Probleme in der Praxis: Warum Abschiebungen oft scheitern

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Die Abteilung 8 im Regierungspräsidium Karlsruhe hat zwei Aufgaben: Strafzettel und Abschiebungen. Bei den Strafzetteln funktioniert alles wie im Bilderbuch. Jemand wird auf der Autobahn geblitzt und bekommt einen Anhörungsbogen. Falsche Angaben kosten 1000 Euro Bußgeld, einen Unschuldigen anzuschwärzen, wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Wer gar nicht antwortet, bekommt einen Bußgeldbescheid und kann Einspruch einlegen. Wer nicht bezahlt, bekommt Zwangsvollstreckung oder Erzwingungshaft. Wer behauptet, nicht der Fahrer gewesen zu sein, bekommt ein Ermittlungsverfahren. Dann werden Nachbarn befragt, Passfotos verglichen. Es kann um 60 Euro gehen, aber der Staat kennt kein Pardon. 1,2 Millionen Verfahren wickelt das Regierungspräsidium Karlsruhe jedes Jahr ab. „Schlupflöcher sind nicht vorgesehen“, heißt es aus der Zentralen Bußgeldbehörde.

Bei den Abschiebungen ist das ganz anders. Da ist jeder Ausreisepflichtige schlecht beraten, auf Behördenbriefe zu antworten, seine Papiere vorzulegen oder zu Vorladungsterminen zu erscheinen. Wer tatsächlich abgeschoben wird, hat meist ein Schlupfloch nicht genutzt. So berichten es die Mitarbeiter dieser Abteilung 8, die für alle Abschiebungen in Baden-Württemberg zuständig sind. Abteilungspräsident Manfred Garhöfer findet, die richtige Frage sei nicht, warum so viele Abschiebungen scheiterten, sondern warum manche überhaupt gelängen. Er beschreibt seine Arbeit so: „Es ist wie Mensch-ärgere-Dich-nicht gegen jemanden zu spielen, der lauter Sechser auf dem Würfel hat, wenn er einen Sechser braucht.“

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Am 12. Juni 2023 zum Beispiel kam ein Migrant über Österreich nach Deutschland und stellte einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Er war also ausreisepflichtig. Das heißt, er hatte kein Recht, in Deutschland zu sein. Diese Gesetze sind nicht umstritten. Niemand will sie lockern, eher verschärfen. Es geht also um den Vollzug und die Frage, wie viele zweite, dritte oder vierte Gelegenheiten das System bieten muss, einen Asylbescheid infrage zu stellen. Der Mann machte jedenfalls keine Anstalten, Deutschland freiwillig zu verlassen. Also organisierte das Regierungspräsidium eine Abschiebung. Die Polizei klingelte: keiner zu Hause. Fünf Monate passierte nichts, dann kam die Polizei wieder, der Mann war daheim, und am 21. März 2024 wurde er an die Österreicher übergeben. Abgeschoben.

Vier Tage später war der Mann wieder in Deutschland. Er reiste illegal ein und stellte einen Asylfolgeantrag. Den kann man stellen, wenn sich im Herkunftsland etwas verändert hat oder gesundheitliche Gründe gegen eine Abschiebung sprechen. Wieder musste geprüft werden. Dann die Ablehnung. Am 20. August wurde er den Österreichern übergeben.

Der Mann ist nicht untergetaucht

Drei Tage später war er wieder da. Die Behörden ließen seine Fingerabdrücke in einer europaweiten Datenbank überprüfen, um zu schauen, wo er europäischen Boden zuerst betreten hat. Die Abschiebung wurde vorbereitet. Als die Polizei in die Erstaufnahmeeinrichtung kam, um ihn abzuholen, war er gerade nicht da. Das war am 7. Januar. Seitdem ist er in Deutschland, das Verfahren läuft weiter. Der Mann ist nicht untergetaucht. Er versteckt sich nicht vor den Behörden. Er wohnt immer noch in der Erstaufnahmeeinrichtung und bezieht Sozialleistungen.

