Franziska Preuß ist Gesamtweltcupsiegerin und schreibt Geschichte. Nach Jubeln ist ihr aber lange nicht zumute. Dahinter stecken ein Sturz, ein Protest und besonderer Respekt für ihre größte Konkurrentin.
Aus Oslo berichtet Alexander Kohne
Im größten Moment ihrer sportlichen Karriere dachte sie nicht ans Jubeln. Statt die Arme in die Luft zu reißen und sich – wie im Biathlon üblich – von den im Zielbereich wartenden Teamkollegen hochleben zu lassen, schaute sich Franziska Preuß unsicher um. Sie wartete auf ihre ärgste Konkurrentin Lou Jeanmonnot.
Diese war im letzten Rennen der Biathlon-Weltcupsaison am Osloer Holmenkollen in der drittletzten Kurve gestürzt, wodurch Preuß davonzog, gewann und als erste Deutsche seit acht Jahren den Gesamtweltcup holte (hier lesen Sie alles zum Drama in Oslo). Statt ihren Erfolg zu feiern, wandte sich die 31-jährige Bayerin ihrer direkt hinter dem Zielstrich zusammengesunkenen Konkurrentin zu und umarmte diese fast eine Minute lang.
“Ich habe im Ziel direkt auf sie gewartet und gesagt, dass sie mir bitte ehrlich sagen soll, wenn irgendetwas unfair war”, erklärte Preuß in einer Presserunde, bei der auch t-online dabei war. Doch Jeanmonnot ließ keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Rennausgangs aufkommen, wie Preuß verriet: “Sie hat direkt gesagt, dass das nicht meine Schuld gewesen sei und sie über ihren Stock gefallen sei.”
Das tragische Ende des packendsten Zweikampfs, den es je um den Gewinn des Gesamtweltcups gegeben hat, nahm beide Protagonistinnen sichbar mit. In den etwa sechs Minuten, die sie bis zur Zielüberquerung der Tagesletzten Dorothea Wierer nahe der Ziellinie verharrten, sprachen beide sie die Szene des Rennens immer wieder durch, umarmten sich – und auch ein paar Tränchen flossen.
Erstmals richtig jubelnd präsentierte sich Preuß eine weitere Viertelstunde später, als sie aus den Katakomben des Biathlon-Stadions am legendären Holmenkollen kam – und vom deutschen Team mit einem Konfettiregen, herumspritzendem Sekt und “So sehen Sieger aus”-Gesängen begrüßt wurde.
Erst da war Preuß richtig klar, dass sie den Gesamtweltcup 2024/25 auch wirklich gewonnen hatte. Denn: Auch wenn Jeanmonnot ihren Sturz anders eingeschätzt hatte, hatte das französische Team Protest gegen die Rennwertung eingelegt. Etwa 20 Minuten nach Rennende stand dann fest: ohne Erfolg.
“Als das entschieden war, ist sehr viel abgefallen. Das war schon sehr emotional”, verriet Preuß, die wenig später hemmungslos weinte: “Es war ein kranker Fight bis zum Schluss. Das waren wirklich anstrengende drei Wochen vom Kopf, aber ich habe versucht, den Glauben dran nicht zu verlieren”. Für sie war damit eine Achterbahn der Gefühle zu Ende gegangen. Diese kumulierte an diesem Wochenende in Oslo.
Nachdem Preuß dort im Sprint am Freitag dank eines Ausfallschritts und dem Wimpernschlag von 0,2 Sekunden vor Jeanmonnot gesiegt hatte, verlor sie einen Tag später aufgrund eines fünften Platzes in der Verfolgung die Weltcupführung. Erstmals seit dem ersten Rennen vor über dreieinhalb Monaten lag Jeanonnot wieder vorne – und hatte vor dem finalen Showdown am Sonntag fünf Punkte Vorsprung auf die Deutsche.
Dass sich Preuß mit am Ende 1278 Punkten doch noch einmal an Jeanmonnot (1258) vorbeischob, davon war sie in den vergangenen Monaten selbst nicht immer vollends überzeugt. “Das ist eines der größten Dinge, die man gewinnen kann im Biathlon und war immer irgendwo ein Traum von mir. Manchmal war er dann wieder weit weg, wenn man zu oft krank war in der Vergangenheit”, erklärte Preuß.