstädten für die Verteidigung in Bewegung gesetzt worden. Starmer hat einen britischen Verteidigungsetat von 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den nächsten zwei Jahren angekündigt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, dass er die Militärausgaben sogar auf 3,5 Prozent des BIP steigern möchte. Außerdem hat er Gespräche über eine europäische Zusammenarbeit bei Atomwaffen angeboten.

Auch der vermutlich nächste deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will deutlich höhere Verteidigungsausgaben. Dafür schloss er mit SPD und Grünen einen Kompromiss, um noch mit der alten Mehrheit im Bundestag die Schuldenbremse zu ändern. Stimmt auch der Bundesrat zu, fallen künftig Verteidigungsausgaben über einem Prozent der Wirtschaftsleistung nicht mehr unter die Schuldenregel.

In anderen Teilen Europas liegt der Fokus schon länger auf der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit. Polen und Estland haben 2024 innerhalb der NATO den höchsten Anteil am Bruttoinlandsprodukt für Verteidigungsausgaben aufgewendet – noch vor den USA. Laut dem aktuellen Haushalt soll Warschau dieses Jahr sogar fast an die Fünf-Prozent-Marke kommen und damit die Tabelle der Militärausgaben innerhalb der Allianz wieder anführen. Präsident Andrzej Duda forderte die Europäer auf, zu einer Verteidigungs­fähigkeit wie während des Kalten Krieges zurückzukehren.

Die Ankündigung von Litauen, dem größten der drei baltischen Länder, ab 2026 bis zu sechs Prozent des BIP für das Militär auszugeben, ist in der NATO bislang beispiellos. Schon seit Russlands Annexion der Krim 2014 plädiert die lettische Bevölkerung mit großer Mehrheit für mehr Engagement in Sachen Verteidigung. Aber wie steht es um das Bedrohungsgefühl in anderen NATO-Staaten Europas? (cbs.)

Dänemark: Bedrohung von zwei Seiten

Dänemarks Regierung übt sich derzeit in einem sehr schwierigen Spagat: Nach außen hält sie an der Haltung fest, dass die USA ihr engster Verbündeter ist. Zugleich versucht sie das dänische Königreich vor genau diesem Verbündeten zu schützen. Schließlich hat Präsident Donald Trump nicht einmal militärische Gewalt ausgeschlossen, um Grönland in die USA einzuverleiben. Wie groß die Sorge vor den USA mittlerweile ist, zeigte etwa kürzlich die Warnung des früheren leitenden Analysten des Militärgeheimdiensts Jacob Kaarsbo, dass die USA über die Techgiganten Google und Microsoft dänische Behörden und Unternehmen ausspionieren könnten.

Nicht nur in Dänemark sorgte der Besuch von Donald Trumps Sohn, Donald Trump Jr., in Grönland Anfang des Jahres für viel Wirbel. Wegen der Drohungen des US-Präsidenten blickt die internationale Gemeinschaft immer wieder auf die Insel – und nach Kopenhagen.
Nicht nur in Dänemark sorgte der Besuch von Donald Trumps Sohn, Donald Trump Jr., in Grönland Anfang des Jahres für viel Wirbel. Wegen der Drohungen des US-Präsidenten blickt die internationale Gemeinschaft immer wieder auf die Insel – und nach Kopenhagen.dpa

Große Sorge bezeugt auch die Diskussion über das Verteidigungsabkommen mit den USA, das Dänemark Ende 2023 schloss. Dieses erleichtert den Vereinigten Staaten die Stationierung von Truppen und Material im Land. Dänemark hoffte auf möglichst viel davon, vor allem um Russland abzuschrecken. Doch mit dem Abkommen verzichtet es auf die strafrechtliche Zuständigkeit für amerikanische Streitkräfte auch außerhalb von Militärstützpunkten. So weit ist kein anderes nordisches Land gegangen – ein Ausdruck der Nähe, auch von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, zum engsten Partner Amerika.

Für Frederiksen sei mit dem Vorgehen Trumps gegen ihr Land ein Weltbild zusammengebrochen, heißt es nun in Kopenhagen. Sie sieht ihr Land so wie andere nordische Regierungschefs zwar nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden; die Sorge vor einem baldigen Angriff durch Russland in der Region ist groß. Sollte der Krieg in der Ukraine beendet oder eingefroren werden, sei Russland in nur zwei Jahren bereit für einen regionalen Krieg im Ostseeraum, warnte kürzlich der dänische Verteidigungsnachrichtendienst. Deswegen rüstet Dänemark seine bisher sehr kleine Truppe nun massiv auf. Und gegen die Bedrohung aus Amerika wirbt Frederiksen in Europa um Verbündete. (jib.)

