KI-Assistent für Millionen, Google herausfordern

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In seinem neuen Werbespot lässt das Künstliche-Intelligenz-Start-up Perplexity keine Zweifel daran, wen es mit seiner von Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützten Suchmaschine im Visier hat. Dort tritt der aus der Netflix-Serie Squid Game zu internationalem Ruhm gelangte Schauspieler Lee Jung-jae auf. Eingesperrt in eine Kältekammer muss er eine Challenge, eine Herausforderung, meistern, von der sein Leben abhängen könnte.

Es gilt, rasch drei Fragen zu beantworten, darunter: „Wie entfernt man Kaffeeflecken auf einem weißen Hemd?“ Lee probiert es zunächst auf seinem Smartphone mit einer Such-App namens „Poogle“. Doch die Antworten kommen zu langsam und sind zu unübersichtlich. Ganz anders das flotte Ergebnis mit Perplexity: Challenge gemeistert, Leben gerettet.

Weniger gut wäre es gelaufen, hätte die Prüfung darin bestanden, zu erkunden, welche Pläne Perplexity-Mitgründer Aravind Srinivas verfolgt. In dieser Frage kommt man mit der Suchmaschine des Unternehmens nicht weit. „Als KI-Assistent habe ich keinen Zugang zu internen Unternehmensdaten“, bedauert die Software und rät, offizielle Pressemitteilungen oder Interviews mit Srinivas zu konsultieren. Wirklich weiter führt das nicht – also hat die F.A.Z. den gebürtigen Inder persönlich „konsultiert“. Mit einem spannenden Ergebnis. Der 30 Jahre alte Manager ließ sich tief in die Karten blicken und rechnete vor, was er noch nie einer breiten Öffentlichkeit vorgerechnet hat.

Ein virtueller Assistent, der sich um uns kümmert

Srinivas arbeitete vor der Gründung von Perplexity für den ChatGPT-Entwickler Open AI und für Google – insofern verwundert es nicht, dass er sich seinen einstigen Arbeitgeber mehr oder weniger zum Vorbild nimmt. Immer wieder verweisen Fachleute darauf, dass sein vor gerade zweieinhalb Jahren gegründetes Start-up dem gut zweieinhalb Jahrzehnte alten Internetgiganten gefährlich werden könnte. Denn dessen Geschäftsmodell „Suchmaschine und Werbung“ gerät unter Druck, wenn ein Konkurrent den Kunden zusichert, nicht lange in reklamegesäumten Linklisten suchen zu müssen, sondern schnell Antworten zu finden.

Das jedenfalls ist das aktuelle Perplexity-Versprechen. Doch hier will Srinivas nicht stehenbleiben, wie er im Gespräch deutlich macht. Seine mittel- und langfristige Vision ist, KI von einem „reaktiven“ Produkt zu einen „proaktiven“ Produkt weiterzuentwickeln. Soll heißen: Statt Fragen über Prompts einzugeben und darauf Antworten zu erhalten, schwebt Srinivas eine Art allumfassender persönlicher Assistent für jedermann vor. „Wenn wir ihn brauchen, steht er bereit, uns zu unterbrechen und über bestimmte Dinge zu informieren. Oder er bietet an, bestimmte Dinge zu tun und sich um uns zu kümmern, all die langweilige Arbeit zu tun, die ich nicht tun mag.“

„Klingt ziemlich utopisch, oder?“

Der Perplexity-Mitgründer, öfter mal unterwegs, denkt zunächst an Reisen, an das Buchen von Fahrten, Flügen und Hotels – solch „mühselige“ Arbeit wolle er sich nicht machen und lieber den Assistenten erledigen lassen. Aber Srinivas will ein größeres Rad drehen. Er will einen virtuellen universalen Helfer entwickeln, der dem Menschen ein Butler und Freund zugleich ist. Es gehe darum, dass die KI recherchiere, „was für mich am besten ist“, dass sie sich melde, wenn man etwas falsch mache, dass sie selbständig ihre Hilfe anbiete, wenn man ein Problem habe, ohne dass man eigens nachfragen müsse. „Das ist buchstäblich so, als wenn man jemanden hätte mit hoher Intelligenz, der sich kümmert um mich und mein Leben und mich weiterbringt.“ Könnte ein solcher Helfer nicht ein paar Hundert Dollar im Monat wert sein?

Das fragt Srinivas halb rhetorisch, halb überzeugt – und rechnet die „große Vision“ grob durch. Im großen Ausmaß betrieben, mit 100 Millionen Kunden, und jeder zahlt 2000 Dollar im Jahr für seinen persönlichen Assistenten: Ja, richtig, das seien 200 Milliarden Dollar Umsatz – „und das entspricht Googles Werbeerlösen heute“. Das ist ziemlich weit entfernt von den Preisen für den heutigen Premiumdienst Perplexity Pro, der für 200 Dollar jährlich zu haben ist. „Klingt ziemlich utopisch, oder?“, schickt Srinivas entsprechend hinterher und gibt zu, es werde auf dem Weg wohl Fallen und Hindernisse geben. „Es ist nicht sicher, ob wir dort ankommen. Aber wir wollen es versuchen.“

KI-Phone der Telekom auf Perplexity-Basis

Der Weg ist zumindest beschritten. Mit Hilfe der Deutschen Telekom . Auf der Mobilfunkmesse MWC in Barcelona stellte der Dax-Konzern kürzlich sein neues KI-Smartphone vor – maßgeblich angetrieben von Perplexitys KI. Das Gerät soll sich ohne Apps bedienen lassen und in der zweiten Jahreshälfte auf den Markt kommen. „Taxi benötigt? Anruf einleiten? Essen bestellen? Etwas einkaufen? Kein Problem. Der digitale Assistent von Perplexity ermöglicht es“, wirbt die Telekom.

