Ekrem İmamoğlu:Erdoğans gefährlichster Gegner

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Zwei Frauen prägen das Image, das der inhaftierte Oberbürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, sich zugelegt hat. Seine Ehefrau Dilek: blond, modern, gebildet. Und seine Mutter Hava: gottesfürchtig, einfach, bescheiden. Während İmamoğlus Frau am Abend seiner Festnahme selbstbewusst vor Tausenden De­mons­tranten auftrat, gab seine Mutter, bedeckt mit einem bäuerlichen Kopftuch, auf dem heimischen Sofa ein Interview. Das Presseteam des Bürgermeisters verbreitete es unter der Überschrift „Sei nicht traurig, Mama“.

Der am Sonntag in Haft zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Volkspartei (CHP) gekürte Politiker stammt wie Recep Tayyip Erdoğan von der konservativen Schwarzmeerküste. Beide gelten als volkstümlich und charismatisch. Doch anders als Erdoğan spricht İmamoğlu säkulare und fromme Türken an – also beide Seiten der polarisierten Gesellschaft. Das ist einer der Gründe, warum er zum aussichtsreichsten Herausforderer von Präsident Erdoğan aufsteigen konnte – bevor dieser ihn ins Gefängnis stecken ließ.

Den Verlust Istanbuls nahm Erdoğan persönlich

Indirekt standen sich die beiden Rivalen schon mehrmals gegenüber – und jedes Mal siegte İmamoğlu. So jedenfalls stellt er selbst es gern da. 2019 gewann der CHP-Politiker mit knappem Vorsprung die Bürgermeisterwahl in Istanbul gegen einen von Erdoğan handverlesenen Kandidaten. Der Präsident nahm das persönlich, weil er Istanbul immer als seine Machtbasis betrachtet hat und seine eigene politische Karriere im dor­tigen Rathaus begann.

Erdoğan ließ das Ergebnis annullieren, was dazu führte, dass İmamoğlu im zweiten Anlauf mit großem Vorsprung gewann. Vor einem Jahr wurde der Vierundfünfzigjährige wiedergewählt. Er pflegt enge Kontakte zu anderen europäischen Großstädten wie Paris und Berlin. Deren Bürgermeister waren am Mittwoch die Ersten, die die Festnahme ihres Amtskollegen kritisierten. Sein internationales Engagement hat İmamoğlu bisweilen den Vorwurf eingebracht, sich zu wenig um die Belange der 15-Millionen-Stadt zu kümmern.

Der Mann aus Trabzon hat Wirtschaftswissenschaften studiert, doch sein Diplom wurde ihm mit fragwürdigen Begründungen aberkannt. Er hat eine Zeit lang im Bauunternehmen seiner Familie gearbeitet, das jetzt per Gerichtsbeschluss von einem Zwangsverwalter übernommen wurde. Schon bei den Präsidentenwahlen 2023 wäre er gern angetreten, und viele glauben, er hätte Erdoğan be­siegen können. Doch seine Partei schreckte wegen eines laufenden Gerichtsverfahrens davor zurück, ihn zu nominieren. Nun könnte er aus dem Gefängnis heraus Wahlkampf betreiben – so wie einst Erdoğan, bevor er 2003 zum Ministerpräsidenten aufstieg.