Spanien und Portugal: Gelassene Schlusslichter

Für die Bewohner der Iberischen Halbinsel sind Donald Trump, Wladimir Putin und die Ukraine weit weg. Die Wirtschaft Spaniens und Portugals boomt und ist weniger stark vom amerikanischen Markt abhängig wie die anderer NATO-Partner. Die Angst vor einer Ausweitung des Kriegs in Osteuropa spielt in den politischen Debatten beider Länder keine zentrale Rolle. In Portugal dreht sich alles um das Scheitern der rechten Minderheitsregierung und die Neuwahlen im Mai. In Spanien stehen Korruptionsvorwürfe gegen die regierenden Sozialisten und die politischen Folgen der Flutkatastrophe in Valencia im vergangenen Jahr im Vordergrund.

Eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben hat weder in Madrid noch in Lissabon politische Priorität. Spanien, immerhin die viertgrößte Volkswirtschaft der EU, ist das Schlusslicht unter den NATO-Mitgliedern – und Portugal steht nicht viel besser da. Beide Regierungen haben angekündigt, ihre Anstrengungen zu verstärken und noch vor 2029 wenigstens das Zwei-Prozent-Ziel der Allianz zu erreichen. Spanien stellt zudem Soldaten für eine mögliche internationale Ukraine-Truppe zur Friedenssicherung in Aussicht.

Ministerpräsident Pedro Sánchez hat jedoch noch nicht erläutert, wie er diese Verpflichtungen finanzieren will. Für seine Versprechen hat die linke Minderheitsregierung in Madrid keine Mehrheit. Sánchez’ früherer Koalitionspartner Podemos brachte gar einen Gesetzentwurf ein, der einen NATO-Austritt verlangt. Widerstand gegen höhere Verteidigungsausgaben kommt auch vom Koalitionspartner Sumar. Spanien hofft darauf, dass die EU einen Teil der Kosten übernimmt. In Portugal herrscht erst einmal politischer Stillstand. (hcr.)

Belgien: Aufrüsten für mehr Gewicht

Es war bemerkenswert, was der belgische Ministerpräsident Bart De Wever jüngst bei einem EU-Gipfel kleinlaut verkündete: „Wir sind nicht nur ein kleines Land, wir sind auch ein extrem schlechter Schüler.“ Das bezog sich auf die Verteidigungsausgaben – mit 1,3 Prozent der Wirtschaftskraft liegt Belgien in der NATO ganz hinten. Bis 2029 wollte die Regierung wenigstens die Zwei-Prozent-Marke erreichen. Das galt schon als ambitioniert, jetzt soll es noch in diesem Jahr geschehen. „Wenn Sie Ihre Mitgliedschaftsgebühr im Verein nicht bezahlen, dann sollten Sie auch nicht erwarten, dass man Sie ins Klubhaus lässt“, sagte De Wever. Damit nahm er auf diverse Treffen Bezug, etwa vor Kurzem in London, zu denen er nicht eingeladen wurde.

Es ist die Angst vor einem Bedeutungsverlust, die De Wever und seine Koalitionspartner antreibt. Außerdem die Sorge, dass man sich ohne schnelle Ausgabensteigerung beim NATO-Gipfel in Den Haag im Juni lächerlich machen würde, gerade gegenüber dem US-Präsidenten. Die Angst vor Russland spielt dagegen keine so große Rolle. Die Regierung handelt auch ohne Druck aus der Gesellschaft. Die Gewerkschaften regen sich eher auf, weil die neue Regierung das Pensionsalter erhöhen und die Arbeitslosenhilfe kürzen will. Dass nun noch mehr Geld in die Verteidigung fließt, stößt dort auf Unverständnis.

Das Verteidigungsministerium muss jetzt in Windeseile einen Plan ausarbeiten – jedes Jahr werden knapp vier Milliarden Euro zusätzlich benötigt. Dafür will die Regierung Tafelsilber verkaufen, etwa Beteiligungen an früheren Staatsunternehmen. Die Armee weiß schon genau, wofür sie die Erlöse einsetzen will: viel Munition, eine dritte Fregatte, weitere F-35-Kampfflugzeuge, Transportflugzeuge, Hubschrauber und Drohnen. (T.G.)