Beamte der Bundespolizei mit einem abgelehnten Asylbewerber aus Pakistan am Frankfurter Flughafen
Beamte der Bundespolizei mit einem abgelehnten Asylbewerber aus Pakistan am Frankfurter Flughafendpa

Manchmal ist das Asylverfahren ein Selbstzweck, weil es so lange dauert. Das sind Jahre der finanziellen Sicherheit. Am 13. April 2018 reiste ein Afrikaner ein und stellte einen Asylantrag. Zwei Jahre lang wurde der geprüft, dann abgelehnt. Der Mann klagte, die Klage wurde auch abgewiesen. Er beantragte Berufung, auch abgelehnt. Da war es schon August 2021, mehr als drei Jahre waren vergangen. Nach dem Willen von Union und SPD sollen Ausreisepflichtige künftig keinen Pflichtverteidiger mehr bekommen, aber es lohnt sich, den Anwalt selbst zu bezahlen. Die Sozialleistungen in der Wartezeit sind höher als die Anwaltsrechnung.

Die Beamten im Regierungspräsidium erleben die Asylbewerber nicht als böse Menschen. Nur ein kleiner Teil ist kriminell. Die meisten wohnen in Dörfern, spielen im Fußballverein, singen im Kirchenchor, haben Freunde, lernen Deutsch, suchen Arbeit. Bürger setzen sich für sie ein, gründen Initiativen, um die Abschiebungen zu verhindern. Das Regierungspräsidium aber macht alles genau so, wie es im Gesetz steht.

Bei der Passbeschaffung mussten Jahre vergeudet werden

Im Fall des Afrikaners war das Pro­blem, dass er keine Papiere hatte. Erst mit dem Vorliegen der Ausreisepflicht, also nach allen Einsprüchen und Klagen, durften die Beamten anfangen, ihm neue Papiere zu besorgen. Jahre wurden so vergeudet. Und bevor sie ihm zwangsweise Papiere besorgen durften, mussten sie ihn auffordern, das selbst zu tun, und ihm viele Monate Zeit dafür geben.

Vermummte Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde verladen am Terminal 2 des Frankfurter Flughafens das Gepäck eines Abschiebehäftlings.
Vermummte Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde verladen am Terminal 2 des Frankfurter Flughafens das Gepäck eines Abschiebehäftlings.Picture Alliance

Mit den Papieren ist es so eine Sache. Niemand kann es einem Syrer verübeln, wenn sein Pass nach einem Luftangriff auf sein Wohnhaus verbrannt ist. Diesen Umstand nutzen andere, um sich einen Vorteil zu verschaffen. In manchen Jahren behauptet jeder zweite Asylbewerber, keine Papiere zu besitzen. Als Heimatland wird dann eines genannt, in das nicht abgeschoben wird, zum Beispiel Syrien statt die Türkei. „Wenn Sie auf die Venus abschieben, kommen auf einmal alle vom Mars“, sagt Garhöfer. Und aus Ländern, in denen Passersatzpapiere leicht zu beschaffen sind, haben die Leute meistens ihre Originalpapiere. Da lohnt es sich nicht, sie wegzuwerfen oder zu deponieren. Manchmal, wenn ein Asylbewerber heiraten will und jahrelang keine Papiere hatte, hat er plötzlich welche. Union und SPD wollen erreichen, dass in Zukunft nicht mehr die Behörde den Sachverhalt ermitteln muss, sondern die Asylbewerber alle Unterlagen beibringen müssen. Wie das rechtlich genau geht, ist noch unklar. Die EU-Kommission will abgelehnte Asylbewerber zur Mitwirkung verpflichten. Wer das nicht tut, soll Sozialleistungen verlieren oder sogar in Haft gehen.

