Eine breite Entlastung von Bürgern und Betrieben durch eine schwarz-rote Koalition ist nicht in Sicht. Die SPD hat die Union mit ihren weitergehenden Steuerplänen auflaufen lassen. Sie pochte in der Arbeitsgruppe Haushalt, Finanzen und Steuern darauf, die Reformen „mindestens“ aufkommensneutral auszugestalten.
In dem von ihr verfassten Papier soll weder eine Reform der Einkommensteuer noch eine Neuregelung der Unternehmensbesteuerung gemeinsam ausbuchstabiert worden sein. Nun liegt es an der sogenannten 19er-Gruppe, in der die Spitzen von Union und SPD sitzen, aus den gegensätzlichen Positionen eine gemeinsame Strategie zu machen.
In der deutschen Wirtschaft verfolgt man die Verhandlungen mit wachsender Besorgnis. DIHK-Präsident Peter Adrian und seine Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov schrieben einen Brandbrief an die drei Parteivorsitzenden, in dem sie positive Anreize für Investitionen verlangen, damit diese wieder anspringen. „Dazu zählen neben einem durchgreifenden Bürokratieabbau vor allem Entlastungen bei Abgaben und Steuern – insbesondere auch in der Unternehmensbesteuerung“, heißt es in dem Schreiben der Deutsche Industrie- und Handelskammer an Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU) und Lars Klingbeil SPD). Es liegt der F.A.Z. vor.
Parallel kursiert ein Brief von vier Spitzenverbänden (Arbeitgeber, Industrie, Handwerk und DIHK) an die Chefunterhändler der 19er-Gruppe, in dem ihre Präsidenten eine wirtschafts- und sozialpolitische Reformagenda anmahnen, „die zu mehr Dynamik führt“. Er deckt sich mit Erklärung vom Münchner Spitzengespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Als die SPD den Raum verließ
In Unionskreisen wurden Ablauf und Ergebnis der Verhandlungen in der Finanz-Arbeitsgruppe als „deprimierend“ und „bis ins Mark frustrierend“ charakterisiert. Die Gespräche wurden mit Attributen wie „zäh“, „verhakt“, „vermint“ beschrieben. Bei der SPD gebe es kein Problembewusstsein. Sie bestreite, dass eine Entlastung der Unternehmen notwendig sei, um die Wirtschaft anschieben zu können. Die Senkung der Körperschaftsteuer sei als reines Unionsthema hingestellt worden.
Die SPD war dem Vernehmen nach mit klassischen Positionen wie dem Ruf nach einer Wiederbelebung der Vermögensteuer, der Einführung einer Finanztransaktionsteuer und dem Abschaffen des Ehegattensplittings in die Gespräche gegangen. Letzteres soll zu einem Eklat geführt haben. Die rheinland-pfälzische Finanzministerin Doris Ahnen (SPD) habe die gemeinsame Besteuerung der Eheleute als einen Grund hingestellt haben, der Frauen in extrem schlecht bezahlten Jobs halte. Als die CSU-Politikerin Mechthilde Wittmann ihr entgegnete, ob sie wirklich die Frauen für so blöd halte, habe die SPD geschlossen den Raum verlassen. Doch nach etwa eineinhalb Stunden habe man weiterverhandelt, hieß es später in Unionskreisen.
Die Episode beschreibt, wie angespannt die Atmosphäre war. Unstreitig war nur, was im Sondierungspapier ausverhandelt war: steuerfreies Gehalt bis 2000 Euro im Monat für Arbeitende im Rentenalter, steuerfreie Zuschläge für Überstunden, geringere Mehrwertsteuer für die Gastronomie, vollständige Rückkehr des Agrardiesels.
Strittig blieb die avisierte „Entlastung der Mitte“. Union und SPD konnten sich nicht einigen, wie das aussehen könnte. Die SPD schlug zur Gegenfinanzierung vor, den Spitzensteuersatz auf 47 Prozent und den Reichensteuersatz auf 49 Prozent zu erhöhen – was die Union hart ablehnte, obwohl sie früher einmal selbst intern eine Reform erwogen hatte, die oben im Tarif eine kleine Erhöhung vorsah. Dafür sollte aber der Soli entfallen.
Und was wird aus dem Soli?
Den Solidaritätszuschlag, den CDU und CSU weiterhin abschaffen wollen, klammerten die Unterhändler mit Blick auf die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus. Zu schnell war klar geworden, dass man lange über diesen Punkt hätte reden können, ohne zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Am kommenden Mittwoch will das höchste Gericht sein Urteil zu dem Steuerzuschlag verkünden, der in den neunziger Jahren eingeführt worden ist, um die Lasten aus der Wiedervereinigung finanzieren zu können. Seit dem Jahr 2021 zahlen ihn nur noch Spitzenverdiener, Kapitalanleger und Unternehmen.
