Als Donald Trump zu Beginn seiner ersten Amtszeit den „muslim ban“ erließ, gab es einen Moment, in dem Washington den Atem anhielt. Eine Woche nach seinem Einzug ins Weiße Haus setzte ein Bundesrichter einen Teil des Präsidentendekretes aus: Legal Einreisende aus mehrheitlich muslimischen Staaten dürften nicht abgeschoben werden, befand er.
Die Frage war: Würde sich die Trump-Regierung daran halten? Im Kongress und in der Verwaltung war man sich nicht sicher. Trump hielt sich dran. Noch war er eingehegt. Der Supreme Court bestätigte letztlich die Einreisebeschränkungen in modifizierter Form.
In seiner zweiten Amtszeit ist Trump nicht so zimperlich. Nicht zum ersten Mal ignorierte seine Regierung in dieser Woche eine Anordnung eines Bundesrichters. In diesem Fall ging es um die Abschiebung von etwa 240 Männern, denen die Mitgliedschaft in der kriminellen Organisation „Tren de Aragua“ vorgeworfen wird – unter Verweis auf den „Aliens Enemy Act“, der zuletzt im Zweiten Weltkrieg Anwendung fand.
Zunächst behauptete Präsidentenberater Stephen Miller, „Bezirksrichter“ hätten keinerlei Kompetenz, den Präsidenten bei der Ausführung des Gesetzes zu beschränken. Er ging noch weiter: Das Gesetz enthalte keinen Passus, wonach es selbst unter ein richterliches Prüfungsrecht falle. Trump setzte noch eins drauf, als er forderte, den Richter seines Amtes zu entheben.
John Roberts rügt Trumps Verhalten
Das rief John Roberts, den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, auf den Plan. In einer seltenen Intervention rügte er Trumps Worte: Seit mehr als 200 Jahren entspreche es dem allgemeinen Verständnis, dass ein Amtsenthebungsverfahren keine angemessene Reaktion auf eine Meinungsverschiedenheit bezüglich einer richterlichen Entscheidung sei. Für diesen Zweck gebe es den normalen Instanzenzug.
Unabhängig von der Frage, ob Trump das Gesetz rechtmäßig anwendet, obwohl die Vereinigten Staaten sich nicht im Krieg mit Venezuela befinden, und ungeachtet der Tatsache, dass der Präsident in Fragen nationaler Sicherheit viel Spielraum hat, ist Millers Lesart, das Gesetz aus dem Jahr 1798 sei nicht „justiziabel“, Teil eines Manövers nationalkonservativer Kreise, die präsidentiellen Kompetenzen im Namen der „unitary executive theory“ auszuweiten.
Es mag auch in Deutschland befremdlich erscheinen, dass ein „Bezirksrichter“ – er ist tatsächlich ein vom Senat auf Vorschlag des Präsidenten bestätigter Bundesrichter eines Bundesgerichtsbezirks – die Ausführung eines Gesetzes stoppen kann. Es ist aber der Tatsache geschuldet, dass die Vereinigten Staaten nur die konkrete, nicht aber die abstrakte Normenkontrolle kennen.
In Deutschland kann nur das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz für nichtig erklären, allerdings können bestimmte Institutionen jedes Gesetz „abstrakt“ in Karlsruhe vorlegen; in den Vereinigten Staaten geht das nur in einem „konkreten“ Fall über den Instanzenweg zum Supreme Court.
Kompliziert wird es dadurch, dass die Verfassung der Judikative die „Judicial review“-Kompetenz nicht zuweist, sondern der Supreme Court sich diese selbst erstritt. 1803 entschied John Marshall, der Präsident des Supreme Court, im Fall „Marbury v. Madison“ über eine strittige Personalie und etablierte damit das Recht der obersten Richter, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu befinden.
Das mächtigste Parlament der Welt
Es wurde zu einem wesentlichen Element im System der „checks and balances“. Dieses System infrage zu stellen, ist ein gravierender Eingriff in die Gewaltenteilung.
So, wie Marshalls selbstbewusstes Agieren in den Anfangsjahren der Republik Verfassungswirklichkeit schuf, so hat sich diese auch im Laufe der Zeit aus dem Dualismus zwischen Präsident und Kongress entwickelt. Die Vereinigten Staaten haben ein präsidentielles System mit einer herausgehobenen Stellung der Exekutivspitze geschaffen.
Das mächtigste Parlament der Welt steht aber nur wenige Hundert Meter vom Weißen Haus entfernt. Der Kongress, der die „power of the purse“ hat, also den Haushalt bewilligt, delegiert legislative Kompetenzen an die Exekutive, um der Bundesverwaltung Ermessensspielraum in der Gesetzesausführung zu geben. Im Gegenzug wachen beide Kammern über die Implementation. Passt ihnen etwas nicht, greifen sie ein – formell durch die Bindung der bewilligten Gelder im Etat an bestimmte Entscheidungen. Oder informell im laufenden Haushaltsjahr. Manchmal reicht ein Anruf eines Ausschussvorsitzenden bei einem Behördenleiter.
Immer wieder gab es Phasen, in denen der Exekutive vorgeworfen wurde, übergriffig zu sein. Angefangen mit George Washingtons Entscheidung, die Vereinigten Staaten in den Koalitionskriegen infolge der Französischen Revolution für neutral zu erklären. Im Kongress argumentierte man, es sei das Recht der Legislative, über Krieg und Frieden zu entscheiden.
Präsident Andrew Jackson entschied, der Notenbank, der Vorläuferin der Federal Reserve, die Gelder zu entziehen, obwohl der Kongress sie bewilligt hatte und der Supreme Court die Zentralbank für verfassungsgemäß erklärt hatte. Auch damals war von einer Verfassungskrise die Rede. Das wiederholte sich, als Abraham Lincoln im Bürgerkrieg vorbei am Kongress Notstandsmaßnahmen beschloss.
Als sich der Supreme Court in der Großen Depression anfänglich gegen Franklin D. Roosevelts „New Deal“ stellte, erwog der Präsident, einfach die Zahl der Verfassungsrichter zu erhöhen. Dieser „Court Packing“-Plan scheiterte aber am Widerstand des Kongresses. Auch in den Siebzigerjahren behauptete sich die Legislative gegen Richard Nixons „Imperial Presidency“. Aktuell gibt es allerdings aus dem Kongress keine Anzeichen dafür, Trump in die Schranken zu weisen.