Italien: Ein radikaler Bruch

Italiens Präsident Sergio Mattarella hat jüngst Wladimir Putins Strategie der gewaltsamen Expansion – namentlich in der Ukraine – mit jener Nazi-Deutschlands verglichen und Moskaus Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen als Tabubruch gegeißelt. Die russische Außenamtssprecherin bezichtigte ihn daraufhin der Lüge und beschrieb Italien insgesamt als impotente Nation: „Sie haben nichts, womit sie sich verteidigen können, und deshalb haben sie sich zum Angriff verstiegen.“

Der Zornesausbruch erfolgt vor dem Hintergrund singulär enger Beziehungen zwischen der einstigen Sowjetunion und Italien. Diese wurden im Kalten Krieg von der KPI getragen, der größten kommunistischen Partei in einem Staat auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhangs – und danach hatte der ehemalige Regierungschef Silvio Berlusconi diese bis ins 21. Jahrhundert hinein fortgeführt. Der Bruch mit Moskau seit dem Überfall auf die Ukraine ist umso radikaler; Ministerpräsidentin Giorgia Meloni steht fest an der Seite Kiews.

Der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Silvio Berlusconi, ist zeitlebens ein Intimus des russischen Präsidenten Wladimir Putin gewesen. Das Foto zeigt, wie sich die beiden Regierungschef 2003 zu einem informellen Abendessen in der Nähe von Moskau getroffen haben.
Der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Silvio Berlusconi, ist zeitlebens ein Intimus des russischen Präsidenten Wladimir Putin gewesen. Das Foto zeigt, wie sich die beiden Regierungschef 2003 zu einem informellen Abendessen in der Nähe von Moskau getroffen haben.Reuters

Dass Melonis Regierung versprochen hat, das Verteidigungsbudget bis 2029 auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen, hat mehr mit den Forderungen Washingtons und der NATO zu tun. Denn als maßgebliche geostrategische Herausforderungen für Italien gelten der Süden, das Mittelmeer und der Maghreb. Die gut 3000 Kilometer entfernte russische Hauptstadt Moskau wird in Italien nicht als Ausgangspunkt einer unmittelbaren Bedrohung betrachtet. Auch eine vorauseilende Bereitschaft zur Entsendung italienischer Truppen für eine mögliche Friedenssicherung in der Ukraine hat Meloni nicht signalisiert. Sie will erst sichergestellt wissen, dass es in der Sache nicht zu einem Bruch der Europäer mit den USA kommt. (rüb.)

Ungarn und die Slowakei: Applaus für Trump

Mag auch der Rest Europas entsetzt sein über die brüske Abwendung von Trumps Amerika, aus zwei Hauptstädten kommt Applaus. Die Regierungschefs von Ungarn und der Slowakei, Viktor Orbán und Robert Fico, lobten die Schelte, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende Februar in Washington über sich ergehen lassen musste. In einer drohenden militärischen Niederlage der Ukraine gegen den Aggressor Russland scheinen sie keine erhöhte Bedrohung für ihre Länder zu sehen.

Doch in der Slowakei sind durchaus Ängste laut geworden. Aber nicht seitens der Regierung, sondern der Opposition und der Zivilgesellschaft. Zehntausende demonstrierten in mehreren Städten. Anlass zur Sorge bieten undurchsichtige Aussagen Ficos zur Mitgliedschaft in EU und NATO sowie Sprüche von einigen namhaften Mitstreitern des Regierungschefs: Es sei offensichtlich, dass in der Ukraine der Westen verliere und Russland gewinne. Und eigentlich sei es doch ganz gut, wenn man dann endlich wieder einen zuverlässigen Nachbarn habe.

Der Besuch des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico in Moskau Ende vergangenen Jahres beunruhigte vor allem die europäischen Nachbarn: Fico gehört zu den ersten EU-Regierungschefs, die Putin seit Russlands Angriff auf die Ukraine persönlich besucht hat – nach Viktor Orbán.
Der Besuch des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico in Moskau Ende vergangenen Jahres beunruhigte vor allem die europäischen Nachbarn: Fico gehört zu den ersten EU-Regierungschefs, die Putin seit Russlands Angriff auf die Ukraine persönlich besucht hat – nach Viktor Orbán.dpa

Doch gerade bei Orbán in Ungarn lohnt es sich, genauer hinzuhören. Auf dem jüngsten EU-Gipfel sperrte er sich zwar erwartungsgemäß gegen Militärhilfe für die Ukraine. Den Aufrüstungsbeschluss trug er jedoch mit Nachdruck mit. Ungarn hat, von einem niedrigen Niveau aus, seine Verteidigungsausgaben über das NATO-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung hinaus erhöht und will sie weiter steigern. Und Orbán fördert Werke von Rüstungsunternehmen, gerade aus Deutschland. Bündnispolitisch setzt Orbán weiter auf die NATO, ungeachtet aller politischer Liebedienerei gegenüber Russlands Präsidenten Wladimir Putin. (löw.)