Bei dem Afrikaner gab es den Verdacht, dass er aus Nigeria stammt. Also wurde vom Regierungspräsidium eine Vorführung angesetzt. Bei der wird der Asylbewerber von nigerianischen Beamten interviewt. Das ist so schwierig zu organisieren, wie es klingt. Manche afrikanische Länder wie Gambia haben keine Vertretung in Deutschland. Also muss das Regierungspräsidium gambische Beamte einfliegen. Manche Länder schicke ihre Leute viermal im Jahr nach Deutschland, für je drei Tage, an denen machen sie zehn Termine, das sind im Jahr maximal 120 Ersatzpapiere, bei manchmal 5000 Kandidaten.

Sieben Jahre später wurde der Nigerianer abgeschoben

Die erste Vorführung des Afrikaners war für März 2023 geplant, fünf Jahre nach der Einreise. Der Mann kam nicht zum Termin. Man darf ihn erst zwingen, wenn er die erste Vorführung verpasst hat. Also organisierte das Regierungspräsidi­um eine zweite Vorführung, das dauerte ein Jahr. Der Mann wurde mit der Polizei gebracht, die Nigerianer stellten fest, dass es sich um einen Landsmann handeln muss, bestanden aber darauf, dem Mann noch mal neun Monate Zeit zu geben, sich selbst einen nigerianischen Pass zu besorgen. Solche Willkür ausländischer Beamter erleben die Deutschen häufiger. „Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt“, sagt Garhöfer. Wenn jemand sagt, er wolle heiraten, wisse aber noch nicht, wen, sagen manche Länder, er solle sechs Monate Zeit bekommen. Der Nigerianer machte keine Anstalten, sich ei­nen Pass zu besorgen. Ende Januar hatte er immer noch keinen und wurde abgeschoben. Sieben Jahre nach seiner Ein­reise.

Abschiebestempel im Ausweis eines Pakistaners, der von Frankfurt aus abgeschoben wurde.
Abschiebestempel im Ausweis eines Pakistaners, der von Frankfurt aus abgeschoben wurde.dpa

Die Beamten wissen nicht genau, warum diese Abschiebung glückte. Normalerweise bringen linke Internetseiten wie „Abschiebe-Alarm“ in Erfahrung, wann die Behörden ein Charterflugzeug gebucht haben, und warnen alle Asylbewerber über eine App vor dem Datum. Solche Internetseiten wissen oft vor dem Regierungspräsidium über Charterflüge Bescheid. Wer die Warnung bekommt, übernachtet bei Freunden und wird von den Polizisten nicht angetroffen. Dann dauert es wieder Monate oder Jahre, bis der nächste Charterflug startet.

Auch die Herkunftsländer verhindern viel. Um die Rückstände bei den Abschiebungen von Nigerianern abzubauen, müsste jede Woche ein Charterflug gehen statt fünf im Jahr. Manchmal erteilt ein Herkunftsland drei Tage vor dem Abschiebeflug keine Landeerlaubnis. Einfach so. Dann war die ganze Vorbereitung umsonst. Dann werden alle, die in Abschiebehaft saßen, aus dem Gefängnis entlassen, weil unklar ist, wann das nächste Flugzeug geht. Oder Somalia: Das Land nimmt Landsleute nur zurück, wenn sie unterschreiben, dass sie abgeschoben werden möchten. Freiwilligkeitserklärung heißt das. Ein Somalier kam 2015 nach Deutschland, beantragte Asyl, klagte ge­gen die Ablehnung, wurde kriminell, saß im Gefängnis, stellte dort einen Asylfolgeantrag, klagte gegen die Ablehnung. Das Regierungspräsidium organisierte eine Vor­führung bei somalischen Behörden, um ihm einen somalischen Pass zu be­sorgen. Er bekam den Pass, aber die Somalis wollten eine Freiwilligkeitserklärung. Die unterschrieb der Mann nicht, warum sollte er auch. Also bleibt er in Deutschland. Er wurde schon wegen kleinerer Delikte verurteilt. Union und SPD wollen mit Herkunftsländern Migrationsabkommen schließen, wer abgelehnte Asylbewerber zurücknimmt, bekommt im Gegenzug legale Migrationswege nach Deutschland. Auch die Ampelkoalition hatte einen Sonderbeauftragten für Migrationsabkommen, mit überschaubarem Erfolg. Es wurden Abkommen mit Kenia und Usbekistan geschlossen, von denen es in Deutschland so wenige Ausreisepflichtige gab, dass sie in ein Flugzeug gepasst hätten.

