Baba Ramdev ist Indiens mächtigster Yogi

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Es ist kurz vor fünf Uhr morgens, als der Guru in Begleitung seiner Leibwächter und Assis­tenten in die Halle gelaufen kommt. Er springt auf die Bühne, lässt weiterjoggend das Oberteil seiner Robe fallen und entblößt einen behaarten, hager-muskulösen Oberkörper. Um sich Be­wegungsfreiheit für seine Übungen zu verschaffen, knotet er den unteren Teil des Gewands zwischen den Beinen zusammen.

Dann joggt er weiter einige Sekunden auf der Stelle, hebt die nackten Knie nacheinander hoch und reckt dann Arme und Beine von sich wie ein Hampelmann. Mit einem Ruck lässt er sich mit den Händen auf den Boden fallen, absolviert in schneller Reihenfolge eine Reihe weiterer Posen. „Macht dies … macht das … , je nach Eurem eigenen Können“, ruft der Yogi.

In der winterkalten Halle, die in etwa die Größe eines Flugzeughangars hat, bemühen sich mehr als 1000 Menschen, ih­rem Guru zu folgen. Sie beugen und strecken sich, so gut es in ihren Jacken, Mützen und langen Hosen eben geht.

Einige Dutzend Internatsschüler, die links und rechts der Bühne ihrer eigenen Routine folgen, erweisen sich als besonders biegsam. Sie lassen ihre Oberkörper wie ein Klappmesser auf den Boden sinken, während sie mit den Beinen einen Spagat machen. Sie tun das auch für die zwei Kameras, die nun filmen, wie der Yogi das rechte Bein nach vorn setzt und mit ange­winkeltem Knie eine Dehnübung voll­zieht. „Damit kann man jeder Art von Krankheit entgehen“, sagt er. „Jeder sollte gesund sein, jeder sollte Erfolg haben, jeder sollte in Frieden leben!“

Mit mysteriösen Todesfällen in Verbindung gebracht

Der Mann, der sich Baba Ramdev nennt, ist Indiens bekanntester Yogaguru. Seine Yogastunde verfolgen täglich Millionen von Menschen. Mehrere Websites und zwei religiöse Fernsehsender, die seit einigen Jahren zu Ramdevs Un­ternehmen gehören, übertragen seinen während der Übungen vorgetragenen Mo­nolog über Yoga, gesundes Leben und die negativen Folgen des Überkonsums.

Darüber hinaus ist Ramdev auch der faktische Chef des Unternehmens Patanjali Ayurved, das mit mehr als 500 Produkten Milliarden verdient und mehr als 20.000 Menschen beschäftigt. Seine Gesundheits- und Alltagsprodukte werden in Indien in 6000 Franchiseläden verkauft. Ramdevs Gesicht prangt landesweit auf Hunderttausenden Werbetafeln.

Gelenkig: Baba Ramdev beim Yoga im indischen Haridwar
Gelenkig: Baba Ramdev beim Yoga im indischen HaridwarTill Fähnders

Ramdevs Unternehmen war in der Vergangenheit allerdings auch schon in zahlreiche Gerichtsverfahren verwickelt. Un­ter anderem wurde er wegen „irreführender Werbung“ verklagt. Trotzdem kaufen Millionen Menschen seine Produkte. Tausende lassen sich täglich in seinen Ayurveda-Kliniken behandeln, die Behandlungsmethoden aus der traditionellen indischen Medizin mit der Schulmedizin kombinieren. Zweifelhafte Machenschaften seines Unternehmens sind dabei nicht der einzige Grund, weshalb Ramdev eine kontroverse Figur ist. Einer Bio­graphie zufolge, die Ramdev direkt nach ihrem Erscheinen im Jahr 2017 per Gerichtsbeschluss verbieten ließ, wird er mit mehreren mysteriösen Todesfällen in Verbindung gebracht.

