Wie ein Frieden in der Ukraine durch Bodentruppen abgesichert werden kann

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Die Treffen einer Koalition der Willigen gehen in der nächsten Woche weiter. Für Donnerstag kündigte der französische Präsident nach dem Europäischen Rat in Brüssel eine weitere Zusammenkunft in Paris an – diesmal wieder der Regierungschefs, einschließlich des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Es gehe dabei um die kurzfristige Unterstützung der Ukraine, sagte Emmanuel Macron in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Zudem wolle man definieren, welchen Beitrag europäische Streitkräfte zu Sicherheitsgarantien für das Land leisten könnten. Das war allgemein formuliert. Doch klären sich allmählich die Optionen, wie Gespräche der F.A.Z. mit mehreren Beteiligten ergaben.

Klar erscheint momentan, dass die NATO keine Rolle spielen wird. Sie verfügt zwar am ehesten über die Kommandostrukturen, um eine größere Truppe zur Absicherung eines Friedensabkommens zu führen. Doch sind sowohl Russland als auch die USA dagegen. Der russische Präsident Wladimir Putin will keine weiteren Soldaten aus NATO-Staaten an seinen Grenzen akzeptieren. Donald Trump wiederum hat deutlich gemacht, dass sich sein Land nicht an einem solchen Einsatz beteiligen werde und sich eine europäische Truppe nicht auf die Beistandspflicht im NATO-Vertrag berufen könne. Diese Positionen sollen beide in ihrem Telefonat am Dienstag bekräftigt haben.

Deshalb bleiben nur zwei realistische Optionen. Die erste ist eine Blauhelmtruppe der Vereinten Nationen. Sie könnte eine demilitarisierte Zone an der Waffenstillstandslinie überwachen. Nach F.A.Z.-Informationen hat der französische Präsident Macron darüber schon mit UN-Generalsekretär António Guterres gesprochen. Das Mandat einer solchen „Friedenstruppe“ („peacekeeping force“) müsste, wie stets, der UN-Sicherheitsrat erteilen. Dort würde nichts gegen den Willen der Vetomacht Russland gehen.

Wahrscheinlich würde Moskau versuchen, die Truppe auf eine Beobachtungsmission mit geringer Bewegungsfreiheit zu beschränken. Sie könnte dann Verstöße registrieren, aber nicht dagegen vorgehen – wie einst die OSZE-Mission, die mit den Minsker Abkommen geschaffen wurde. Die Soldaten würden diesmal wohl vor allem aus Staaten kommen, die von Russland als neutral eingestuft werden, etwa Brasilien oder Südafrika.

So könnte die EU eine Truppe mandatieren

Die zweite Option ist eine europäische Truppe, wie sie derzeit sondiert wird, auch bei Beratungen von hohen Militärs. Sie würde nicht an vorderster Front agieren, sondern hinter den ukrainischen Streitkräften, als deren Rückversicherung und zur Abschreckung Russlands von einem weiteren Angriff. Intern ist deshalb von einer „reassurance force“ die Rede. Der Abstand zur Front soll so groß sein, dass die Soldaten nicht unmittelbar in Scharmützel verwickelt werden. Von der Größenordnung wären es eher 30.000 Mann als jene 100.000, die Selenskyj schon gefordert hat. Die Ukraine könnte die Staaten zu sich einladen.

Allerdings dürfte sich eine Reihe von Staaten, darunter auch Deutschland, nur daran beteiligen, wenn die Truppe entsprechend mandatiert ist. Dafür würde sich die Europäische Union anbieten, sie könnte eine solche Mission beschließen. Schon beim Europäischen Rat vor zwei Wochen wurde das als Option in den Schlussfolgerungen zur Ukraine angelegt, die von 26 Staaten mitgetragen wurden.

Dort steht, dass die Staaten bereit seien, „einen weiteren Beitrag zu Sicherheitsgarantien zu leisten, unter anderem indem sie den möglichen Einsatz von Instrumenten der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) prüfen“. Das würde auch eine Koalition von Willigen ermöglichen. Faktisch beteiligen sich ohnehin nie alle Staaten an solchen Einsätzen, auch wenn sie diese gemeinsam beschließen.

Drei bsi vier Schichten zur Verteidigung der Ukraine

Die beiden Optionen schließen einander nicht aus. Vielmehr könnten sie auch kombiniert werden. Intern ist von einem „Schichtenmodell“ die Rede. Die erste Schicht könnte eine Blauhelmtruppe an der Waffenstillstandslinie sein, die zweite Schicht wäre die ukrainische Armee selbst, die dritte Schicht eine europäische „Rückversicherungstruppe“. Wenn die USA einen Teil ihrer Soldaten an der östlichen Flanke der NATO belassen, gäbe es sogar noch eine vierte Schicht. Andernfalls müssten die Europäer die dann entstehenden Lücken füllen.

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat so etwas schon angedeutet. Vorbild dafür wäre die deutsche Brigade mit rund 5000 Soldaten, die von 2027 an vollständig in Litauen stationiert sein soll. Da die Zahl der verfügbaren Heereseinheiten endlich ist, würde eine „Rückversicherungstruppe“ in diesem Szenario aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Boden der östlichen EU-Staaten stehen – und nicht in der Ukraine.

In jedem Fall könnte sie ukrainische Soldaten ausbilden, wie es schon jetzt geschieht, allerdings zum größeren Teil in anderen Staaten, darunter Deutschland. Je weiter eine solche Truppe von der Waffenstillstandslinie entfernt ist, desto geringer wäre ihre Abschreckungswirkung. Umso wichtiger wäre es deshalb, die ukrainischen Streitkräfte auch massiv aufzurüsten, damit sie sich selbst verteidigen können. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dafür diese Formel geprägt: „Es geht darum, die Ukraine in ein stählernes Stachelschwein zu verwandeln, das für potentielle Invasoren unverdaulich ist.“ Bundeskanzler Olaf Scholz macht sich seit Längerem dafür stark, inzwischen sehen das auch viele andere so.

Wie groß schon diese Aufgabe wäre, die nicht die Entsendung eigener Soldaten erfordert, zeigt freilich die gegenwärtige Debatte über eine stärkere Militärhilfe für Kiew im Krieg. Der Vorstoß der Außenbeauftragten Kaja Kallas, dass die EU-Staaten in diesem Jahr ihre Hilfe von 20 auf 40 Milliarden Euro verdoppeln und dabei die Lasten nach ihrem wirtschaftlichen Gewicht aufteilen, ist in Brüssel krachend gescheitert.

Am Donnerstag waren die Staats- und Regierungschefs nicht einmal bereit, fünf Milliarden Euro für zwei Millionen Artilleriegranaten nach diesem Schlüssel aufzubringen. Italien durchkreuzte das, indem es in den Schlussfolgerungen den Zusatz vereinbarte, dass die Initiative nur „auf freiwilliger Basis“ umgesetzt werden könne. Frankreich und Spanien standen hinter Rom – sie hätten sonst deutlich mehr leisten müssen als bisher.

Quelle: F.A.Z.Artikelrechte erwerben

  • Thomas Gutschker

    Thomas Gutschker

    Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.


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