Freudenberg, eines der größten Familienunternehmen Deutschlands, denkt über einen Paradigmenwechsel nach. Der Traditionskonzern aus Weinheim mit globaler Aufstellung und 52.000 Beschäftigen hatte nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen, keine Produkte mehr herzustellen, die „dazu bestimmt sind, Menschen Schaden zuzufügen (zum Beispiel Waffen)“, wie es bis heute in den Geschäftsgrundsätzen heißt.
Damit könnte es demnächst vorbei sein. Angesichts der veränderten politischen Rahmenbedingungen hätten immer mehr Beschäftigen und Anteilseigner die Frage gestellt, ob man daran etwas ändern müsse, sagt Mohsen Sohi. Die Unternehmensleitung werde darüber sprechen und „in den nächsten Monaten entscheiden.“
Sohi wird diese Entscheidung nicht mehr mittreffen. Ende Juni, nach zwölf Jahren an der Unternehmensspitze, hört der 65 Jahre alte Amerikaner mit iranischen Wurzeln auf. Für das 176 Jahre alte Traditionsunternehmen war er, das kann man so sagen, ein Glücksfall. In seiner Zeit haben sich Umsatz und Betriebsergebnis verdoppelt, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sogar verdreifacht, wie er betont.
Trotz Autokrise: „Für Innovation ist Geld vorhanden“
Tatsächlich ist der Konzern deutlich geräuschloser und stabiler durch die letzten Krisen gekommen, obwohl er 40 bis 45 Prozent seiner Umsätze mit der kriselnden Automobilindustrie erwirtschaftet. Bis heute hat er keine größeren Arbeitsplatzabbau- oder Effizienzprogramme verkündet. „Es besteht wenig Bedarf an einer großen Restrukturierung“, sagt Sohi. Effizienz sei eine Daueraufgabe und die Geschäftsleitung habe viel Zeit damit verbracht, diese Hausaufgaben zu erledigen.
Angesprochen auf die auffällige Resilienz, nennt Sohi zwei Gründe: Zum einen die hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Der Eindruck, dass Autohersteller heute vor allem auf die Kosten achteten, täusche nämlich. Er habe es schon häufiger erlebt, dass die Autobauer vermeintlich billige Teile kurze Zeit später durch Teile von Freudenberg ersetzt hätten. Für Innovationen sei Geld vorhanden.
Verbraucher kennen das Putztuch Vileda
Zum anderen verweist der Freudenberg-Chef auf das breite Angebots-Portfolio. Mit seinen Dichtungen, technischen Textilien, Filtern, Vliesen und selbst Chemikalien bedient der Konzern in zehn eigeständigen Geschäftsgruppen eine ganze Reihe von Branchen: Autokonzerne, Maschinenbauer, Bauwirtschaft, Textilindustrie bis hin zur Medizintechnik.
Von der 100 Kilogramm schweren Dichtungen zur Absicherung von Bohrlöchern über Beschichtungen für medizinische Katheter, Feinstaubfilter in Autos bis zum Fensterputztuch „Vileda“ reicht das Angebot. Die Haushaltsmarke ist der einzige Anknüpfungspunkt zum Endverbraucher. Der Großteil der Produkte geht in die Industrie.
Freudenberg machte 2024 neuen Rekord-Umsatz
Dass Freudenberg bis heute ein Familienunternehmen ist und keiner Quartalsberichterstattung unterliegt, wie börsennotierte Unternehmen, sei bei der Entwicklung des Unternehmens „definitiv“ ein Vorteil. „Langfristiges Denken ist bei Freudenberg nicht nur ein Wort.“
Im Geschäftsjahr 2024 hat der Konzern trotz der lahmenden Autoindustrie abermals neue Rekorde aufgestellt. Der Umsatz stieg nach Sohis Worten leicht auf 11,95 Milliarden Euro, das Betriebsergebnis um 4,7 Prozent auf 1,13 Milliarden Euro.