Der Yogaguru übt darüber hinaus aber auch großen politischen Einfluss aus. Im Jahr 2014 hatte er mit gemein­samen Wahlkampfauftritten dem heutigen Ministerpräsidenten Narendra Modi zur Wahl verholfen. Wie seine politischen Verbündeten vertritt Ramdev einen religiös eingefärbten Nationalismus, macht negative Andeutungen über religiöse Minderheiten, insbesondere Muslime, und wettert gegen vermeintlich schäd­liche ausländische Einflüsse. Allerdings vermeidet er es, offen gegen Menschen anderen Glaubens zu hetzen. „Sie haben Ramdev das Image eines bösen Mannes verpasst“, sagt er von der Bühne und spricht von sich selbst in der dritten Person. „Wir werden ihnen zeigen, dass sie unrecht haben.“

„Ich mache Yoga, ich lehre Yoga, ich lebe Yoga“

Mit „ihnen“ sind der deutsche Journalist und sein indischer Übersetzer gemeint. Für ein Interview empfängt Ramdev sie nach der Yoga­session einige Fahrminuten von der Halle entfernt, in einem abgetrennten Teil von Patanjalis Gesundheits- und Yogakomplex am Rand Haridwars. Die Pilgerstadt in Nordindien ist den Hindus wegen ihrer Lage am Ganges heilig. Ramdev setzt sich auf einen gepolsterten Holzstuhl. Schräg über ihm hängt an der Wand ein Porträt von ihm selbst. Der Yogi trägt nun wieder seine safranfarbene Robe. Sein Bart ist schwarz und buschig, mit erstaunlich wenig grauen Haaren. Sein hängendes, linkes Augenlid zuckt gelegentlich. Die Eigenheit soll das Resultat einer frühen Lähmung aus Kindertagen sein.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Ein Assistent hat berichtet, dass Ramdev schon seit drei Uhr wach sei. Noch vor der Yogastunde habe er seine eigenen Übungen absolviert, meditiert, sei ge­joggt. Yoga sei der Kern seiner Philo­sophie, seines Lebens und seiner Arbeit, erklärt der Guru der F.A.S. „Ich mache Yoga, ich lehre Yoga, ich lebe Yoga.“ Schon nach wenigen Sätzen kommt Ramdev dann aber von sich aus auf die Politik zu sprechen. „Die Politiker tun ihr Bestes. Sie beschließen verschiedene Gesetze und politische Maßnahmen zum Wohle der Gesellschaft. Aber das ist nicht genug“, kritisiert er. Dann verbreitet er seine Botschaft der geistigen und körperlichen Gesundheit: Wenn jeder Yoga praktizierte, gäbe es eine „gesunde, glückliche, wohlhabende und friedliche“ Welt, so der Guru.

Konzern mit einem Marktwert von rund acht Milliarden Dollar

Im Gespräch ist Ramdev freundlich und zu Scherzen aufgelegt. Aber er gibt nur wenig von seiner Persönlichkeit und seinen Meinungen preis. Dazu passt, dass auch Teile seines Lebens bis heute ein Mysterium sind, darunter sein Alter. Der Biographie zufolge wurde Ramdev zwischen 1965 und 1975 als Sohn armer Bauern in einem Dorf im Bundesstaat Haryana geboren. Der heute so sportliche Guru war damals ein kränkliches Kind. Irgendwann in den Achtzigerjahren begann er, in einer religiösen Schule in Nordindien Yoga zu studieren. Er machte Bekanntschaft mit dem Mitschüler Acharya Balkrishna, der bis heute seinem Un­ternehmen als Geschäftsführer vorsteht.

Die beiden hatten schnell ihr Geschäftsmodell gefunden: Während Ramdev Yoga lehrte, verkaufte sein Partner ayurvedische Medizin. Der Marktwert des Konzerns liegt heute schon bei rund acht Milliarden Dollar. Auf einer Liste der 100 reichsten Inder belegte Balkrishna mit vier Milliarden Dollar zuletzt Platz 77.