Während Srinivas noch viel weiter träumt und mittelfristig einen Börsengang anstrebt, will er die Technologie der Gegenwart nicht abschreiben. Zum Beispiel Suchmaschinen. Auch in fünf Jahren und danach werde es sie wohl noch geben. Wenn auch mit verändertem Anspruch. Sie entwickelten sich in Richtung Internetportal und Webnavigator, als Weg, schnell zu einer Internetseite zu gelangen. „Grundlegendes Zeug“ nennt es Srinivas. Denn manche Gewohnheiten der Nutzer änderten sich schließlich kaum. „Yahoo ist immer noch da, richtig?“

Mehr als nur ein Google-Klon

Stimmt – aber was heißt das für Google und sein traditionelles Werbegeschäft, letztlich das aktuelle Fundament für den Mutterkonzern Alphabet? „Google als Unternehmen ist ziemlich sicher.“ Schließlich verfüge es neben der Suchmaschine über zahlreiche Unternehmenssparten und viele wertvolle Vermögenswerte wie den E-Mail-Dienst G-Mail, den Videodienst Youtube, den Browser Chrome und das Mobilbetriebssystem Android. Andererseits sieht Srinivas den Internetgiganten verstärkt in der Defensive. Früher, als er noch geforscht habe, habe man es für selbstverständlich gehalten, dass die beste KI von Google komme. Das sei nicht mehr der Fall, es gebe so viele weitere Spieler im Feld. „Das eröffnet Möglichkeiten für Aufsteiger, sie herauszufordern. Und zwar nicht mit einem Google-Klon, sondern damit, wirklich etwas Neues aufzubauen.“

Dass dieses „Neue“ ausgerechnet Perplexity heißt, sei ein zufälliger Prozess gewesen, erzählt Srinivas. „Wenn man ein Produkt für Konsumenten machen will, würde man es wohl nicht Perplexity nennen.“ Dass es doch so heißt, hat mit der Unentschlossenheit und mit der Technikliebe von Computerenthusiasten zu tun. Weil man anfangs nicht wusste, wie das erste Produkt aussehen sollte, entschieden sich Srinivas und seine Gründerkollegen für einen „sehr anspruchsvollen“ Begriff, der alles offen ließ. Denn „Perplexity“ ist das zugrundeliegende Maß dafür, wie gut KI-Sprachmodelle mit Textdaten umgehen können, wie „verwirrt“ sie sind, wenn sie versuchen, gemäß ihrer grundsätzlichen Funktionsweise das nächste Wort in einem Satz vorherzusagen. Je niedriger der „Perplexity“-Wert, desto besser die KI.

Eine Bewertung von 18 Milliarden Dollar

Das ist die offizielle Namensgeschichte. Srinivas hat daneben noch eine kleine amüsante Story parat. „Als ich damals nach Domainnamen gesucht habe, war alles andere viel zu teuer. Ich hatte kein Geld, und Perplexity.ai kostete 100 Dollar, das war ein ziemlich gutes Geschäft.“ Später dann, als Investoren einstiegen, konnte man sich auch Perplexity.com leisten, für knapp eine Million Dollar. Mittlerweile sind die Dimensionen ganz andere. Insgesamt haben die Geldgeber, darunter der KI-Chiphersteller Nvidia , Softbank und Amazon-Gründer Jeff Bezos, in mehreren Runden bislang 930 Millionen Dollar in das Start-up gepumpt. Schon wird kolportiert, dass weitere bis zu einer Milliarde Dollar folgen und die Bewertung des Unternehmens damit in kurzer Zeit von neun auf 18 Milliarden Dollar steigen könnte.

Wie es mit Perplexity weitergeht, gehört zu den spannendsten Fragen in der Tech-Branche. Zumal die Äußerungen des Mitgründers ein anderes Licht auf das Unternehmen werfen. Bislang war vor allem davon die Rede, wie und ob die KI-Suchmaschine ihr Geschäft mit Werbung monetarisieren kann. Die Abo-Rechnungen von Srinivas geben den Überlegungen eine zusätzliche Richtung. Auch, weil er sich generell nicht als großer Freund von Internetwerbung präsentiert.

Was sagt die KI selbst über die Pläne des Chefs? „Ein Umsatzziel von 200 Milliarden Dollar für Perplexity erscheint extrem hoch und sehr ambitioniert, besonders für ein junges Start-up.“ „Zu bedenken“ seien das enorme Marktpotential für KI und personalisierte digitale Assistenten, der Zeitrahmen („Ohne konkreten Zeithorizont ist das Ziel schwer einzuschätzen“) sowie die Konkurrenz („Große Tech-Konzerne investieren massiv in ähnliche Technologien“). Das Fazit: „Während das Ziel sehr ehrgeizig erscheint, zeigt es Perplexitys Ambitionen im KI-Sektor. Die tatsächliche Realisierbarkeit hängt von vielen Faktoren ab und bleibt abzuwarten.“ Welcher Mensch wollte da widersprechen?