Wenn das Rechenzentrum die Wohnung heizt

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In einem finnischen Nadelwald der Kleinstadt Kirkkonummi, knapp eine Autostunde westlich von Helsinki, arbeitet Teemu Nieminen daran, einen gewaltigen Energiefresser zu zähmen. Um ihn herum rollen Dutzende Bagger und Kipplaster, die das gewaltige Areal erschließen. Mehr als 1000 Menschen arbeiten hier Anfang März parallel an zwei Baustellen. Auf der einen Seite des Zauns der Energiefresser: Der amerikanische Softwarekonzern Mi­crosoft will hier eines von drei gigantischen Rechenzentren in der Region errichten, um die rasant wachsende Nachfrage nach der Cloud und Künstlicher Intelligenz (KI) zu bedienen. Auf der anderen Seite eine Anlage, die bald Hunderttausende Menschen im Süden Finnlands mit Wärme versorgen soll – und zwar mithilfe der energieintensiven Rechenzentren.

Teemu Nieminen ist Projektleiter für den finnischen Energiekonzern Fortum , der in Deutschland vor allem als ehemaliger Hauptaktionär des Düsseldorfer Energieunternehmens Uniper bekannt ist. Schon 2017 hätten Microsoft und Fortum begonnen, sich über eine klimafreundliche Nutzung der Abwärme von Rechenzentren auszutauschen, erzählt Nieminen in einem Container auf der Baustelle. Seit 2023 rollten die Bagger auf der Fortum-Baustelle, Microsoft habe mit dem Bau seines Rechenzentrums 2024 begonnen.

Fortum-Manager Teemu Nieminen (links vorne)
Fortum-Manager Teemu Nieminen (links vorne)Microsoft

Um die vielen Server zu kühlen, nutzen Rechenzentrenbetreiber teils kalte Luft, in modernen Rechenzentren aber oft Wasser. Mit diesem erhitzten Wasser passiert bislang im Nachgang oft nichts. Nieminen und sein Team wollen das ändern. Zwei der drei geplanten Microsoft-Rechenzentren in der Region wurden absichtlich nah am Fernwärmenetz der nahe gelegenen zweitgrößten finnischen Stadt Espoo geplant. Mit gut 900 Kilometern an Rohren versorgt Fortum im Süden Finnlands etwa 250.000 Menschen mit Wärme und Warmwasser. Etwa zwei Terawattstunden verbrauchen die angeschlossenen Haushalte im Jahr, allen voran in den kalten finnischen Wintern. 40 Prozent dieses Bedarfs sollen von 2027 an die Abwärme der zwei Microsoft-Rechenzentren liefern. „Damit arbeiten wir an der größten Wärmerückgewinnungsanlage eines Rechenzentrums der Welt“, sagt Nieminen.

Nicht nur in Finnland arbeiten Tech­konzerne wie Microsoft fieberhaft daran, Rechenzentren nachhaltiger zu machen. Denn die Nachfrage steigt seit Jahren – und mit ihr der Energiebedarf. Künstliche Intelligenz hat diesen Trend noch einmal deutlich beschleunigt. Schon 2022 verbrauchten Rechenzentren in den Vereinigten Staaten gut 200 Terawattstunden Strom im Jahr. Das entsprach gut vier Prozent des gesamten Strombedarfs. Bis 2026 rechnet die Internationale Energieagentur damit, dass der Verbrauch auf 260 Terawattstunden und der Anteil an der Nachfrage auf sechs Prozent steigt. Je dreckiger der Energiemix am jeweiligen Standort, desto umweltschädlicher wird der Betrieb – zumal auch durch den Bau Emissionen anfallen.

