interview
Wo sind die Menschen weltweit am zufriedensten – und warum? Das untersucht der Weltglücksbericht. Der diesjährige Report lege nahe, mehr auf andere zuzugehen, sagt Psychologin Mangelsdorf. Auch das Vertrauen in Institutionen spielt eine Rolle.
tagesschau: Die Finnen sind mal wieder die Glücklichsten. Das geht aus dem diesjährigen World Happiness Report der Vereinten Nationen hervor. Die ersten vier Plätze sind gleich geblieben: Nach Finnland kommen Dänemark, Island und Schweden. Gab es auch was Überraschendes in dem Bericht?
Judith Mangelsdorf: Absolut. Besonders interessant ist zum einen, dass die osteuropäischen Länder aufgeschlossen haben: Wir sehen jetzt mehr und mehr, wie Ost und West weltweit auch in der Lebenszufriedenheit und dem Wohlergehen der Menschen zusammenwachsen. Das zweite Spannende ist, dass es Deutschland trotz der steigenden Polarisation im Land geschafft hat, ein Stück weit mehr Lebenszufriedenheit zu gewinnen und wieder mehr Solidarität untereinander wachsen zu lassen.
Und das Dritte ist, dass wir tatsächlich im World Happiness Report zum ersten Mal mehr erklären können, wie Polarisation gesellschaftlich eigentlich entsteht: Man sieht dort, dass gerade die unzufriedensten Menschen innerhalb der Bevölkerung die Polarisation im Land treiben. Dieser Effekt ist davon abhängig, wie hoch das Vertrauen ist: Menschen, die eher unzufrieden sind und gleichzeitig ein hohes Vertrauen ineinander und in Institutionen haben, tendieren dazu, eher nach links zu wählen. Menschen, die unzufrieden sind und gleichzeitig ein hohes Misstrauen gegenüber anderen und Institutionen haben, wählen eher rechts. Das sehen wir tatsächlich in ganz unterschiedlichen Ländern dieser Welt.

Judith Mangelsdorf
Judith Mangelsdorf ist eine deutsche Psychologin, sie ist Deutschlands erste volle Professorin für Positive Psychologie. Sie lehrt und forscht an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin. Außerdem ist sie Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie.
Von BIP und Korruption bis Freiheit
tagesschau: Sie haben es angesprochen: Deutschland ist zwei Plätze nach oben gerückt auf Platz 22. Wovon hängt es ab, ob eine Bevölkerung glücklich ist oder nicht?
Mangelsdorf: Der World Happiness Report zeigt, dass wir etwa 75 Prozent der Länderunterschiede weltweit durch nur sechs Faktoren erklären können. Dazu gehört das Bruttoinlandsprodukt (BIP), die Korruption im Land, die Freigiebigkeit untereinander, soziale Unterstützung zwischen den Menschen, aber auch eine gesunde Lebenserwartung im Land und vor allem die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen. Und wenn ein Land dafür Sorge trägt und das herstellt, dann ist das Resultat ein hohes Maß von Wohlergehen innerhalb der Bevölkerung.
tagesschau: Was genau fehlt dann in Deutschland?
Mangelsdorf: Wir sehen tatsächlich, dass vor allem dieses Maß an großem Vertrauen uns beispielsweise die skandinavischen Länder durchaus voraus haben. Wenn man sich anschaut, weswegen die nordeuropäischen Länder immer wieder die Weltspitze sind, dann sehen wir vor allem, dass dort so etwas wie Wohlergehen der Bevölkerung und auch Lebensglück als eine kollektive Aufgabe gesehen wird. Damit ist auch klar, dass es quasi Aufgabe von staatlicher und auch institutioneller Seite ist, dafür mehr zu sorgen, als das beispielsweise bei uns selbstverständlich ist, weil wir Glück oder auch Lebenszufriedenheit und Wohlergehen als eher etwas Individualistisches sehen.
“Menschen sind viel mehr bereit zu helfen, als wir erwarten”
tagesschau: Was würden Sie dafür tun, dass das besser wird und man mehr Vertrauen hat?
Mangelsdorf: Wenn wir uns die Forschung des World Happiness Reports anschauen, dann sehen wir immer wieder, dass es eigentlich eine Diskrepanz gibt. Das heißt, Menschen sind durchaus sehr viel mehr bereit, zum Beispiel Hilfe zu leisten, füreinander da zu sein, auch solidarisch zu sein, als wir das erwarten. Das bedeutet, dass wir ganz häufig nicht nach der Hand eines anderen ausstrecken, obwohl wir es eigentlich sollten.
