Der amerikanische Ölkonzern Energy Transfer hat gegen Greenpeace mehr als 660 Millionen Dollar Schadenersatz wegen Protesten gegen eine Erdölpipeline erstritten. Ein Geschworenengericht im amerikanischen Bundesstaat North Dakota sah es als erwiesen an, dass die Umweltorganisation Gegner der „Dakota Access Pipeline“ zu Straftaten angestiftet und den Ölkonzern diffamiert habe.
Greenpeace USA hatte zunächst mitgeteilt, das am Mittwoch verkündete Urteil drohe die Organisation in den Bankrott zu treiben. Das Jahresbudget bezifferte eine Sprecherin auf Anfrage der F.A.Z mit rund 40 Millionen Dollar. Später sagte die leitende Rechtsberaterin Deepa Padmanabha aber: „Die Arbeit von Greenpeace wird niemals enden“. Die Interims-Geschäftsführerin von Greenpeace USA, Sushma Raman, kündigte an, man werde Berufung gegen das Urteil einlegen. Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, besteht in den USA keine Zahlungspflicht.
Mehrere Greenpeace-Gruppen verklagt
Zusammen mit Greenpeace USA hatte Energy Transfer auch Greenpeace International verklagt sowie Greenpeace Fund, einen Ableger, der die Öffentlichkeit über Umweltprobleme aufklärt. Beide Greenpeace-Organisationen müssen nach dem Urteil wegen Verschwörung haften. Greenpeace finanziert sich, zumindest in Deutschland, aus privaten Spenden. Geld aus Wirtschaft und Politik werde nicht entgegengenommen, sagte eine Sprecherin.
Energy Transfer hatte die Umweltorganisation wegen Protesten während des Baus der Dakota Access Pipeline vor einem Jahrzehnt verklagt. Die Pipeline mit einer Länge von 1880 Kilometern führt vom US-Bundesstaat North Dakota in den Nachbarstaat Illinois. In North Dakota wehrten sich Angehörige des Stamms der „Standing Rock Sioux“ gegen den Bau der Erdölleitung, die an der Grenze ihres Reservats vorbeiführt. Die Sioux befürchteten Risiken für die Wasserversorgung sowie Umwelt- und Klimaschäden und Beschränkungen ihrer Rechte als indigenes Volk. Tausende von Demonstranten erklärten sich solidarisch und blockierten den Bau der Erdölleitung monatelang.
Auch Mitglieder von Greenpeace unterstützten die Proteste. In welchem Ausmaß und in welcher Form ist umstritten. Bei vielen Bewohnern im Bezirk Morton County, wo nun auch das Urteil gesprochen wurde, kamen die Aktionen der Pipelinegegner nicht gut an. Greenpeace hatte deswegen befürchtet, Jurymitglieder könnten voreingenommen sein. Anträge, den Rechtsstreit mit Energy Transfer an einen anderen Ort zu verlegen, hatten aber keinen Erfolg.
Aktivisten mit „zentraler Rolle“
Vor Gericht trug der Konzern vor, Greenpeace habe eine zentrale Rolle bei der Organisation und Durchführung von Blockadeaktionen gespielt. Außerdem hätten die Umweltschützer absichtlich Falschinformationen über die Pipeline verbreitet, um den Ruf von Energy Transfer bei Banken zu schädigen. Die Baukosten für die Pipeline seien durch die Proteste um einen Betrag zwischen 265 Millionen und 340 Millionen Dollar in die Höhe getrieben worden. Zusätzlich forderte das Unternehmen sogenannten Strafschadenersatz („Punitive Damages“). Dabei handelt es sich um eine – im deutschen Recht unbekannte – Form der Entschädigung wegen besonders verwerflichen Verhaltens. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sprach die Jury 400 Millionen Dollar der Gesamtsumme als Strafschadenersatz zu.
Greenpeace bezeichnete die Vorwürfe als haltlos und kritisierte die Klage als Versuch, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Nach der Urteilsverkündung sagte Greenpeace-Vertreterin Raman, der Fall solle alle alarmieren, unabhängig von ihren politischen Neigungen. Der Prozess sei Teil einer Taktik von Unternehmen, mit Hilfe der Gerichte das Recht auf freie Meinungsäußerung und friedlichen Protest „zu zerstören“.
Einschüchterung und Meinungsfreiheit
Der Geschäftsführer von Greenpeace International, Mats Christensen, brachte auch den amerikanischen Präsidenten Donald Trump ins Spiel. Unter dessen vorheriger Regierung seien der Schutz von sauberer Luft, sauberen Wassers und indigener Souveränität abgebaut worden. „Jetzt will sie (die Trump-Administration) mit ihren Verbündeten die Arbeit beenden, indem sie Proteste zum Schweigen bringt.“ Doch Greenpeace werde sich nicht den Mund verbieten lassen.
Ein Anwalt von Energy Transfer wies die Vorwürfe zurück. Friedlicher Protest sei ein amerikanisches Recht, „gewalttätiger und destruktiver Protest ist jedoch rechtswidrig und inakzeptabel“, heißt es in einer Mitteilung des Anwalts Trey Cox zu dem Urteil.
Für Baro Vicenta Ra Gabbert, Juristin und bei Greenpeace Deutschland Vorstandssprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit steht fest, dass die Verurteilung zu 660 Millionen Dollar Schadenersatz in die Kategorie der sogenannten SLAPP-Fälle fällt. Darunter versteht man rechtsmissbräuchliche Klagen, um Kritik von Nichtregierungsorganisationen, Aktivisten und Journalisten zu unterbinden. „Die Entscheidung in den USA zeigt, dass es offensichtlich nicht um die Sache, sondern darum geht, freie Meinungsäußerung zu unterbinden und kritische zivilgesellschaftliche Stimmen auch mittels Gerichtsprozessen zum Schweigen zu bringen“, sagte sie. Umso wichtiger sei es, dass Deutschland die Anti-SLAPP-Richtlinie der EU effektiv umsetze und so Demokratie und freie Meinungsäußerung schützte.
Die EU-Richtlinie soll Personen, die Ziel strategischer Klagen gegen öffentliche Beteiligung sind, zügige und effektive juristische Abwehr ermöglichen. Greenpeace International hatte, unter anderem unter Berufung auf die EU-Richtlinie, vor Kurzem in den Niederlanden Klage gegen Energy Transfer erhoben. Das Unternehmen müsse für die Kosten aufkommen, die Greenpeace International dadurch entstanden seien, dass es in North Dakota mit der SLAPP-Klage überzogen worden sei.