Bei einem Serben können die Beamten nichts tun

Manchmal müssen die Beamten einfach aufgeben. Ein Serbe reiste im Februar 2023 ein, nannte einen falschen Namen und keine Nationalität, stellte aber einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Die Behörden fragten beim Kosovo, in Montenegro und in Serbien nach, ob der Mann dort gemeldet sei. War er nicht. Zu einer Vorführung mit serbischen Beamten erschien er nicht. Dann sagte er auf einmal, dass er bei seinem Namen gelogen habe und doch Serbe sei. Er sei in Deutschland geboren. Aber er sei kein Deutscher, in Frankreich aufgewachsen. Er wurde von seinen Eltern nie in Serbien registriert. Er hat keine Staatsangehörigkeit. Das bedeutet für die Beamten: Sie können nichts tun. Der Mann müsste sich freiwillig von Serbien einbürgern lassen, damit er dorthin abgeschoben werden kann. Seine Lüge hat keine Konsequenzen.

Ein Polizist bringt einen Mann im Februar 2025 am Frankfurter Flughafen zum Abschiebeflug nach Pakistan.
Ein Polizist bringt einen Mann im Februar 2025 am Frankfurter Flughafen zum Abschiebeflug nach Pakistan.dpa

Garhöfer mag es nicht, wenn die Menschen ihm die Schuld geben. „Es gibt in Baden-Württemberg kein Behördenversagen“, sagt er. Alle Behörden, auch in anderen Bundesländern, arbeiteten unter den Rahmenbedingungen des Bundes. Diese und die schiere Zahl der Fälle seien das Problem.

Neulich sollte ein Türke abgeschoben werden, der seit 2021 im Land ist. Seine Geschichte: Asylantrag, abgelehnt, Klage, gescheitert, Antrag auf Zulassung der Berufung, gescheitert, Asylfolgeantrag, abgelehnt, Eilantrag gegen die Abschiebung, gescheitert. Es war so weit. Der Tag der Abschiebung war da. Doch der Mann schrie im Flugzeug herum. Der Pilot weigerte sich, ihn mitzunehmen. Die Fluggesellschaften wollen ihren Gäs­ten keinen Mann zumuten, der schreit. Das war am 8. Januar. Damals waren keine Bundespolizisten dabei, weil man deren Einsatz begründen muss. Der nächste Flug ging am 13. Februar um 8.15 Uhr, diesmal in Begleitung von Beamten. Wieder schrie der Mann herum und wurde nicht mitgenommen. Nächster Versuch: 13.50 Uhr, wieder schrie er. Nun sitzt er in Abschiebehaft. In die Türkei gibt es üblicherweise keine Charterflüge der Behörden, deshalb sind die Beamten auf private Airlines an­gewiesen. Aber wenn der Mann sich nicht benimmt, nimmt ihn niemand mit. 7603-mal haben sie im vergangenen Jahr versucht, jemanden abzuschieben. Nur 2873-mal ist es gelungen.

Abteilungspräsident Garhöfer verbietet seinen Mitarbeitern, emotional zu sein. Sie sollen nicht frustriert auf die Tastatur hauen oder schimpfen. Wer Emotionen ausleben will, soll das am Wochenende beim Fußball machen, aber nicht als Beamter bei behördlichen Maßnahmen. Garhöfers Leute sollen alles so machen, wie der Gesetzgeber es will. Und so machen sie es dann auch.