Der Guru selbst versucht dagegen, das Bild des armen Asketen aufrechtzuerhalten. Einem heiligen Mann wie ihm sei es schließlich verboten, Besitztümer anzuhäufen. „Ich habe nichts. Ich habe keinen einzigen Cent. Ich habe kein Bankguthaben. Ich bin kein Aktionär. Ich habe keine einzige Aktie. Ich bin kein Eigentümer“, sagt Ramdev. Was er nicht sagt, ist, dass neben seinem Vertrauten Balkrishna auch seine eigene Familie von seinem Geschäftssinn profitiert. So kümmert sich Ramdevs jüngerer Bruder Ram Bharat in dem Unternehmen um die Finanzen.

„Ein großer Kritiker“ der westlichen Medizin

Auf die religiösen Konflikte im heutigen Indien angesprochen, wo vor allem Muslime sich vor zunehmender Verfolgung sorgen, äußert sich Ramdev gegen „Polarisierung“. Gleichzeitig bekennt er sich klar zur „Hindutva“, wie die Sammelbewegung der Hindunationalisten in Indien genannt wird. Der politische Arm dieser Bewegung ist die Bharatiya Janata Party (BJP), der auch Ministerpräsident Modi angehört und die seit mehr als zehn Jahren die Politik Indiens dominiert. Die Anhänger dieser Ideologie wollen aus dem säkularen Staat eine Nation der Hindus machen, in der sich religiöse Minderheiten wie Muslime und Christen dem Willen der Mehrheit unterordnen. Viel mehr will Ramdev zu dem kontroversen Thema dann aber doch nicht sagen. „Hin­dutva ist ein Lebensstil“, sagt er.

Ramdev hat gute Drähte in die Politik, nicht nur zu Modi.
Ramdev hat gute Drähte in die Politik, nicht nur zu Modi.Reuters

In seinen öffentlichen Äußerungen pro­pagiert der Guru auch einen wirtschaftlichen Nationalismus und spricht sich für mehr indische Autarkie und ge­gen ausländische Einflüsse aus. Auch im Verlauf seiner Yogastunde am Morgen wettert er gegen die Machenschaften der „Medizin-Mafia“, wie er die ausländische Pharmaindustrie nennt.

Der Wirtschaftsnationalismus war auch das Thema einer Partei, die Ramdev vor fünfzehn Jahren gegründet hatte, allerdings ohne großen Erfolg. „Ich bin für die Politik nicht gemacht“, sagt Ramdev. Tatsächlich nutzt der Guru auch seine Kontakte in die politische Machtzentrale für seine Geschäfte. Der indischen Presse zufolge hatte das Unternehmen von der Regierung Vorzugspreise beim Kauf seiner Ländereien bekommen. Demnach hat Patanjali teilweise wohl nur 75 Prozent des Marktpreises gezahlt.

Kritiker wie der französische Indienfachmann und Modi-Biograph Chris­tophe Jaffrelot halten aber vor allem das rückwärtsgewandte Medizinbild für gefährlich, das Ramdev propagiert. Im Gespräch mit der F.A.S. gibt der Guru zu, er sei „ein großer Kritiker“ der westlichen Medizin. Im Verlauf der Yogasession fordert er einige ausgewählte Teilnehmer auf, ihre Heilungsgeschichten zu erzählen, um den Zuschauern an den Bildschirmen die Vorteile der ayurvedischen Behandlung in seiner Klinik zu verdeut­lichen. Als Erste berichtet eine Frau, wie sie mit Yoga und Ayurveda ihr Nierenleiden überwunden habe. „Seit zwei Jahren brauche ich keine Dialyse mehr“, sagt sie. Ein Mann behauptet, er sei von Diabetes geheilt worden, ein anderer, er habe in nur neun Tagen zehn Kilo abgenommen.

Angebliches Heilmittel gegen Covid-19

Im Gespräch weist Ramdev den Vorwurf zurück, er mache unrealistische Heilsversprechen. Der Guru versichert, er könne die Wirkung seiner Behandlungen beweisen. Nach dem Gespräch lässt er seinen Besuchern deshalb ein Forschungszentrum vorführen, in dem Hunderte Mitarbeiter Arzneimittel an Fruchtfliegen und Ratten testen.

