Die Schuldenprogramme lösen das Kernproblem nicht

3

Den großen Zahlen, die derzeit in Europa kursieren, hat Mario Draghi kürzlich in einem Beitrag für die „Financial Times“ Bemerkenswertes hinzugefügt. Draghi, der vor einigen Monaten eine viel beachtete Studie über den Zustand der Wirtschaft in der Europäischen Union vorgelegt hatte, schrieb, die internen Hürden in der Europäischen Union entsprächen Zollsätzen von 45 Prozent für die Industrie und 110 Prozent für die Dienstleistungen. Gerade in einer Woche, in der der Bundestag den Weg frei gemacht hat für gewaltige Staatsschuldenprogramme in Deutschland, sollte nicht in Vergessenheit geraten, wo sich die eigentlichen Schwierigkeiten der deutschen und der europäischen Wirtschaft befinden.

Zu den Entscheidungen des Bundestages, denen der Bundesrat noch zustimmen muss, ist dem oft Diskutierten nichts hinzuzufügen. Angesichts der sich erheblich verschlechternden Sicherheitslage und der Vernachlässigung der Bundeswehr seit Jahrzehnten war einzig ein zweites Sondervermögen für die Bundeswehr als Ausnahmetatbestand ökonomisch begründbar. Für die tatsächlichen Beschlüsse des Bundestags bestand keine Notwendigkeit.

Eine endlose Diskussion über das, was hätte getan werden sollen, führt jedoch nicht weiter. Jetzt geht es darum, die wirtschaftlichen Folgen der Entscheidungen zu überprüfen. Da sie weit in die Zukunft reichen, lassen sie sich nicht zuverlässig schätzen. Mit einer sehr expansiven Finanzpolitik geht eine kräftige Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage einher, die sich abhängig von der konkreten Situation in Wirtschaftswachstum mit zusätzlichen Arbeitsplätzen wie auch in Inflation niederschlagen kann. In der Praxis ist vermutlich eine Kombination aus einem Wachstums- und einem Inflationsimpuls am wahrscheinlichsten.

Wachstum oder Inflation?

Im Zustand der Unwissenheit zeigen sich vertraute Mentalitätsunterschiede. Während im Ausland, und hier nicht zuletzt an den Finanzmärkten, vor allem Chancen auf Wirtschaftswachstum gesehen werden, manifestiert sich die traditionelle „German Angst“ in einer bis zum Spektrum der Hyperinflation reichenden Furcht vor Geldentwertung.

Über die Antwort auf die Frage „Wirtschaftswachstum oder Inflation“ entscheidet wesentlich die Bereitschaft, die deutsche und europäische Wirtschaft mit mutigen Angebotsreformen von ihren zahlreichen Hemmnissen zu befreien, um unternehmerischen Elan zu unterstützen. Hier setzt eine sehr expansive Finanzpolitik falsche Anreize, weil sie dazu einlädt, Staatsgeld nicht vordringlich für produktive Investitionen zu verwenden, sondern zur Befriedigung von Gefälligkeiten für Politiker und gut organisierte Interessengruppen, die unproduktiven staatlichen Konsum zur Folge haben.

Diese Gefahr besteht vor allem für das für Infrastruktur und Klima vorgesehene Sondervermögen, aber auch für die künftigen Verschuldungsmöglichkeiten der Bundesländer. Nicht nur für die Zukunft Deutschlands, sondern auch als Botschaft für die Europäische Union bleibt ein sorgsamer Umgang mit dem neuen Verschuldungspotenzial durch die künftige Bundesregierung von überragender Bedeutung.

Fehlende Gewissheiten und zerbrechende Träume

Ein sorgsamer Umgang mit dem Geld wäre eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen nachhaltigen Aufschwung. Er benötigt eine Begleitung durch eine mutige marktwirtschaftliche Agenda, zu der in Deutschland ein zupackender Abbau von Vorschriften und Bürokratie, eine wirtschaftsfreundliche Steuerreform und eine an den wirtschaftlichen Möglichkeiten ausgerichtete Sozialpolitik zählen. Der Staatshaushalt sollte entschlossen auf Einsparmöglichkeiten untersucht werden.

Der künftigen Bundesregierung muss es vor allem gelingen, eine Mehrheit der Menschen von der Notwendigkeit, aber auch von den Chancen einer marktwirtschaftlichen Mobilisierung zu überzeugen. Auf der europäischen Ebene bedarf es unter anderem einer Weiterentwicklung des Binnenmarkts unter Einschluss einer Kapitalmarktunion, eines Abbaus von Regulierungen und einer engeren Zusammenarbeit in der Beschaffung von Militärgütern.

Für die aktuellen Veränderungen in einer durch fehlende Gewissheiten und zerbrechende Träume gekennzeichneten Welt mag der Begriff „historisch“ ausnahmsweise zutreffen. Außergewöhnliche Lagen mögen auch einmal außergewöhnliche Mittel wie ein Sondervermögen für Verteidigung rechtfertigen.

Die Grundlagen guter Wirtschaftspolitik gelten aber auch in historischen Wendezeiten. Dies wird Donald Trump ebenso feststellen wie die künftige Bundesregierung.