Fast wirkt Manfred Weber begeistert, als er große Schockmomente des Jahres in Erinnerung ruft: Die Münchner Rede, in welcher Donald Trumps Vizepräsident J. D. Vance „sagte, die Bedrohung der europäischen Demokratie sei nicht Putin, sei nicht Xi, sei nicht Trump, sondern sei die innere Morschheit der europäischen Demokratie“, wie der langjährige Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament es für das Publikum auf dem F.A.Z.-Kongress zusammenfasst – um sogleich auf die Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oval Office wenige Wochen später zu kommen: „Da sitzt der amerikanische Präsident, sein Vizepräsident daneben, und sie sagen öffentlich: Die Ukraine hat Schuld an diesem Krieg. Es wird diese Lüge im Weißen Haus offen verbreitet.“
„Da sind wir schon gut gestartet“, sagt Weber lächelnd im Gespräch mit F.A.Z.-Außenpolitikchef Nikolas Busse. Natürlich ist die Trump-Politik keineswegs im Sinne Europas, im Sinne des Europapolitikers Weber. Er meint: Die EU ist endlich aufgewacht. Er sieht eine plötzliche Bereitschaft in der EU, Dinge zu tun, die Weber schon lange fordert.
„Jawohl, wir leben in dieser Welt“
Da will sich der CSU-Politiker auch nicht die jüngsten Gipfelbeschlüsse schlecht reden lassen, trotz aller Differenzen zwischen südlichen und östlichen, solventeren und ärmeren Mitgliedstaaten. Also weder den Sondergipfel vor zwei Wochen, „wo wir bestätigt haben: Jawohl, wir leben in dieser Welt, wir sehen die Welt und jetzt nehmen wir ja auch Milliarden in die Hand, gehen in die Zukunft, bauen unsere eigene Verteidigung auf“. Noch den regulären EU-Gipfel am Donnerstag dieser Woche: „Da wurde bestätigt, dass wir bis zum Jahr 2030 die Souveränität haben wollen, uns eigenständig verteidigen zu können.“
Jahrzehnte lang habe Europa Fehler gemacht, seine Verteidigung vernachlässigt, den USA zu sehr vertraut. Jetzt aber „ist die Bereitschaft da, ist der Wille da. Und das, finde ich, ist das eigentlich Historische, was aktuell stattfindet“, sagt Weber. Für ihn geht es jetzt um die Errichtung einer „Europäischen Verteidigungsunion“.
Unter diesem Rubrum zählt er unter anderem auf: gemeinsame Beschaffung, gemeinsame Rüstungsforschung von Panzer bis Drohne, gemeinsame Verteidigungsstrukturen „bis hin zu der Grundsatzfrage, die dann am Schluss im Raum steht, nämlich dem Aufbau von wirklich europäischen Einsatzkommandos“. Nur auf Busses Frage nach einer europäischen Armee, die Weber in der Vergangenheit oft im Munde führte, wird der CSU-Politiker etwas zaghafter.
Dass eine Kompanie national organisiert sei, dass es da auch auf „die gleiche Sprache, die gleiche Kultur“ ankomme, das wisse er. „Da ist Europa zu vielfältig, zu unterschiedlich kulturell und auch von den Sprachen her.“ Die „Strukturen an der Basis“ will Weber nicht in Frage stellen. Er will sich offenbar in der aktuellen Lage auf das Erreichbare konzentrieren. „Jetzt ist wichtig, unsere Armeen einfach wieder einsatzfähig zu machen. Das ist das jetzt Notwendige. Aber bitte das große Bild nicht zu verlieren.“
Was erreichbar ist und was nicht, das hängt auch stark vom Geld ab. Verlangt die gelobte Aufrüstung doch nach Eurobonds? CSU-Mann Weber betont, er sei seit jeher ein „Stabilitätspolitiker“. Dann aber verweist er darauf, wie die deutsche Schuldenbremse gerade gelockert wurde, und auf die argen Finanznöte von Ländern wie Frankreich und Italien, die praktisch keine Chance mehr auf weitere Kredite zu akzeptablen Konditionen hätten. Webers Fazit: „Da gibt es für mich aktuell keine Tabus. Wir müssen über alles reden.“