Die über mehrere Stockwerke verteilten Labore sind nur ein kleiner Teil des riesigen Firmenkomplexes am Rand von Haridwar. Dazu gehören außerdem eine Universität, ein Internat, Apartmentblocks mit Mitarbeiterwohnungen, ein Sportplatz und Unterkünfte für die Patienten. Bei der anschließenden Führung durch die Ayurveda-Klinik zeigt ein Mitarbeiter die Einrich­tungen für Schlammbäder, Öltherapien, Massagen und medizinische Einläufe. Hunderte Menschen warten in den Vorräumen auf ihre Behandlung.

Von dem Ayurveda- und Yogakomplex geht es dann noch mit dem Auto auf das Fabrikgelände von Patanjali in einem Industriepark in Haridwar. In den rund 30 Fabriken des Unternehmens werden täglich 300 Tonnen Weizenmehl, 50 Tonnen Süßigkeiten, zwei Millionen Zahnpastatuben sowie riesige Mengen weiterer Produkte hergestellt.

Den Besuchern wird eine Fabrik vorgeführt, in der Stachelbeeren gewaschen, entkernt, ausgequetscht und als Saft in 5000-Liter-Tanks gefüllt werden. Dem Fabrikmanager zufolge beruht Patanjalis Erfolg nicht nur auf der Prominenz Ramdevs, sondern auch auf Preisen, die größtenteils nied­riger seien als die der Konkurrenz. Weil Patanjali seine Rohstoffe direkt von den Bauern kaufe und seine eigene Lastwagenflotte besitze, könne es seine Produkte günstiger anbieten.

Dabei hat es dem Konzern auch nicht geschadet, dass er in der Vergangenheit in zahlreiche Kontroversen verwickelt war. Erstmals war Patanjali im Jahr 2005 in die Schlagzeilen geraten, als Ramdev und sein Geschäftsführer Balkrishna nach ei­nem Streik zahlreiche Arbeiter entlassen hatten. Die indische Ghee-Butter, die zu den Bestsellern des Unternehmens gehört, wurde von einem staatlichen Test­labor in Kolkata einmal als qualitativ minderwertig getestet.

Selbst der Stachelbeersaft, dem Unternehmen zufolge eine gesunde Quelle von Vitamin C, war als „zum Konsum nicht geeignet“ befunden worden. Einen regelrechten Aufschrei gab es, als Ramdev auf dem Höhepunkt der Pandemie behauptete, sein Produkt „Coronil“ könne Covid-19 heilen. Damals zwang das Gericht ihn zu einer Relativierung. Darauf angesprochen, wird der Guru das einzige Mal im Gespräch leicht ungehalten. „Ich habe mich aber nicht entschuldigt, eine Entschuldigung ist anders, okay?“, sagt Ramdev. Er beharrt darauf, über Beweise für die Heilungskraft seiner Covid-Medizin zu verfügen.

Der Guru hat kein Problem damit, seine Botschaft der gesunden Lebensführung mit kommerziellen Interessen zu verbinden. Das zeigt auch seine Yogastunde am Morgen, die sich zu ihrem Ende hin immer mehr zu einer Verkaufsshow entwickelt. Ramdev zeigt auf einem Bildschirm Werbefilme für Wellnessbehandlungen und Hautcremes. Dann fängt er an, die Produkte anzupreisen, die ne­ben ihm auf der Bühne in einem Korb liegen.

Ramdev hält Packungen mit Milch, Butter und Kokosöl in die Höhe. Aus ei­nem Glas träufelt er das Öl auf einen Löffel und steckt ihn sich in den Mund. „Ich muss 150 Jahre alt werden, deshalb nehme ich all diese Dinge“, sagt Ramdev. Während der Guru immer mehr so wirkt, als sei er ein Moderator in einem Teleshopping-Kanal, liegen die Teilnehmer seiner Yogastunde mittlerweile flach auf den Rücken. Nach gut zwei Stunden Programm haben sie den Entspannungsteil der Veranstaltung erreicht. Tücher liegen gefaltet über ihren Augen. Einige sind eingeschlafen.