Mehr als 75 Prozent der Abwärme wird genutzt

Neben langfristigen grünen Stromlieferverträgen setzt Microsoft auch auf Abwärmeprojekte wie in Espoo, um seine Klimaziele zu erreichen. Dort deutet Nieminen gerade stolz auf fünf große Wärmepumpen, die schon in einer Halle stehen. 36 sollen es einmal werden. Sie sollen das etwa 30 Grad Celsius heiße Kühlwasser aus dem Rechenzentrum auf 86 Grad erhitzen. Nur so ist es heiß genug für das Fernwärmenetz. An den kältesten Wintertagen seien auch mal Temperaturen von 115 Grad nötig, sagt Nieminen. Dann würden Elektrokessel das Wasser zusätzlich erhitzen – vor allem zu Zeiten, wenn der Strompreis niedrig sei. In Zeiten niedriger Nachfrage kann Fortum bis zu 20.000 Kubikmeter erhitztes Wasser in einem 43 Meter hohen, 26 Meter breiten, kupferfarbenen Silo direkt neben den Wärmepumpen speichern – im Prinzip eine „gigantische Thermosflasche“, sagt Nieminen. Das kalte Wasser fließt von den Kunden in der Stadt in einem Kreislauf wieder an den Microsoft-Standort zurück. Mehr als 75 Prozent der Abwärme aus den Rechenzentren könnten auf diese Weise wiederverwendet werden, heißt es von Fortum und Microsoft.

Teil der Anlage, die das Kühlwasser eines benachbarten Rechenzentrums für die Fernwärme nutzbar macht
Teil der Anlage, die das Kühlwasser eines benachbarten Rechenzentrums für die Fernwärme nutzbar machtMicrosoft

Von solchen Werten träumen die meisten Rechenzentrenbetreiber in Deutschland noch. Erste Projekte gibt es zwar schon, vor allem von wissenschaftlich genutzten Rechenzentren. Alles in allem steckt die Idee hierzulande aber noch in den Kinderschuhen – obwohl Projekte wie in Espoo auch in Deutschland helfen könnten, die Klimaziele zu erreichen. Nach Bitkom-Berechnungen könnten mit der Nutzung der Rechenzentrumsabwärme jährlich rund 350.000 Wohnungen versorgt werden – das entspräche fast dem Bestand im Stadtstaat Bremen.

Ob sich das Espoo-Modell in Deutschland im großen Stil kopieren lässt, steht aber auf einem anderen Blatt. Fernwärme ist hierzulande längst nicht so verbreitet wie in Teilen Skandinaviens. Nur sechs Prozent der Wohngebäude und 15 Prozent aller Wohnungen werden in Deutschland durch Fernwärme geheizt.

Hohe Investitionskosten

Doch die Politik will, dass der Fernwärmeanteil auch hierzulande kräftig steigt. Sollen die CO2-Emissionen bis 2045 auf nahezu null sinken, muss mittelfristig in den meisten Häusern die Gas- oder Ölheizung durch eine Wärmepumpe oder klimaneutral erzeugte Fernwärme ersetzt werden. Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern müssen bis zum 30. Juni dieses Jahres eine verbindliche Wärmeplanung abgeben; zwei Jahre später gilt das auch für kleinere Kommunen. Dann erst wissen Hausbesitzer wie Rechenzentrenbetreiber, ob sie in der Nähe eines Standortes mit einem Fernwärmenetz rechnen können.

Das muss dann freilich auch noch aufgebaut werden. Ein aufwendiges Unterfangen, das hohe Investitionen erfordert – auch für die Rechenzentrenbetreiber. Eine Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) von Februar 2025 kommt zu dem Ergebnis, dass die Amortisationszeit für solche Projekte häufig mehr als zehn Jahre betrage, insbesondere wenn Wärmespeicher oder teure Verbindungsleitungen gebaut werden müssten.

Durch das sogenannte Energieeffizienzgesetz werden die Betreiber hierzulande aber ohnehin bald zu ihrem Glück gezwungen: Rechenzentren, die von Juli 2026 an ans Netz gehen, müssen demnach mindestens zehn Prozent ihrer verbrauchten Energie wiederverwenden. Für zwei Jahre später in Betrieb genommene Anlagen steigt dieser Pflichtanteil auf 20 Prozent. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom erfüllt in Deutschland aktuell nur knapp ein Drittel der Rechen­zen­trenbetreiber die Zehn-Prozent-Vorgabe.