Zu den Punkten, über die sich die Arbeitgruppe Finanzen nicht einigen konnte und zu denen sich daher in ihrem Bericht unterschiedliche Formulierungen in blau und rot finden dürften, gehört die Besteuerung der Unternehmen. In der Sondierung hatten Union und SPD „spürbare Anreize für Investitionen in Deutschland“ verabredet. Während die Union daran denkt, solche Kosten beschleunigt bei der Steuer zu berücksichtigen (degressive Abschreibung), verfolgt die SPD weiterhin ihre Idee, Investitionen in Deutschland mit einer Prämie zu belohnen.
Je nach Ausgestaltung könnten beide Konzepte auf dasselbe hinauslaufen. Aber in Kreisen der Union wie der Wirtschaft gibt es die Befürchtung, dass eine Prämie eine neue Bürokratie erfordert und an besondere Kriterien geknüpft wird (Tariftreue oder andere Auflagen). Wie der in der Sondierung zugesagte „Einstieg“ in eine Reform der Unternehmensbesteuerung aussehen soll, ist noch völlig unklar. Die Union wollte schrittweise den Körperschaftsteuersatz auf 10 Prozent senken, um unter Einschluss der Gewerbesteuer auf eine Gesamtbelastung von 25 Prozent zu kommen. Mit aktuell rund 30 Prozent liegt Deutschland im internationalen Vergleich in der Spitze. Die SPD hat angeboten im Jahr 2029 die Belastung um einen Punkt zu senken. Der Union war dies zu wenig und zu spät.
In dieser heiklen Verhandlungslage stoßen die DIHK-Spitzenvertreter Adrian und Melnikov mit ihrem Brief an die drei Parteivorsitzenden. „In diesen Tagen erreichen uns sehr viele verunsicherte Rückmeldungen von Unternehmerinnen und Unternehmern. Sie blicken mit großer Sorge auf den Standort Deutschland“, schreiben die beiden Wirtschaftsvertreter.
Die Entscheidung, das schwarz-rote Bündnis mit der Grundgesetzänderung über neue Schulden zu starten, führe zu neuer Skepsis. Denn bisher fehlten klare Reformmaßnahmen, die ein selbst tragendes Wachstum in Deutschland ermöglichten. Die dafür erforderlichen Investitionen seien – trotz schuldenfinanzierter Zusatzinvestitionen des Staates – zu rund 90 Prozent private Investitionen. „Damit diese nach Jahren der Investitionsflaute wieder anspringen, braucht unsere Wirtschaft statt zusätzlicher Belastungen oder neuer Vorgaben positive Anreize.“
Der Spitzenverband der deutschen Wirtschaft hat zwölf Punkte zusammengestellt, die die neue Bundesregierung in ihren ersten hundert Tagen umsetzen sollte. „Sie sind pragmatisch, effizient und zum Teil ohne zusätzliche Kosten realisierbar“, heißt es werbend. Dazu gehört der Klassiker Abbau von Bürokratie. Hunderte Vorschläge der Wirtschaft lägen vor. „Damit hat die Bundesregierung eine Grundlage für ein Aufschwung-Gesetz, das Mut zum Loslegen macht.“
Zeitplan für die Regierungsbildung in Gefahr?
Zudem fordert der DIHK, Gesetze für Energieeffizienz und Gebäude auf europäisches Minimum entschlacken. „Die praxisuntauglichen Vorgaben des Gesetzes zur Energieeinsparung müssen aus Sicht der Betriebe wegfallen.“ Auch das Energieauditgesetz sollte auf die europäischen Vorgaben begrenzt und das Gebäudeenergiegesetz auf den Status vor der letzten Novelle zurückgesetzt werden.
Darüber hinaus verlangt die Kammerorganisation, die Unternehmenssteuer schrittweise auf maximal 25 Prozent zu senken. Ein erstes gutes Signal wäre der Wegfall des Solidaritätszuschlags, „den derzeit überwiegend Unternehmen zahlen“. Weiterhin dringt sie darauf, schnellere Steuerabschreibung wieder einführen („degressive AfA“).
An diesem Montag sollen alle Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse abliefern, damit anschließend die Spitzen von Union und SPD die strittigen Punkte klären können. Nicht nur bei den Finanzen soll es Probleme geben. Als schwierig galten zuletzt auch die Gespräche in den Arbeitsgruppen zu Migration (Zurückweisungen an den Grenzen) sowie Arbeit und Soziales (Reform des Bürgergelds). Der Abschluss der Redaktion des Koalitionsvertrags war ursprünglich für den 27. März geplant. Die sichtbar gewordenen Konflikte gefährden zumindest den Zeitplan für die Regierungsbildung.