Rumänien: Russlands Krieg ganz nah

Nicht nur als Schwarzmeeranrainer ist Rumänien von Russlands Krieg gegen die Ukraine besonders betroffen. Es ist auch der EU- und NATO-Staat mit der längsten Landgrenze zur Ukraine. Das Land sieht sich zudem als Interessenvertreter und engster „Bruderstaat“ der Republik Moldau – und dass die im Fall eines Zusammenbruchs der ukrainischen Front oder gar einer Zerschlagung der Ukraine das nächste Opfer von Putins Imperialismus sein könnte, ist nicht nur geographisch plausibel. Entsprechend besorgt blickt man in Bukarest auf die Entwicklungen hin zu einer rein machtbasierten Weltordnung.

Laut einer Ende Februar veröffentlichten Umfrage befürworten zwar 81 Prozent der Rumänen die Zugehörigkeit ihres Landes zur NATO, doch das Vertrauen in die Allianz und den Präsidenten von deren mächtigstem Mitgliedsstaat, Donald Trump, ist weitaus geringer. Noch unterhalten die USA mehrere Stützpunkte in Rumänien. Zudem soll die Luftwaffenbasis „Mihail Kogălniceanu“ nahe der Schwarzmeerstadt Constanta zum flächenmäßig größten NATO-Stützpunkt Europas ausgebaut werden, mit der Möglichkeit einer Stationierung von bis zu 10.000 Soldaten der Allianz.

Übergangspräsident Ilie Bolojan hat angekündigt, sein Land plane, die Verteidigungsausgaben innerhalb von ein bis zwei Jahren auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern. Allerdings hat Rumänien schon jetzt eines der höchsten Haushaltsdefizite aller EU-Staaten. In Bukarest besteht offenbar die Neigung, eine Steigerung des Verteidigungshaushalts auch durch Rechentricks zu erreichen – etwa indem der Bau von Autobahnen dem Wehretat zugerechnet wird, da es sich schließlich um Infrastrukturprojekte handele, die auch der Armee zugutekämen. (tens.)

Griechenland und die Türkei: Feindliche Nachbarschaft

Eine „Friedensdividende“ hat Griechenland auch nach dem Zerfall des Warschauer Pakts nie erlebt. Die Verteidigungsausgaben blieben hoch – nicht aus Angst vor Russland, sondern vor einem anderen, aus griechischer Sicht viel näheren und auch deshalb bedrohlicheren Nachbarn aus dem Osten: der Türkei. Beide Staaten streiten sich seit Jahrzehnten um Grenzverläufe, Wirtschaftszonen und Bodenschätze im östlichen Mittelmeer. Dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan mehrfach die Zugehörigkeit von griechischen Ägäisinseln infrage gestellt und etwa unverblümt gedroht hat, die Türken könnten „eines Nachts“ kommen, um sie sich zu holen, wirkte wie eine Garantie für anhaltend hohe Militärausgaben Athens.

Das 2014 auf dem NATO-Gipfel vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel übertrifft Griechenland schon seit jeher deutlich – selbst in den Jahren der tiefsten Finanzkrise. Mit Sorge blickt man in Athen auf den wachsenden Rüstungssektor in der Türkei, der nicht nur in der Drohnentechnik führende Produkte zu bieten hat. Nachdem die USA für europäische Abnehmer als Rüstungslieferant jüngst an Vertrauen verloren haben, will die Türkei in die Angebotslücke stoßen. „Europas Sicherheit ist ohne die Türkei undenkbar“, verkündete Erdoğan unlängst.

In Griechenland fürchtet man die wachsende Bedeutung der türkischen Verteidigungsindustrie für EU-Staaten – und die Auswirkung auf die Unterstützung griechischer Interessen in möglichen Konflikten mit der Türkei. „Europäische Länder dachten bisher, sie könnten sich den Luxus erlauben, die Türkei auszuschließen. Jetzt sehen sie, dass sie die Türkei nicht mehr ausschließen können“, sagt Sinan Ülgen vom „Zentrum für Wirtschaftliche und Außenpolitische Studien“ in Istanbul. (tens.)