„Die Fernwärme ist unser größter Hebel“

In Finnland freut man sich deshalb, schon in den 1950er-Jahren die ersten Fernwärmenetze aufgebaut zu haben. „Die Fernwärme ist unser größter Hebel, um die Klimaziele zu erreichen“, sagt der ehemalige finnische Klimaminister Kai Mykkänen, der seit Kurzem Bürgermeister von Espoo ist.

Denn lange war die finnische Fernwärme alles andere als klimafreundlich. Noch im Jahr 2014 stammten 99 Prozent der erzeugten Wärme des Fernwärmenetzes in Espoo aus fossilen Quellen, allen voran von einem nahe gelegenen Kohlekraftwerk. Das wurde im vergangenen Jahr abgeschaltet, der „beste Tag seiner Amtszeit“, wie Mykkänen sagt. Heute liegt der Anteil klimaneutraler Wärmeerzeugung in Espoo bei 70 Prozent, 2029 soll er vor allem wegen des Rechenzentrenprojekts bei 95 Prozent liegen. Zum Vergleich: In Deutschland basiert Fernwärme laut der Umweltorganisation WWF zu rund 80 Prozent auf der Verbrennung fossiler Energieträger in Kraft- und Heizwerken. Bis 2030 soll der Anteil klimaneutraler Wärmeerzeugung auch in Deutschland bei mindestens 50 Prozent liegen.

Finnland profitiert dabei von seinem im Vergleich deutlich grüneren Strommix. Gut ein Viertel des finnischen Stroms kommt aus Wind- und Solaranlagen, ein Drittel aus der Wasserkraft, gut 40 Prozent kommen aus der Kernkraft – und nur ein Bruchteil kommt aus fossilen Quellen. In Deutschland lag der Anteil fossiler Energien laut Eurostat 2024 bei 45 Prozent. „Die Investitionen in Kernenergie waren teuer, aber nötig, um unsere Grundlast zu sichern“, sagt der konservative Bürgermeister Mykkänen.

Trotz der klimafreundlicheren Erzeugungsquellen sind die Fernwärmepreise in Espoo relativ gering. Die Preise unterscheiden sich je nach Nachfrageprofil. Als Richtwert nennt Fortum-Manager Teemu Nieminen aber acht Cent die Kilowattstunde. Das ist sogar günstiger als der günstigste Anbieter in Deutschland: In Dortmund zahlen Kunden knapp unter zehn Cent die Kilowattstunde. Anderswo können es sogar deutlich mehr als 30 Cent die Kilowattstunde sein.

Es bleiben technische Herausforderungen

Selbst wenn der Ausbau der deutschen Fernwärmenetze reibungslos verlaufen sollte, bleiben im Altbestand technische Herausforderungen bei der Nutzung der Abwärme von Rechenzentren. Gerade ältere Rechenzentren sind nicht darauf ausgelegt, Abwärme effizient nutzbar zu machen. In Espoo hat Microsoft seine Standorte technisch extra dementsprechend angepasst. Die Standorte von Rechenzen­tren liegen in Deutschland zudem meist eher in dünn besiedelten Gebieten. Je weiter die Leitungen von den Endkunden entfernt sind, desto mehr Wärme geht während des Transports verloren und desto ineffizienter wird die Technik.

Die Autoren der BMWK-Studie gehen trotzdem davon aus, dass 2030 etwa eine Terawattstunde Wärme aus Rechenzen­tren genutzt werden könnten – insofern die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Im Jahr 2035 stünden mehr als drei Terawattstunden Wärme zur Verfügung, 2045 zehn Terawattstunden. Damit die Prognosen eintreten, muss noch viel passieren. In Espoo sind sie da schon weiter.