Was uns der Report nahelegt, ist zum einen, auf einer individuellen Ebene mehr auf andere zuzugehen. Aber vor allem auch ein politischer Appell: Das, was wir immer wieder machen müssen, ist, Transparenz zu schaffen, politische Teilhabe zu ermöglichen und dadurch Vertrauen in Institutionen zu stärken und viele Möglichkeiten des gesellschaftlichen Für- und Miteinanders zu etablieren, so dass tatsächlich Lebenszufriedenheit nicht nur für Teile der Gesellschaft zugänglich ist, sondern für alle.
tagesschau: Wie wir andere Menschen oder die Welt sehen, hängt ja auch davon ab, was wir in den Medien sehen – aber auch zum Beispiel auf Social Media. Wie beeinflusst Social Media das Glück?
Mangelsdorf: Es gibt zwei treibende Kräfte, die gerade hier auch ein Unglückstreiber sind. Das eine ist der soziale Vergleich: Ich vergleiche mich in Zeiten der Social-Media-Realität nicht mehr mit meinen Peers oder den Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung und deren wahrem Leben, sondern mit dem Bild, was einzelne, häufig sehr privilegierte Menschen von sich versuchen nach draußen zu erzeugen. Das bedeutet, es erzeugt eine ganze Menge Unzufriedenheit, auch mit dem eigenen Leben. Wenn ich mich immer wieder mit Menschen vergleiche, die in einer ganz anderen Lebenssituation sind oder auch von sich quasi hoch retuschierte Bilder oder Lebensbilder zur Verfügung stellen.
Das zweite sind Fake News, die in Zeiten von Social Media deutlich zugenommen haben. Gerade wenn wir wissen und verstehen, dass Vertrauen der Klebstoff ist, der eine Gesellschaft zusammenhält, dann tragen Fake News und Lügen massiv dazu bei. Das Misstrauen in der Gesellschaft wächst. Und zwar sowohl gegenüber anderen Menschen, als auch Institutionen und Politik. Das zersetzt die Grundlage von gutem Miteinander.
“Soziale Medien sollten nicht das reale Leben ersetzen”
tagesschau: Und könnte ein Ansatz sein weniger Social Media zu konsumieren? Oder welche Ansätze gibt es, um persönlich etwas glücklicher zu werden?
Mangelsdorf: Tatsächlich ist gezielter medialer Konsum eine Antwort. Das heißt weniger, aber vor allem auch die Frage: “Was konsumiere ich und aus welchem Grund?”. Social Media und andere mediale Kanäle können durchaus auch einen Beitrag zum Wohlbefinden leisten. Kritisch wird es immer dann, wenn wir reale Verbindungen und reales Miteinander und Interaktion durch digitale Formate ersetzen. Wenn wir nicht mehr rausgehen, um andere zu treffen, sondern uns durch Social-Media-Kanäle scrollen. Stattdessen ist der große Appell, dass soziale Medien eine Ergänzung unseres Lebens sind und nicht das reale Leben ersetzen.
Soziales Miteinander, Bewegung und Sinnerfüllung
tagesschau: Welche praktischen Tipps gibt es? Im Report steht zum Beispiel auch gemeinsam Essen fördere das Glück.
Mangelsdorf: Ganz genau. Wenn wir die Frage stellen: “Was macht eigentlich Menschen glücklich, und was kann man individuell tun?”, dann ist soziales Miteinander eines der größten und wichtigsten Felder. Das heißt, wie kann ich immer wieder in kleinen Dingen mehr Kontakt zu anderen herstellen – zum Beispiel darüber gemeinsam mit anderen Mahlzeiten einzunehmen, aber auch darüber Hilfe zu leisten für andere, mich ehrenamtlich zu engagieren.
Der zweite große Teilbereich ist definitiv auch das Thema physischer Bewegung. Wir denken ja Glück gerne als etwas sehr Psychologisches. Aber wie viel wir uns bewegen, auch in der freien Natur, hat unmittelbaren Einfluss darauf, wie glücklich wir im Leben sind. Der dritte große Faktor ist das Thema Sinnerfüllung: Je mehr ich das Gefühl habe, jeden Tag einen Beitrag leisten zu können zu etwas, was mir am Herzen liegt und wichtig ist, desto höher ist auch durchaus das individuelle Glückserleben.
Das Gespräch führte Inga Wonnemann, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redigiert.