Dank des ausgewogenen Portfolios hänge Freudenberg nicht von der Verbrenner-Welt ab, zumal Produkte wie Schwingungsdämpfer in beiden Welten gebraucht würden. „Wir sind für unsere Kunden da, egal welche Antriebe sie bauen.“
Die Annahme der Autoindustrie, dass bis 2030 rund ein Drittel aller Fahrzeuge batteriegetrieben sei, habe sich aus heutiger Sicht als nicht realistisch herausgestellt. Der Wandel gehe langsamer voran, selbst in China. Auch alle deutschen Hersteller hätten es mit dem Wandel zu Elektro anfangs übertrieben. Er sei dennoch überzeugt, dass sich die E-Mobilität langfristig durchsetze, aber das brauche eben Zeit. Die deutschen Hersteller seien auf dem richtigen Weg, sie müssten nur noch verinnerlichen, dass es neue Konkurrenz gebe.
Trump-Zölle belasten Betriebsergebnis mit 100 Millionen Euro
Sohi hat das Geschäft in seiner Zeit mit 58 Zukäufen ausgebaut, davon nach seinen Worten nur einer im Automobilgeschäft. Dennoch ist der Umsatzanteil mit den Autobauern nicht wie angekündigt gesunken. Für Sohi dennoch ein Luxusproblem: Freudenberg habe eben immer mehr Marktanteile gewonnen, sagt er.
Trotzdem: der politische Paradigmenwechsel in der Welt lässt auch Freudenberg nicht kalt. Immerhin rund 30 Prozent seiner Umsätze erwirtschaftet der Konzern in Nordamerika. Die Zölle der Trump-Regierung würden das Betriebsergebnis nach heutiger Schätzung mit 100 Millionen Euro belasten, 80 Prozent davon könne der Konzern aber kompensieren. Grundsätzlich bleibe der Konzern bei der Strategie, das Portfolio auch regional auszubalancieren: Je ein Drittel der Erlöse will Freudenberg in Nordamerika, Europa und Asien erwirtschaften. Mit „local for local“, also mit Werken vor Ort, um die jeweilige Kundschaft zu bedienen.
Sparte rund um Batterie- und Wasserstoffantriebe entwickelt sich langsamer
Gegenwind bekommt das Unternehmen auch in seiner neue Geschäftsgruppe namens „E-Power-Systems“ zu spüren, dort hat Freudenberg alle Aktivitäten rund um Batterie- und Brennstoffzellenantriebe gebündelt. Zielgruppe: Schwerlastverkehr, Busse, Lastwagen, Yachten, Fähren und Kreuzfahrtschiffe. Die Erwartungen für den Wasserstoffantrieb in Schiffen hätten sich allerdings nicht erfüllt. Die Hoffnung, 2030 erstmals mit dem Geschäft Gewinn zu erzielen, sei deshalb aus heutiger Sicht unrealistisch. Der Markt sei kleiner und er entwickle sich langsamer als erhofft, Freudenberg werden dort deshalb auch die Investitionspläne anpassen. Eine grundsätzliche Abkehr von dem Geschäft erwartet Sohi aber nicht.
Sohi will Freudenberg auch nach seinem Rücktritt erhalten bleiben. Nach der vorgeschriebenen „Abkühlzeit“ von einem Jahr will er als stellvertretender Vorsitzender in den Aufsichtsrat und den Gesellschafterausschuss einziehen – beide Gremien sind personalidentisch besetzt mit Mitgliedern der Familie und Fremden.
Sohi bleibt im Aufsichtsrat, neuer Geschäftsführer steht schon fest
Sohi will zudem weiterhin Aufsichtsratsmandate annehmen und einen Teil seiner Zeit weiter in Deutschland verbringen. Durchaus unüblich für einen Ausländer an der Spitze eines international aufgestellten Konzerns hatte Sohi Deutsch gelernt und vor Kurzem die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Frankfurt, wo er wohnt und regelmäßig die Spiele der Eintracht besucht, sei auch seine Heimat, sagt er.
Als seinen Nachfolger hat der Aufsichtsrat bereits Claus Möhlenkamp bestimmt. Der Wirtschaftsingenieur ist ein Eigengewächs, seit 1994 bei Freudenberg, aktuell leitet er das Dichtungsgeschäft mit einem Jahresumsatz von 2,5 Milliarden Euro. Angesichts der volatilen Rahmenbedingungen sei jetzt nicht die Zeit für langfristige Entscheidungen, sagt Sohi. Der Einstieg in das Rüstungsgeschäft allerdings könnte so eine Wegmarke werden. Die Diskussionen laufen, sagt Sohi. „Ausgang offen“.